Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kommen; denn der Schwerpunkt liegt nicht in den Millionen, die dabei zu
Verluste gehen, sondern in den Elementen, aus welchen diese Schwindelgeschäfte
hervorwuchsen, und in den Allianzen, welche dieselben fanden. So lange es
sich blos um ein finanzielles Unternehmen handelte, sah die öffentliche Mei¬
nung gelassen zu; man lächelte zwar über die verwegenen Spieler, aber Credit
ist eben ein subjectiver Begriff, den jeder gewähren mag, wie es ihm beliebt.
Doch dabei blieb die Entwicklung der ganzen Frage leider nicht stehen. Schon
wirthschaftlich betrachtet, wuchs sie in kolossale Dimensionen hinein; das
Schlimmste indessen war, daß sie bald zur politischen Parteisache erhoben
ward. In einer unbegreiflichen Verblendung, ohne Rücksicht auf den späteren
nothwendigen Zusammenbruch, identificirte die ultramontane Partei ihre
Interessen mit denen der Adele Spitzeder; der größte Theil der extremen Blätter
war mit Reclamen für sie gefüllt und sie selber gründete ein politisches Organ'
das sich dem Treiben von "Vaterland" und "Volksbote" würdig anschloß.

Seitdem die Sache in diese Bahnen gerathen war, nahm sie erst einen
akuten und wirklich bedrohlichen Charakter an; die Christianisirung des Capi¬
tals war nun die Parole, und das Weib, das mit dem Gelde der kleinen
Leute einen schwindelnden Luxus trieb, ward als "fromme Fee", als "Wohl¬
thäterin der Armen" u, tgi. vergöttert. Der Andrang zu ihrer Bank wuchs
in progressiven Dimensionen; ein Heer von Agenten und Bauernfängern war
bestellt, um die Ankömmlinge an die richtige Adresse zu dirigiren; daneben
aber tauchte eine ganze Menge von Concurrenz-Unternehmungen empor, die
pilzartig aus der Erde schössen und sämmtlich in kürzester Zeit zu schwung¬
vollen Betriebe kamen.

Die Calamität war keine geringe und die Regierung mußte auf die eine
oder andere Art bedacht sein, Abhilfe zu schaffen, wenn sie nicht neben dem
Capitale ihrer Unterthanen auch noch ihr eigenes Ansehen riskiren wollte.

Der Entschluß, einzuschreiten, ward ihr nicht leicht und die rechtliche Situa¬
tion lag nicht sehr günstig; man konnte ihr weder auf Grund des Gewerbe¬
gesetzes noch auf Grund des Handelsgesetzbuchs beikommen. Für eine Crimi-
naluntersuchung fehlte es an erreichbaren Anhaltspunkten, und ehe man
jenes oft genannte außerordentliche Verordnungsrecht der Negierung geltend
zu machen wagte, wollte man doch die weitere Entwicklung erwarten. Aber
die Entwicklung war eine jähe; zweimal nacheinander in rascher Folge erließ
das Ministerium eine Warnung, sich an derartigen Geschäften zu betheiligen,
dann erfolgte der Handgriff, der unvermeidlich war, wenn man die Sache
radikal sistiren wollte. Derselbe stand indessen mit den Gesetzen im vollkom¬
mensten Einklang, denn er war auf Art. 1193 der bayr. Civilproceßordnung
gestützt und wurde nicht von der Negierung sondern von den Gläubigern
provocirt. Ueber die Resultate, welche gegenwärtig von dem Gantgerichte


kommen; denn der Schwerpunkt liegt nicht in den Millionen, die dabei zu
Verluste gehen, sondern in den Elementen, aus welchen diese Schwindelgeschäfte
hervorwuchsen, und in den Allianzen, welche dieselben fanden. So lange es
sich blos um ein finanzielles Unternehmen handelte, sah die öffentliche Mei¬
nung gelassen zu; man lächelte zwar über die verwegenen Spieler, aber Credit
ist eben ein subjectiver Begriff, den jeder gewähren mag, wie es ihm beliebt.
Doch dabei blieb die Entwicklung der ganzen Frage leider nicht stehen. Schon
wirthschaftlich betrachtet, wuchs sie in kolossale Dimensionen hinein; das
Schlimmste indessen war, daß sie bald zur politischen Parteisache erhoben
ward. In einer unbegreiflichen Verblendung, ohne Rücksicht auf den späteren
nothwendigen Zusammenbruch, identificirte die ultramontane Partei ihre
Interessen mit denen der Adele Spitzeder; der größte Theil der extremen Blätter
war mit Reclamen für sie gefüllt und sie selber gründete ein politisches Organ'
das sich dem Treiben von „Vaterland" und „Volksbote" würdig anschloß.

