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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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sagen rein rationelle oder rationalistische und insofern relativ nicht alte,
wenigstens nicht uralte Entstehung dieses mythologischen Ausdrucks liegt auf
der Hand. Er ist, wie unzählige andere der Edda nichts weiter als das
Ergebniß speculativer Abstraction, die sich in die besondere Gestaltung des
germanischen Heidenthums im Norden zuletzt eindrängte. Schon deshalb wäre
es kaum zu glauben, daß er sich auch auf deutschem Boden fände, denn dieser ist,
so lange er noch dem Heidenthum gehörte, von solcher gelehrten oder gelehrt
sein wollenden Verbrämung ganz frei geblieben. Eine spätere Uebertragung
wäre vollends undenkbar. Aber rein linguistisch genommen, stehen noch
größere und geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege. Held, der
erste Theil des zweigliedrigen deutschen Wortes, sollte dann als die Ueber¬
setzung oder Uebertragung von Vig gelten; falls man Held in dem auch uns
noch geläufigen Sinn, sieghafter Kämpfer, nimmt, scheint dieß möglich. Ein
Blick aber auf die zahlreichen Ortsnamen, in denen dieses Held in der ältesten
Zeit erscheint, ergiebt, daß es damit nicht identificirt werden darf: es scheint
eine andere sachliche Bedeutung gehabt zu haben, ob wie Weigand will, die
von Hütte, die nachweislich auch in der gewöhnlichen Sprache des 11. Jahrh,
noch besteht, oder ob es mit dem Stamme unseres noch jetzt geläufigen
"Halde" etwas zu thun hat, lassen wir dahin gestellt. Der zweite Theil der
Verbindung kann aber durchaus nicht mit dem nord. Mr zusammengebracht
werden, er müßte denn jetzt "Reit" lauten. Ueberdieß ergiebt die urkundliche
Schreibung des fraglichen Stammes wenigstens für dessen zweiten Theil
sofort die richtige Erklärung. Er lautet nämlich "riet" unser noch jetzt
lebendiges "Ried", was wir in den verschiedensten Umformungen an un¬
zähligen Ortsnamen oder auch allein als selbständigen Ortsnamen zur Be¬
zeichnung der Bodenbeschaffenheit finden. Damit fällt die ganze Combination,
denn ein für den Kampf geeignetes Ried hat wenigstens mit dem Rosse nichts
zu thun, und ist überhaupt, wie ein Cavallerist am besten weiß, eine bedenk¬
liche Wahlstatt. Uebrigens wird der immerhin dunkele erste Theil des
Wortes, um dieß nur gelegentlich zu bemerken, nach der ältesten urkundlichen
Schreibung weder mit "Hslä, dsros", noch mit "II. tuZurium" etwas zu
thun haben. Der Name lautete ursprünglich Helriöt und das d ist wie so
oft in deutschen Mundarten nur zur Bequemlichkeit der Aussprache später
angeschoben. --

Ebenso wenig wird sich die versuchte Jdentificirung oder Anlehnung von
Hube oder Hufe an Huf, Pferdehuf und insofern die Erklärung jenes Agri-
culturausdruckes aus der symbolischen Bedeutung des Hufes rechtfertigen
lassen. Hube ist deutlich z. B. das griechische xH?r-i?, und hat ursprünglich
auch einen sehr verwandten Sinn, wenn man nur das griechische Wort nicht
mit unserm "Garten" übersetzt, wobei wir immer zunächst an eine zur Lust


sagen rein rationelle oder rationalistische und insofern relativ nicht alte,
wenigstens nicht uralte Entstehung dieses mythologischen Ausdrucks liegt auf
der Hand. Er ist, wie unzählige andere der Edda nichts weiter als das
Ergebniß speculativer Abstraction, die sich in die besondere Gestaltung des
germanischen Heidenthums im Norden zuletzt eindrängte. Schon deshalb wäre
es kaum zu glauben, daß er sich auch auf deutschem Boden fände, denn dieser ist,
so lange er noch dem Heidenthum gehörte, von solcher gelehrten oder gelehrt
sein wollenden Verbrämung ganz frei geblieben. Eine spätere Uebertragung
wäre vollends undenkbar. Aber rein linguistisch genommen, stehen noch
größere und geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege. Held, der
erste Theil des zweigliedrigen deutschen Wortes, sollte dann als die Ueber¬
setzung oder Uebertragung von Vig gelten; falls man Held in dem auch uns
noch geläufigen Sinn, sieghafter Kämpfer, nimmt, scheint dieß möglich. Ein
Blick aber auf die zahlreichen Ortsnamen, in denen dieses Held in der ältesten
Zeit erscheint, ergiebt, daß es damit nicht identificirt werden darf: es scheint
eine andere sachliche Bedeutung gehabt zu haben, ob wie Weigand will, die
von Hütte, die nachweislich auch in der gewöhnlichen Sprache des 11. Jahrh,
noch besteht, oder ob es mit dem Stamme unseres noch jetzt geläufigen
„Halde" etwas zu thun hat, lassen wir dahin gestellt. Der zweite Theil der
Verbindung kann aber durchaus nicht mit dem nord. Mr zusammengebracht
werden, er müßte denn jetzt „Reit" lauten. Ueberdieß ergiebt die urkundliche
Schreibung des fraglichen Stammes wenigstens für dessen zweiten Theil
sofort die richtige Erklärung. Er lautet nämlich „riet" unser noch jetzt
lebendiges „Ried", was wir in den verschiedensten Umformungen an un¬
zähligen Ortsnamen oder auch allein als selbständigen Ortsnamen zur Be¬
zeichnung der Bodenbeschaffenheit finden. Damit fällt die ganze Combination,
denn ein für den Kampf geeignetes Ried hat wenigstens mit dem Rosse nichts
zu thun, und ist überhaupt, wie ein Cavallerist am besten weiß, eine bedenk¬
liche Wahlstatt. Uebrigens wird der immerhin dunkele erste Theil des
Wortes, um dieß nur gelegentlich zu bemerken, nach der ältesten urkundlichen
Schreibung weder mit „Hslä, dsros", noch mit „II. tuZurium" etwas zu
thun haben. Der Name lautete ursprünglich Helriöt und das d ist wie so
oft in deutschen Mundarten nur zur Bequemlichkeit der Aussprache später
angeschoben. —

