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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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mehr. Lehre Du mein Herz. Deinen Willen so zu lieben, daß ich nicht länger
danach frage, was seiner Bestimmung nach sein oder nicht sein soll, und still
in seiner Heiligkeit ruhe." Stellen gleich dieser, welche in jedes Erbauungsbuch
paßten, finden sich in allen Büchern Macdonald's, Wilfrid Cumbermeder
aber ist vorzugsweise reich daran. Die Natur- und Charakterschilderungen
sind mit dem gleichen Ernst behandelt. Am ergreifendsten von den letztern
ist die des jungen Ungläubigen, welchen die starre Do^naeit seines Vaters in
den Zweifel und zuletzt in die Verzweiflung hineintreibe.

Das, was die Engländer plot und wir Verwicklung nennen, ist dagegen
unbedeutend. Eine Heirath, die zu beweisen bleibt, ein unechter Baronet im
Besitz, wo er nicht sein sollte, und der ächte Erbe, nämlich Wilfrid, draußen,
wo er ebenfalls nicht sein sollte -- das ist Alles. Wo die Engländer ihre
plots hernehmen, wenn die Heirathen je besser regulirt werden sollten oder
gar das Erstgeburtsrecht einst aufgehoben würde, das ist schwer vorherzusagen.
Nachdem das geknechtete Italien frei geworden und weder der Krimkrieg noch
der indische Aufstand eine Katastrophe mehr herzugeben haben, ist die bri¬
tische Erfindung mit aller Liebe zu der heimlichen Heirath und zu dem ver¬
drängten Erben zurückgekehrt. Auch "H.. Lud^s ok (IIg,g8 do Hobin-
soiv' (vol. 33--34) ruht auf der bekannten Heirath und dem unbekannten Erben.
Nur ist zum Glück die Heirath eine ausnahmsweise honette und der Erbe ein
Original. Außerdem hat der Verfasser es verstanden, uns das ganze erste
Buch hindurch in athemloser Spannung zu erhalten und später als diese
dem ruhigen Lesen weichen muß, uns durch vortreffliche Charakterschilderung
zu entschädigen und zu fesseln.

Daß er weder heimliche Heirathen. noch verdrängte Erben anwendet, ist
der große Vorzug von Anthony Trollope. Bei ihm kommen die Erben
immer ganz ordentlich zu dem Ihrigen, wenn überhaupt etwas zu vererben
ist, und die Heirathen geschehen sämmtlich auf vorschriftsmäßigen Wege, wenn
sie nicht auseinandergehen. Die Heirath, welche auseinandergeht, weil ent¬
weder das Mädchen oder der Mann sich eines Anderen, und nicht immer
eines Bessern besinnt, ist der ti'ick Anthony Trollope's. In Husta";
vismonäs" (vol. 35 -- 36) bereuen nicht weniger als drei Männer ihren
Antrag unmittelbar nachdem sie ihn gemacht haben, eine Braut sagt am
Hochzeitsmorgen Nein und die Heldin selbst erklärt drei Verehrern ihre Liebe,
d. h. ihre Bereitwilligkeit, sich mit dem, welcher eben da ist, zu verehlichen,
und bekommt keinen einzigen. Man ist förmlich froh, daß sie zuletzt wenig¬
stens einen Vierten kriegt, daß noch eine zweite Heirath zu Stande kommt,
und daß die Diamanten gestohlen werden. Die Diamanten, welche in Form
eines Halsbandes 10.000 Pfund Sterling werth sind, und die kleine Heldin,
welche gar nichts werth ist, füllen die beiden Bände. Allerdings fehlen alte


mehr. Lehre Du mein Herz. Deinen Willen so zu lieben, daß ich nicht länger
danach frage, was seiner Bestimmung nach sein oder nicht sein soll, und still
in seiner Heiligkeit ruhe." Stellen gleich dieser, welche in jedes Erbauungsbuch
paßten, finden sich in allen Büchern Macdonald's, Wilfrid Cumbermeder
aber ist vorzugsweise reich daran. Die Natur- und Charakterschilderungen
sind mit dem gleichen Ernst behandelt. Am ergreifendsten von den letztern
ist die des jungen Ungläubigen, welchen die starre Do^naeit seines Vaters in
den Zweifel und zuletzt in die Verzweiflung hineintreibe.

Das, was die Engländer plot und wir Verwicklung nennen, ist dagegen
unbedeutend. Eine Heirath, die zu beweisen bleibt, ein unechter Baronet im
Besitz, wo er nicht sein sollte, und der ächte Erbe, nämlich Wilfrid, draußen,
wo er ebenfalls nicht sein sollte — das ist Alles. Wo die Engländer ihre
plots hernehmen, wenn die Heirathen je besser regulirt werden sollten oder
gar das Erstgeburtsrecht einst aufgehoben würde, das ist schwer vorherzusagen.
Nachdem das geknechtete Italien frei geworden und weder der Krimkrieg noch
der indische Aufstand eine Katastrophe mehr herzugeben haben, ist die bri¬
tische Erfindung mit aller Liebe zu der heimlichen Heirath und zu dem ver¬
drängten Erben zurückgekehrt. Auch „H.. Lud^s ok (IIg,g8 do Hobin-
soiv' (vol. 33—34) ruht auf der bekannten Heirath und dem unbekannten Erben.
Nur ist zum Glück die Heirath eine ausnahmsweise honette und der Erbe ein
Original. Außerdem hat der Verfasser es verstanden, uns das ganze erste
Buch hindurch in athemloser Spannung zu erhalten und später als diese
dem ruhigen Lesen weichen muß, uns durch vortreffliche Charakterschilderung
zu entschädigen und zu fesseln.

Daß er weder heimliche Heirathen. noch verdrängte Erben anwendet, ist
der große Vorzug von Anthony Trollope. Bei ihm kommen die Erben
immer ganz ordentlich zu dem Ihrigen, wenn überhaupt etwas zu vererben
ist, und die Heirathen geschehen sämmtlich auf vorschriftsmäßigen Wege, wenn
sie nicht auseinandergehen. Die Heirath, welche auseinandergeht, weil ent¬
weder das Mädchen oder der Mann sich eines Anderen, und nicht immer
eines Bessern besinnt, ist der ti'ick Anthony Trollope's. In Husta«;
vismonäs" (vol. 35 — 36) bereuen nicht weniger als drei Männer ihren
Antrag unmittelbar nachdem sie ihn gemacht haben, eine Braut sagt am
Hochzeitsmorgen Nein und die Heldin selbst erklärt drei Verehrern ihre Liebe,
d. h. ihre Bereitwilligkeit, sich mit dem, welcher eben da ist, zu verehlichen,
und bekommt keinen einzigen. Man ist förmlich froh, daß sie zuletzt wenig¬
stens einen Vierten kriegt, daß noch eine zweite Heirath zu Stande kommt,
und daß die Diamanten gestohlen werden. Die Diamanten, welche in Form
eines Halsbandes 10.000 Pfund Sterling werth sind, und die kleine Heldin,
welche gar nichts werth ist, füllen die beiden Bände. Allerdings fehlen alte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/394>, abgerufen am 22.07.2024.