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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Beweis nicht bloß für seine Hingebung an die Kirche und seine gutmüthig
Gläubigkeit, sondern auch für den richtigen Jnstinct seiner Zunge und seines
Magens gelten. Denn ohne Frage ist es im Vergleiche zu den sonst ge
bräuchlichen Fleischsorten das mindest Schmack- und nahrhafte, so viel au
seine Parteigänger zu seinem Lobe sagen mögen.
Wäre dieß nicht den Eiferern der Kirche zu Hilfe gekommen, so würde
ir oder unere Bauern noeute mit demelbenBeaenerdeei ver

wg
speisen, wie zur Zeit des heiligen Bonifaz oder Columban. Denn daß de
Teufel in seiner Verkleidung mit allen möglichen Attributen und Besitztümern
unserer eigenen volksthümlichen Götter auch der Pferdefuß zu Theil geworde
ist, würde Niemand gehindert haben, sich an Roßschinken gütlich zu thun
wenn er nur besseren Geschmackes gewesen wäre als der Schweinsschinken.
Sonst ist gerade das Verhältniß der deutschen Volksseele zu dem Pfer
so recht darnach angethan, um das Dauernde im Wechsel, die festen und ewige
Typen, welche sie als im wesentlichen immer dieselbe durch allen fremden Wu
wieder herstellt, recht zu veranschaulichen. Denn gewiß, uns gilt das Pferd
nicht mehr als das Reitthier der Götter, wir füttern nicht mehr wie einst,
Herden von weißen Rossen in heiligen Hainen, um aus ihrem Gewieher, ode
aus dem Stampfen ihrer Hufe Orakel zu erhalten. Darüber und über s
vieles andere, was die Naturanschauung der Vorzeit dem edelen Thiere in
liebevoller Ueberschwänglichkeit andichtete und ebendeshalb anbetend verehrte, dürfen
wir jetzt lächeln. Aber dicht neben der so sehr kleinen Schaar der völlig Aufge
klärten und Nüchternen lagert sich unabsehbar über alle Hügel und Thäle
das Heer der minder Gebildeten, der Ungebildeten und ganz Rohen. Und dies
empfinden, wenn man ihre Sprache, ihre Sprichwörter, ihren Glauben --
nicht den angelernten irgend einer offiziellen Kirche, sondern alles das, was
ihre Seele als eine lebendig sie bewegende und stärker als sie selbst wirkende
Macht empfindet -- auch nicht viel anders die Natur des Pferdes, als sie
ihre Voreltern zwei tausend Jahre früher empfunden haben. Nur die Formen
diees Glaubens ndeändert,meitnitdurreieTat oder durch den

activen Gestaltungsproceß des Volksgeistes selbst, sondern durch übermächtige
Eindrücke fremder Typen, die sich die reflectirende Langsamkeit und gewissen¬
hafte Schwerfälligkeit des deutschen Wesens da, wo es darauf ankommt eine
fertige Production gleichsam in die Oeffentlichkeit der Weltgeschichte hinaus
zu schicken, zu Nutze machten. Wie überall ist es vorzüglich das westliche
Nachbarvolk, das mit seiner angeborenen Frivolität oder richtiger mit dem
völligen Mangel aller sittlichen Bedenken gegen sich selbst und die eigene ab¬
solute Vortrefflichkeit, stets rasch bei der Hand war, wo es galt irgend eine
Evolution des allgemein europäischen Culturlebens in die Handgreiflichkeit des
wirklich Geschehenen oder Gealtetenumueen. Damit ita der ranöche


Beweis nicht bloß für seine Hingebung an die Kirche und seine gutmüthig
Gläubigkeit, sondern auch für den richtigen Jnstinct seiner Zunge und seines
Magens gelten. Denn ohne Frage ist es im Vergleiche zu den sonst ge
bräuchlichen Fleischsorten das mindest Schmack- und nahrhafte, so viel au
seine Parteigänger zu seinem Lobe sagen mögen.
Wäre dieß nicht den Eiferern der Kirche zu Hilfe gekommen, so würde
ir oder unere Bauern noeute mit demelbenBeaenerdeei ver

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speisen, wie zur Zeit des heiligen Bonifaz oder Columban. Denn daß de
Teufel in seiner Verkleidung mit allen möglichen Attributen und Besitztümern
unserer eigenen volksthümlichen Götter auch der Pferdefuß zu Theil geworde
ist, würde Niemand gehindert haben, sich an Roßschinken gütlich zu thun
wenn er nur besseren Geschmackes gewesen wäre als der Schweinsschinken.
Sonst ist gerade das Verhältniß der deutschen Volksseele zu dem Pfer
so recht darnach angethan, um das Dauernde im Wechsel, die festen und ewige
Typen, welche sie als im wesentlichen immer dieselbe durch allen fremden Wu
wieder herstellt, recht zu veranschaulichen. Denn gewiß, uns gilt das Pferd
nicht mehr als das Reitthier der Götter, wir füttern nicht mehr wie einst,
Herden von weißen Rossen in heiligen Hainen, um aus ihrem Gewieher, ode
aus dem Stampfen ihrer Hufe Orakel zu erhalten. Darüber und über s
vieles andere, was die Naturanschauung der Vorzeit dem edelen Thiere in
liebevoller Ueberschwänglichkeit andichtete und ebendeshalb anbetend verehrte, dürfen
wir jetzt lächeln. Aber dicht neben der so sehr kleinen Schaar der völlig Aufge
klärten und Nüchternen lagert sich unabsehbar über alle Hügel und Thäle
das Heer der minder Gebildeten, der Ungebildeten und ganz Rohen. Und dies
empfinden, wenn man ihre Sprache, ihre Sprichwörter, ihren Glauben —
nicht den angelernten irgend einer offiziellen Kirche, sondern alles das, was
ihre Seele als eine lebendig sie bewegende und stärker als sie selbst wirkende
Macht empfindet — auch nicht viel anders die Natur des Pferdes, als sie
ihre Voreltern zwei tausend Jahre früher empfunden haben. Nur die Formen
diees Glaubens ndeändert,meitnitdurreieTat oder durch den