Ebenso wenig wird sich die versuchte Jdentificirung oder Anlehnung von
Hube oder Hufe an Huf, Pferdehuf und insofern die Erklärung jenes Agri-
culturausdruckes aus der symbolischen Bedeutung des Hufes rechtfertigen
lassen. Hube ist deutlich z. B. das griechische xH?r-i?, und hat ursprünglich
auch einen sehr verwandten Sinn, wenn man nur das griechische Wort nicht
mit unserm „Garten" übersetzt, wobei wir immer zunächst an eine zur Lust


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[0414] sagen rein rationelle oder rationalistische und insofern relativ nicht alte, wenigstens nicht uralte Entstehung dieses mythologischen Ausdrucks liegt auf der Hand. Er ist, wie unzählige andere der Edda nichts weiter als das Ergebniß speculativer Abstraction, die sich in die besondere Gestaltung des germanischen Heidenthums im Norden zuletzt eindrängte. Schon deshalb wäre es kaum zu glauben, daß er sich auch auf deutschem Boden fände, denn dieser ist, so lange er noch dem Heidenthum gehörte, von solcher gelehrten oder gelehrt sein wollenden Verbrämung ganz frei geblieben. Eine spätere Uebertragung wäre vollends undenkbar. Aber rein linguistisch genommen, stehen noch größere und geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege. Held, der erste Theil des zweigliedrigen deutschen Wortes, sollte dann als die Ueber¬ setzung oder Uebertragung von Vig gelten; falls man Held in dem auch uns noch geläufigen Sinn, sieghafter Kämpfer, nimmt, scheint dieß möglich. Ein Blick aber auf die zahlreichen Ortsnamen, in denen dieses Held in der ältesten Zeit erscheint, ergiebt, daß es damit nicht identificirt werden darf: es scheint eine andere sachliche Bedeutung gehabt zu haben, ob wie Weigand will, die von Hütte, die nachweislich auch in der gewöhnlichen Sprache des 11. Jahrh, noch besteht, oder ob es mit dem Stamme unseres noch jetzt geläufigen „Halde" etwas zu thun hat, lassen wir dahin gestellt. Der zweite Theil der Verbindung kann aber durchaus nicht mit dem nord. Mr zusammengebracht werden, er müßte denn jetzt „Reit" lauten. Ueberdieß ergiebt die urkundliche Schreibung des fraglichen Stammes wenigstens für dessen zweiten Theil sofort die richtige Erklärung. Er lautet nämlich „riet" unser noch jetzt lebendiges „Ried", was wir in den verschiedensten Umformungen an un¬ zähligen Ortsnamen oder auch allein als selbständigen Ortsnamen zur Be¬ zeichnung der Bodenbeschaffenheit finden. Damit fällt die ganze Combination, denn ein für den Kampf geeignetes Ried hat wenigstens mit dem Rosse nichts zu thun, und ist überhaupt, wie ein Cavallerist am besten weiß, eine bedenk¬ liche Wahlstatt. Uebrigens wird der immerhin dunkele erste Theil des Wortes, um dieß nur gelegentlich zu bemerken, nach der ältesten urkundlichen Schreibung weder mit „Hslä, dsros", noch mit „II. tuZurium" etwas zu thun haben. Der Name lautete ursprünglich Helriöt und das d ist wie so oft in deutschen Mundarten nur zur Bequemlichkeit der Aussprache später angeschoben. — Ebenso wenig wird sich die versuchte Jdentificirung oder Anlehnung von Hube oder Hufe an Huf, Pferdehuf und insofern die Erklärung jenes Agri- culturausdruckes aus der symbolischen Bedeutung des Hufes rechtfertigen lassen. Hube ist deutlich z. B. das griechische xH?r-i?, und hat ursprünglich auch einen sehr verwandten Sinn, wenn man nur das griechische Wort nicht mit unserm „Garten" übersetzt, wobei wir immer zunächst an eine zur Lust

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/414>, abgerufen am 25.07.2024.