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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Zeiten und aus den verschiedensten Gegenden unseres Landes. Auf einmal
und an einer Stelle ist immer nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil davon
in Gebrauch gewesen, etwa höchstens ein Drittel davon, die übrigen würden
anderwärts und zu anderen Zeiten ebenso fremdartig geklungen haben wie
persische oder arabische Wörter. Der Forscher dagegen, dem es um die Er¬
kenntniß der deutschen Volksseele in ihrer Totalität zu thun ist, ist vollkommen
berechtigt, sie alle als deutsches Eigenthum anzusprechen, gerade so wie er auch
auf anderen Gebieten alle particulciren oder von der Zeit weggespülten Ge¬
bilde des deutschen Wesens als lebendige Bestandtheile desselben verwerthet.
Unter diesen drei und sechzig Namen sind drei und zwanzig, so viel man in
ihre Urbedeutung hineinsehen kann, von der Bewegung, als von der hervor¬
ragendsten körperlichen Eigenschaft des Thieres, entnommen, fast ebenso viel
beziehen sich auf die Geschlechts- und Altersunterschiede, eine kleinere Zahl auf
die Gestalt, einige auf die Stimme, das Gewieher, noch einige auf besondere
Eigenschaften, die nicht dem Individuum, sondern der Gattung zukommen.
Freilich sind unter diesen Namen eine nicht geringe Anzahl von entschieden
fremden, die erst durch auswärtige Cultureinflüsse in Deutschland eingebürgert
werden konnten. Hierin spiegelt die Sprache das Sachverhältniß zutreffend
ab. Denn, wie wir noch weiter zu bemerken Gelegenheit haben werden:
keines unserer wichtigsten Hausthiere ist in seinem ganzen BeHaben und in
der Art. wie sich der Mensch zu ihm verhält, so stark von der Mode des
Tages berührt, wie das Pferd. Schon darum darf es mit Recht als das
edelste und vornehmste von allen gelten, als dasjenige, was sich dem Menschen
in seinem Verhältniß zu den Culturbewegungen am nächsten stellt. Auf diese
Weise kann es nicht auffallen, daß selbst unsere populärste Bezeichnung, das
Wort "Pferd" dem spätlateinischen xaravereZus entlehnt, aber freilich nach
Inhalt und Form so angedeutscht ist, daß der naive Sprachinstinct es unbe¬
denklich als einheimisches Gut ansieht. Freilich erst seit einer verhältnißmäßig
d. h. nach geschichtlichem Maße kurzen Zeit, denn noch während des Mittel¬
alters ist sein wohlbekannter und vielgebrauchter sprachlicher Vorgänger xterkrit
(worin noch sehr deutlich die fremde Vorlage nachklingt) Msrit, xtert ein
Luxusthier, das zunächst nur innerhalb der Kreise des höfischen Lebens ge¬
bannt und gebraucht wird. Es ist das zum Reiten auf der Reise für die Ge¬
bildeten jener Zeit dressirte Thier, also mehr oder minder im Gegensatz zu
dem Streitroß und dem Ackergaul selbst die gebildetste Figur innerhalb der
ganzen Gattung. Seit dem Zusammenbruch der echt mittelalterlichen Bil¬
dung, "des höfischen Lebens", ist der Ausdruck wie so viele andere der feinen
Moden in gröbere Hände übergegangzn und dadurch von selbst vergröbert
worden. Merkwürdig aber bleibt es immer, daß doch ein großer Theil des
eigentlichen Volkes sich gegen dies Fremdwort spröde verhalten hat: im Süd-


Zeiten und aus den verschiedensten Gegenden unseres Landes. Auf einmal
und an einer Stelle ist immer nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil davon
in Gebrauch gewesen, etwa höchstens ein Drittel davon, die übrigen würden
anderwärts und zu anderen Zeiten ebenso fremdartig geklungen haben wie
persische oder arabische Wörter. Der Forscher dagegen, dem es um die Er¬
kenntniß der deutschen Volksseele in ihrer Totalität zu thun ist, ist vollkommen
berechtigt, sie alle als deutsches Eigenthum anzusprechen, gerade so wie er auch
auf anderen Gebieten alle particulciren oder von der Zeit weggespülten Ge¬
bilde des deutschen Wesens als lebendige Bestandtheile desselben verwerthet.
Unter diesen drei und sechzig Namen sind drei und zwanzig, so viel man in
ihre Urbedeutung hineinsehen kann, von der Bewegung, als von der hervor¬
ragendsten körperlichen Eigenschaft des Thieres, entnommen, fast ebenso viel
beziehen sich auf die Geschlechts- und Altersunterschiede, eine kleinere Zahl auf
die Gestalt, einige auf die Stimme, das Gewieher, noch einige auf besondere
Eigenschaften, die nicht dem Individuum, sondern der Gattung zukommen.