Seitdem die Sache in diese Bahnen gerathen war, nahm sie erst einen
akuten und wirklich bedrohlichen Charakter an; die Christianisirung des Capi¬
tals war nun die Parole, und das Weib, das mit dem Gelde der kleinen
Leute einen schwindelnden Luxus trieb, ward als „fromme Fee", als „Wohl¬
thäterin der Armen" u, tgi. vergöttert. Der Andrang zu ihrer Bank wuchs
in progressiven Dimensionen; ein Heer von Agenten und Bauernfängern war
bestellt, um die Ankömmlinge an die richtige Adresse zu dirigiren; daneben
aber tauchte eine ganze Menge von Concurrenz-Unternehmungen empor, die
pilzartig aus der Erde schössen und sämmtlich in kürzester Zeit zu schwung¬
vollen Betriebe kamen.

Die Calamität war keine geringe und die Regierung mußte auf die eine
oder andere Art bedacht sein, Abhilfe zu schaffen, wenn sie nicht neben dem
Capitale ihrer Unterthanen auch noch ihr eigenes Ansehen riskiren wollte.

Der Entschluß, einzuschreiten, ward ihr nicht leicht und die rechtliche Situa¬
tion lag nicht sehr günstig; man konnte ihr weder auf Grund des Gewerbe¬
gesetzes noch auf Grund des Handelsgesetzbuchs beikommen. Für eine Crimi-
naluntersuchung fehlte es an erreichbaren Anhaltspunkten, und ehe man
jenes oft genannte außerordentliche Verordnungsrecht der Negierung geltend
zu machen wagte, wollte man doch die weitere Entwicklung erwarten. Aber
die Entwicklung war eine jähe; zweimal nacheinander in rascher Folge erließ
das Ministerium eine Warnung, sich an derartigen Geschäften zu betheiligen,
dann erfolgte der Handgriff, der unvermeidlich war, wenn man die Sache
radikal sistiren wollte. Derselbe stand indessen mit den Gesetzen im vollkom¬
mensten Einklang, denn er war auf Art. 1193 der bayr. Civilproceßordnung
gestützt und wurde nicht von der Negierung sondern von den Gläubigern
provocirt. Ueber die Resultate, welche gegenwärtig von dem Gantgerichte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128854"/>
          <p xml:id="ID_1293" prev="#ID_1292"> kommen; denn der Schwerpunkt liegt nicht in den Millionen, die dabei zu<lb/>
Verluste gehen, sondern in den Elementen, aus welchen diese Schwindelgeschäfte<lb/>
hervorwuchsen, und in den Allianzen, welche dieselben fanden. So lange es<lb/>
sich blos um ein finanzielles Unternehmen handelte, sah die öffentliche Mei¬<lb/>
nung gelassen zu; man lächelte zwar über die verwegenen Spieler, aber Credit<lb/>
ist eben ein subjectiver Begriff, den jeder gewähren mag, wie es ihm beliebt.<lb/>
Doch dabei blieb die Entwicklung der ganzen Frage leider nicht stehen. Schon<lb/>
wirthschaftlich betrachtet, wuchs sie in kolossale Dimensionen hinein; das<lb/>
Schlimmste indessen war, daß sie bald zur politischen Parteisache erhoben<lb/>
ward. In einer unbegreiflichen Verblendung, ohne Rücksicht auf den späteren<lb/>
nothwendigen Zusammenbruch, identificirte die ultramontane Partei ihre<lb/>
Interessen mit denen der Adele Spitzeder; der größte Theil der extremen Blätter<lb/>
war mit Reclamen für sie gefüllt und sie selber gründete ein politisches Organ'<lb/>
das sich dem Treiben von &#x201E;Vaterland" und &#x201E;Volksbote" würdig anschloß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1294"> Seitdem die Sache in diese Bahnen gerathen war, nahm sie erst einen<lb/>
akuten und wirklich bedrohlichen Charakter an; die Christianisirung des Capi¬<lb/>
tals war nun die Parole, und das Weib, das mit dem Gelde der kleinen<lb/>
Leute einen schwindelnden Luxus trieb, ward als &#x201E;fromme Fee", als &#x201E;Wohl¬<lb/>
thäterin der Armen" u, tgi. vergöttert. Der Andrang zu ihrer Bank wuchs<lb/>
in progressiven Dimensionen; ein Heer von Agenten und Bauernfängern war<lb/>
bestellt, um die Ankömmlinge an die richtige Adresse zu dirigiren; daneben<lb/>
aber tauchte eine ganze Menge von Concurrenz-Unternehmungen empor, die<lb/>
pilzartig aus der Erde schössen und sämmtlich in kürzester Zeit zu schwung¬<lb/>
vollen Betriebe kamen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1295"> Die Calamität war keine geringe und die Regierung mußte auf die eine<lb/>
oder andere Art bedacht sein, Abhilfe zu schaffen, wenn sie nicht neben dem<lb/>