activen Gestaltungsproceß des Volksgeistes selbst, sondern durch übermächtige
Eindrücke fremder Typen, die sich die reflectirende Langsamkeit und gewissen¬
hafte Schwerfälligkeit des deutschen Wesens da, wo es darauf ankommt eine
fertige Production gleichsam in die Oeffentlichkeit der Weltgeschichte hinaus
zu schicken, zu Nutze machten. Wie überall ist es vorzüglich das westliche
Nachbarvolk, das mit seiner angeborenen Frivolität oder richtiger mit dem
völligen Mangel aller sittlichen Bedenken gegen sich selbst und die eigene ab¬
solute Vortrefflichkeit, stets rasch bei der Hand war, wo es galt irgend eine
Evolution des allgemein europäischen Culturlebens in die Handgreiflichkeit des
wirklich Geschehenen oder Gealtetenumueen. Damit ita der ranöche


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[0422] Beweis nicht bloß für seine Hingebung an die Kirche und seine gutmüthig Gläubigkeit, sondern auch für den richtigen Jnstinct seiner Zunge und seines Magens gelten. Denn ohne Frage ist es im Vergleiche zu den sonst ge bräuchlichen Fleischsorten das mindest Schmack- und nahrhafte, so viel au seine Parteigänger zu seinem Lobe sagen mögen. Wäre dieß nicht den Eiferern der Kirche zu Hilfe gekommen, so würde ir oder unere Bauern noeute mit demelbenBeaenerdeei ver wg speisen, wie zur Zeit des heiligen Bonifaz oder Columban. Denn daß de Teufel in seiner Verkleidung mit allen möglichen Attributen und Besitztümern unserer eigenen volksthümlichen Götter auch der Pferdefuß zu Theil geworde ist, würde Niemand gehindert haben, sich an Roßschinken gütlich zu thun wenn er nur besseren Geschmackes gewesen wäre als der Schweinsschinken. Sonst ist gerade das Verhältniß der deutschen Volksseele zu dem Pfer so recht darnach angethan, um das Dauernde im Wechsel, die festen und ewige Typen, welche sie als im wesentlichen immer dieselbe durch allen fremden Wu wieder herstellt, recht zu veranschaulichen. Denn gewiß, uns gilt das Pferd nicht mehr als das Reitthier der Götter, wir füttern nicht mehr wie einst, Herden von weißen Rossen in heiligen Hainen, um aus ihrem Gewieher, ode aus dem Stampfen ihrer Hufe Orakel zu erhalten. Darüber und über s vieles andere, was die Naturanschauung der Vorzeit dem edelen Thiere in liebevoller Ueberschwänglichkeit andichtete und ebendeshalb anbetend verehrte, dürfen wir jetzt lächeln. Aber dicht neben der so sehr kleinen Schaar der völlig Aufge klärten und Nüchternen lagert sich unabsehbar über alle Hügel und Thäle das Heer der minder Gebildeten, der Ungebildeten und ganz Rohen. Und dies empfinden, wenn man ihre Sprache, ihre Sprichwörter, ihren Glauben — nicht den angelernten irgend einer offiziellen Kirche, sondern alles das, was ihre Seele als eine lebendig sie bewegende und stärker als sie selbst wirkende Macht empfindet — auch nicht viel anders die Natur des Pferdes, als sie ihre Voreltern zwei tausend Jahre früher empfunden haben. Nur die Formen diees Glaubens ndeändert,meitnitdurreieTat oder durch den activen Gestaltungsproceß des Volksgeistes selbst, sondern durch übermächtige Eindrücke fremder Typen, die sich die reflectirende Langsamkeit und gewissen¬ hafte Schwerfälligkeit des deutschen Wesens da, wo es darauf ankommt eine fertige Production gleichsam in die Oeffentlichkeit der Weltgeschichte hinaus zu schicken, zu Nutze machten. Wie überall ist es vorzüglich das westliche Nachbarvolk, das mit seiner angeborenen Frivolität oder richtiger mit dem völligen Mangel aller sittlichen Bedenken gegen sich selbst und die eigene ab¬ solute Vortrefflichkeit, stets rasch bei der Hand war, wo es galt irgend eine Evolution des allgemein europäischen Culturlebens in die Handgreiflichkeit des wirklich Geschehenen oder Gealtetenumueen. Damit ita der ranöche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/422>, abgerufen am 22.07.2024.