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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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richt. Und zu alle dem kommt der tiefe und nachhaltige Eindruck, den die
Vorgänge in Berlin auf Bayern machten, der Funke, der aus den erhitzten
Gemüthern des Nordens über die Mainlinie herübersiel und die Gegensätze
zu neuem Bewußtsein und neuer Schärfe entsandte.

Fassen wir den Gesammteindruck zusammen, den uns die bayerischen Zu¬
stände in diesem Augenblicke machen, so geht durch dieselben ein viel kräfti¬
gerer Zug und eine raschere Aktion, als dies seit geraumer Zeit der Fall war.
Denn die Ministerkrisis mit ihrer endlosen einschläfernden Entwicklung hatte
einen Zustand von Apathie geschaffen, der nicht als gesundes Symptom er¬
scheinen konnte, mag man ihn nun als endliche Ermüdung oder als anfäng¬
liche Gleichgültigkeit betrachten. Daß diese Stimmung sich fortsetzen würde,
stand zu befürchten, da zumal das neue Cabinet im Anfange gar leise trat und
da auf einen kräftigen Anstoß von Außen nicht zu rechnen war.

Bald indessen schlug die Stimmung um, die bis in die Mitte des vo¬
rigen Monats hineinreichte. Es kam ein schärferer, ja fast ein scharfer Wind,
der Bewegung in die stagnirenden Verhältnisse brachte. Die Regierung zog
die Zügel fester, und in den regungslosen Massen begann es wieder zu vi-
briren.

Den Mittelpunkt der Aktion und der Agitation bildete wie es in Bayern
selbstverständlich ist, die kirchliche Frage; hier war der Streit auf mehreren
Gebieten gleichzeitig entbrannt.

Die ersten fulminanten Scenen die wir hier im Auge haben, spielten
auf dem rauhen Boden der katholischen Bauernvereine. Dieselben waren seit
geraumer Zeit ein Gegenstand der heftigsten Polemik, aber die Polemik war
bisher nur von den Liberalen ausgegangen, die mit richtigem Blick die Ge¬
fahr erkannten, welche aus einer corporativen Einigung der gröbsten Massen
hervorgeht. Nun wandte sich mit einemmale das Blatt, nun kamen plötzlich
aus dem katholischen Lager selbst und zwar von Seite des geistlichen Ober¬
hirten die heftigsten Angriffe gegen die Wirksamkeit jener Bauernvereine. Die
Thatsache um die es sich handelt, ist bekannt; man weiß, daß es der Bischof
von Passau war, der jene erbitterte Fehde begann, aber welche Bedeutung sie
für die gesammten Zustände Bayerns hat, das weiß man wohl nur im
eigenen Lande. Die tiefe Zerrissenheit, welche die ultramontane Partei be¬
herrscht, erhielt damit ihre letzte und schwerste Bestätigung; denn die äußerste
Rechte, welche bisher schon mit den Gemäßigten, mit der Regierung und mit
den reinen Partikularsten jede Gemeinschaft zerrissen hat, trat nun auch gegen
die bischöfliche Autorität in offenem Kampf ein. Sie nahm den Fehdehand¬
schuh, den Heinrich von Passau ihr hingeworfen, ohne Bedenken auf und er¬
widerte die schweren Anklagen in einem Tone, der wahrhaftig an die Barri¬
kaden mahnte.


richt. Und zu alle dem kommt der tiefe und nachhaltige Eindruck, den die
Vorgänge in Berlin auf Bayern machten, der Funke, der aus den erhitzten
Gemüthern des Nordens über die Mainlinie herübersiel und die Gegensätze
zu neuem Bewußtsein und neuer Schärfe entsandte.

Fassen wir den Gesammteindruck zusammen, den uns die bayerischen Zu¬
stände in diesem Augenblicke machen, so geht durch dieselben ein viel kräfti¬
gerer Zug und eine raschere Aktion, als dies seit geraumer Zeit der Fall war.
Denn die Ministerkrisis mit ihrer endlosen einschläfernden Entwicklung hatte
einen Zustand von Apathie geschaffen, der nicht als gesundes Symptom er¬
scheinen konnte, mag man ihn nun als endliche Ermüdung oder als anfäng¬
liche Gleichgültigkeit betrachten. Daß diese Stimmung sich fortsetzen würde,
stand zu befürchten, da zumal das neue Cabinet im Anfange gar leise trat und
da auf einen kräftigen Anstoß von Außen nicht zu rechnen war.

Bald indessen schlug die Stimmung um, die bis in die Mitte des vo¬
rigen Monats hineinreichte. Es kam ein schärferer, ja fast ein scharfer Wind,
der Bewegung in die stagnirenden Verhältnisse brachte. Die Regierung zog
die Zügel fester, und in den regungslosen Massen begann es wieder zu vi-
briren.

Den Mittelpunkt der Aktion und der Agitation bildete wie es in Bayern
selbstverständlich ist, die kirchliche Frage; hier war der Streit auf mehreren
Gebieten gleichzeitig entbrannt.

Die ersten fulminanten Scenen die wir hier im Auge haben, spielten
auf dem rauhen Boden der katholischen Bauernvereine. Dieselben waren seit
geraumer Zeit ein Gegenstand der heftigsten Polemik, aber die Polemik war
bisher nur von den Liberalen ausgegangen, die mit richtigem Blick die Ge¬
fahr erkannten, welche aus einer corporativen Einigung der gröbsten Massen
hervorgeht. Nun wandte sich mit einemmale das Blatt, nun kamen plötzlich
aus dem katholischen Lager selbst und zwar von Seite des geistlichen Ober¬
hirten die heftigsten Angriffe gegen die Wirksamkeit jener Bauernvereine. Die
Thatsache um die es sich handelt, ist bekannt; man weiß, daß es der Bischof
von Passau war, der jene erbitterte Fehde begann, aber welche Bedeutung sie
für die gesammten Zustände Bayerns hat, das weiß man wohl nur im
eigenen Lande. Die tiefe Zerrissenheit, welche die ultramontane Partei be¬
herrscht, erhielt damit ihre letzte und schwerste Bestätigung; denn die äußerste
Rechte, welche bisher schon mit den Gemäßigten, mit der Regierung und mit
den reinen Partikularsten jede Gemeinschaft zerrissen hat, trat nun auch gegen
die bischöfliche Autorität in offenem Kampf ein. Sie nahm den Fehdehand¬
schuh, den Heinrich von Passau ihr hingeworfen, ohne Bedenken auf und er¬
widerte die schweren Anklagen in einem Tone, der wahrhaftig an die Barri¬
kaden mahnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/396>, abgerufen am 22.07.2024.