Capitale ihrer Unterthanen auch noch ihr eigenes Ansehen riskiren wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1296" next="#ID_1297"> Der Entschluß, einzuschreiten, ward ihr nicht leicht und die rechtliche Situa¬<lb/>
tion lag nicht sehr günstig; man konnte ihr weder auf Grund des Gewerbe¬<lb/>
gesetzes noch auf Grund des Handelsgesetzbuchs beikommen. Für eine Crimi-<lb/>
naluntersuchung fehlte es an erreichbaren Anhaltspunkten, und ehe man<lb/>
jenes oft genannte außerordentliche Verordnungsrecht der Negierung geltend<lb/>
zu machen wagte, wollte man doch die weitere Entwicklung erwarten. Aber<lb/>
die Entwicklung war eine jähe; zweimal nacheinander in rascher Folge erließ<lb/>
das Ministerium eine Warnung, sich an derartigen Geschäften zu betheiligen,<lb/>
dann erfolgte der Handgriff, der unvermeidlich war, wenn man die Sache<lb/>
radikal sistiren wollte. Derselbe stand indessen mit den Gesetzen im vollkom¬<lb/>
mensten Einklang, denn er war auf Art. 1193 der bayr. Civilproceßordnung<lb/>
gestützt und wurde nicht von der Negierung sondern von den Gläubigern<lb/>
provocirt.  Ueber die Resultate, welche gegenwärtig von dem Gantgerichte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] kommen; denn der Schwerpunkt liegt nicht in den Millionen, die dabei zu Verluste gehen, sondern in den Elementen, aus welchen diese Schwindelgeschäfte hervorwuchsen, und in den Allianzen, welche dieselben fanden. So lange es sich blos um ein finanzielles Unternehmen handelte, sah die öffentliche Mei¬ nung gelassen zu; man lächelte zwar über die verwegenen Spieler, aber Credit ist eben ein subjectiver Begriff, den jeder gewähren mag, wie es ihm beliebt. Doch dabei blieb die Entwicklung der ganzen Frage leider nicht stehen. Schon wirthschaftlich betrachtet, wuchs sie in kolossale Dimensionen hinein; das Schlimmste indessen war, daß sie bald zur politischen Parteisache erhoben ward. In einer unbegreiflichen Verblendung, ohne Rücksicht auf den späteren nothwendigen Zusammenbruch, identificirte die ultramontane Partei ihre Interessen mit denen der Adele Spitzeder; der größte Theil der extremen Blätter war mit Reclamen für sie gefüllt und sie selber gründete ein politisches Organ' das sich dem Treiben von „Vaterland" und „Volksbote" würdig anschloß. Seitdem die Sache in diese Bahnen gerathen war, nahm sie erst einen akuten und wirklich bedrohlichen Charakter an; die Christianisirung des Capi¬ tals war nun die Parole, und das Weib, das mit dem Gelde der kleinen Leute einen schwindelnden Luxus trieb, ward als „fromme Fee", als „Wohl¬ thäterin der Armen" u, tgi. vergöttert. Der Andrang zu ihrer Bank wuchs in progressiven Dimensionen; ein Heer von Agenten und Bauernfängern war bestellt, um die Ankömmlinge an die richtige Adresse zu dirigiren; daneben aber tauchte eine ganze Menge von Concurrenz-Unternehmungen empor, die pilzartig aus der Erde schössen und sämmtlich in kürzester Zeit zu schwung¬ vollen Betriebe kamen. Die Calamität war keine geringe und die Regierung mußte auf die eine oder andere Art bedacht sein, Abhilfe zu schaffen, wenn sie nicht neben dem Capitale ihrer Unterthanen auch noch ihr eigenes Ansehen riskiren wollte. Der Entschluß, einzuschreiten, ward ihr nicht leicht und die rechtliche Situa¬ tion lag nicht sehr günstig; man konnte ihr weder auf Grund des Gewerbe¬ gesetzes noch auf Grund des Handelsgesetzbuchs beikommen. Für eine Crimi- naluntersuchung fehlte es an erreichbaren Anhaltspunkten, und ehe man jenes oft genannte außerordentliche Verordnungsrecht der Negierung geltend zu machen wagte, wollte man doch die weitere Entwicklung erwarten. Aber die Entwicklung war eine jähe; zweimal nacheinander in rascher Folge erließ das Ministerium eine Warnung, sich an derartigen Geschäften zu betheiligen, dann erfolgte der Handgriff, der unvermeidlich war, wenn man die Sache radikal sistiren wollte. Derselbe stand indessen mit den Gesetzen im vollkom¬ mensten Einklang, denn er war auf Art. 1193 der bayr. Civilproceßordnung gestützt und wurde nicht von der Negierung sondern von den Gläubigern provocirt. Ueber die Resultate, welche gegenwärtig von dem Gantgerichte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/400>, abgerufen am 30.06.2024.