Freilich sind unter diesen Namen eine nicht geringe Anzahl von entschieden
fremden, die erst durch auswärtige Cultureinflüsse in Deutschland eingebürgert
werden konnten. Hierin spiegelt die Sprache das Sachverhältniß zutreffend
ab. Denn, wie wir noch weiter zu bemerken Gelegenheit haben werden:
keines unserer wichtigsten Hausthiere ist in seinem ganzen BeHaben und in
der Art. wie sich der Mensch zu ihm verhält, so stark von der Mode des
Tages berührt, wie das Pferd. Schon darum darf es mit Recht als das
edelste und vornehmste von allen gelten, als dasjenige, was sich dem Menschen
in seinem Verhältniß zu den Culturbewegungen am nächsten stellt. Auf diese
Weise kann es nicht auffallen, daß selbst unsere populärste Bezeichnung, das
Wort „Pferd" dem spätlateinischen xaravereZus entlehnt, aber freilich nach
Inhalt und Form so angedeutscht ist, daß der naive Sprachinstinct es unbe¬
denklich als einheimisches Gut ansieht. Freilich erst seit einer verhältnißmäßig
d. h. nach geschichtlichem Maße kurzen Zeit, denn noch während des Mittel¬
alters ist sein wohlbekannter und vielgebrauchter sprachlicher Vorgänger xterkrit
(worin noch sehr deutlich die fremde Vorlage nachklingt) Msrit, xtert ein
Luxusthier, das zunächst nur innerhalb der Kreise des höfischen Lebens ge¬
bannt und gebraucht wird. Es ist das zum Reiten auf der Reise für die Ge¬
bildeten jener Zeit dressirte Thier, also mehr oder minder im Gegensatz zu
dem Streitroß und dem Ackergaul selbst die gebildetste Figur innerhalb der
ganzen Gattung. Seit dem Zusammenbruch der echt mittelalterlichen Bil¬
dung, „des höfischen Lebens", ist der Ausdruck wie so viele andere der feinen
Moden in gröbere Hände übergegangzn und dadurch von selbst vergröbert
worden. Merkwürdig aber bleibt es immer, daß doch ein großer Theil des
eigentlichen Volkes sich gegen dies Fremdwort spröde verhalten hat: im Süd-


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[0416] Zeiten und aus den verschiedensten Gegenden unseres Landes. Auf einmal und an einer Stelle ist immer nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil davon in Gebrauch gewesen, etwa höchstens ein Drittel davon, die übrigen würden anderwärts und zu anderen Zeiten ebenso fremdartig geklungen haben wie persische oder arabische Wörter. Der Forscher dagegen, dem es um die Er¬ kenntniß der deutschen Volksseele in ihrer Totalität zu thun ist, ist vollkommen berechtigt, sie alle als deutsches Eigenthum anzusprechen, gerade so wie er auch auf anderen Gebieten alle particulciren oder von der Zeit weggespülten Ge¬ bilde des deutschen Wesens als lebendige Bestandtheile desselben verwerthet. Unter diesen drei und sechzig Namen sind drei und zwanzig, so viel man in ihre Urbedeutung hineinsehen kann, von der Bewegung, als von der hervor¬ ragendsten körperlichen Eigenschaft des Thieres, entnommen, fast ebenso viel beziehen sich auf die Geschlechts- und Altersunterschiede, eine kleinere Zahl auf die Gestalt, einige auf die Stimme, das Gewieher, noch einige auf besondere Eigenschaften, die nicht dem Individuum, sondern der Gattung zukommen. Freilich sind unter diesen Namen eine nicht geringe Anzahl von entschieden fremden, die erst durch auswärtige Cultureinflüsse in Deutschland eingebürgert werden konnten. Hierin spiegelt die Sprache das Sachverhältniß zutreffend ab. Denn, wie wir noch weiter zu bemerken Gelegenheit haben werden: keines unserer wichtigsten Hausthiere ist in seinem ganzen BeHaben und in der Art. wie sich der Mensch zu ihm verhält, so stark von der Mode des Tages berührt, wie das Pferd. Schon darum darf es mit Recht als das edelste und vornehmste von allen gelten, als dasjenige, was sich dem Menschen in seinem Verhältniß zu den Culturbewegungen am nächsten stellt. Auf diese Weise kann es nicht auffallen, daß selbst unsere populärste Bezeichnung, das Wort „Pferd" dem spätlateinischen xaravereZus entlehnt, aber freilich nach Inhalt und Form so angedeutscht ist, daß der naive Sprachinstinct es unbe¬ denklich als einheimisches Gut ansieht. Freilich erst seit einer verhältnißmäßig d. h. nach geschichtlichem Maße kurzen Zeit, denn noch während des Mittel¬ alters ist sein wohlbekannter und vielgebrauchter sprachlicher Vorgänger xterkrit (worin noch sehr deutlich die fremde Vorlage nachklingt) Msrit, xtert ein Luxusthier, das zunächst nur innerhalb der Kreise des höfischen Lebens ge¬ bannt und gebraucht wird. Es ist das zum Reiten auf der Reise für die Ge¬ bildeten jener Zeit dressirte Thier, also mehr oder minder im Gegensatz zu dem Streitroß und dem Ackergaul selbst die gebildetste Figur innerhalb der ganzen Gattung. Seit dem Zusammenbruch der echt mittelalterlichen Bil¬ dung, „des höfischen Lebens", ist der Ausdruck wie so viele andere der feinen Moden in gröbere Hände übergegangzn und dadurch von selbst vergröbert worden. Merkwürdig aber bleibt es immer, daß doch ein großer Theil des eigentlichen Volkes sich gegen dies Fremdwort spröde verhalten hat: im Süd-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/416>, abgerufen am 22.07.2024.