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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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dieser Hoffnung leben. Freilich gehört sehr viel dazu, um das oberschlefische
Schulwesen aus seiner gänzlichen Verwahrlosung auf einen einigermaßen leid¬
lichen Stand zu bringen. Zuerst sehr viel Geld zu besserer Dotirung der
vorhandenen Stellen, denn für 60 Thlr. jährlichen Gehalt entschließt sich selbst
in Oberschlesien heutzutage Niemand zu verhungern, noch dazu unter fort¬
währenden Aergernissen und Mühsalen. Zweitens noch viel mehr Geld zur
Creirung und Ausstattung neuer Stellen, deren der Regierungsbezirk Oppeln,
eine Bevölkerung von etwa 900,000 Seelen, nach dem Durchschnitt des übrigen
Schlesiens etwa 3--400, vielleicht auch noch mehr bedürfte. Dazu noch einige
Seminarien, da die vorhandenen nicht entfernt genügen. Geschieht dieß alles
und wird es im Laufe der Jahre möglich, einen ausreichenden Zufluß von
Candidaten dahin zu lenken, so ist für die statistischen Tabellen und für die
Commisstonsberichte in den Kammern vielleicht etwas gewonnen, für die
Sache selbst, für den Kampf gegen das unbändig sich aufbäumende Slaven-
thum gar nichts, so lange die Allmacht des Clerus in bisheriger Weise fort¬
dauert oder gar, wie es nach natürlichen Gesetzen zu erwarten steht, sich noch
fester einfrißt. Durch das vielbesprochene Schulaufsichtsgesetz wird er nicht im
mindesten gehindert, die Seelen der schulpflichtigen Eltern und Kinder von
der Schule und der in ihr vertretenen deutschen Bildung abzuwenden. Man
wird sie, wenn die Polizei ihre Schuldigkeit thut, exacter als bisher in die
Schule hineinzwingen können, aber keine Gewalt der Erde kann verhüten, daß
sie nicht das Gift, was dort in sie eingeflößt wird, so schnell wie möglich
wieder aus ihrem System herauszudestilliren versuchen sollten, wozu der na¬
tionale Schnaps und der nationale Fetischismus, den man Katholicismus
nennt, völlig ausreichen.

Auch hier also ist es an letzter Stelle eine gründliche Reform des Clerus,
die allein Heil bringen könnte. Daß davon fürs erste trotz der officiellen
Ausweisung der jesuitischen Wanderprediger und ihres ungeheuerlichen und
revolutionären Unfugs in diesem Winkel nicht zu denken ist, versteht sich von
selbst. Der oberschlefische Clerus ist durch und durch schulfeindlich, weil er,
wie der gesammte deutsche katholische Clerus, die Begriffe von Bildung und
Unterricht auf der einen Seite und von deutsch-nationalem Geiste und Pro¬
testantismus oder Ketzerei auf der anderen Seite identificier. Er ist national
slavisch oder jetzt mit einer von uns schon neulich beleuchteten höchst staats¬
gefährlichen Escamotage der Begriffe slavisch und polnisch propagandistisch¬
polnisch gesinnt, weil er die Begriffe Polenthum und Stupidität identificirt.
Er ist es auch dann, wenn er aus deutschem Blute stammt: in majorem vel
xioriam wird dies verleugnet und mit Füßen getreten. Geschieht dies ja ge¬
rade hier auf recht eclatante Weise von den obersten Spitzen des Clerus selbst,
warum sollte der gemeine Troß es anders halten? So um nur ein neuestes


dieser Hoffnung leben. Freilich gehört sehr viel dazu, um das oberschlefische
Schulwesen aus seiner gänzlichen Verwahrlosung auf einen einigermaßen leid¬
lichen Stand zu bringen. Zuerst sehr viel Geld zu besserer Dotirung der
vorhandenen Stellen, denn für 60 Thlr. jährlichen Gehalt entschließt sich selbst
in Oberschlesien heutzutage Niemand zu verhungern, noch dazu unter fort¬
währenden Aergernissen und Mühsalen. Zweitens noch viel mehr Geld zur
Creirung und Ausstattung neuer Stellen, deren der Regierungsbezirk Oppeln,
eine Bevölkerung von etwa 900,000 Seelen, nach dem Durchschnitt des übrigen
Schlesiens etwa 3—400, vielleicht auch noch mehr bedürfte. Dazu noch einige
Seminarien, da die vorhandenen nicht entfernt genügen. Geschieht dieß alles
und wird es im Laufe der Jahre möglich, einen ausreichenden Zufluß von
Candidaten dahin zu lenken, so ist für die statistischen Tabellen und für die
Commisstonsberichte in den Kammern vielleicht etwas gewonnen, für die
Sache selbst, für den Kampf gegen das unbändig sich aufbäumende Slaven-
thum gar nichts, so lange die Allmacht des Clerus in bisheriger Weise fort¬
dauert oder gar, wie es nach natürlichen Gesetzen zu erwarten steht, sich noch
fester einfrißt. Durch das vielbesprochene Schulaufsichtsgesetz wird er nicht im
mindesten gehindert, die Seelen der schulpflichtigen Eltern und Kinder von
der Schule und der in ihr vertretenen deutschen Bildung abzuwenden. Man
wird sie, wenn die Polizei ihre Schuldigkeit thut, exacter als bisher in die
Schule hineinzwingen können, aber keine Gewalt der Erde kann verhüten, daß
sie nicht das Gift, was dort in sie eingeflößt wird, so schnell wie möglich
wieder aus ihrem System herauszudestilliren versuchen sollten, wozu der na¬
tionale Schnaps und der nationale Fetischismus, den man Katholicismus
nennt, völlig ausreichen.

Auch hier also ist es an letzter Stelle eine gründliche Reform des Clerus,
die allein Heil bringen könnte. Daß davon fürs erste trotz der officiellen
Ausweisung der jesuitischen Wanderprediger und ihres ungeheuerlichen und
revolutionären Unfugs in diesem Winkel nicht zu denken ist, versteht sich von
selbst. Der oberschlefische Clerus ist durch und durch schulfeindlich, weil er,
wie der gesammte deutsche katholische Clerus, die Begriffe von Bildung und
Unterricht auf der einen Seite und von deutsch-nationalem Geiste und Pro¬
testantismus oder Ketzerei auf der anderen Seite identificier. Er ist national
slavisch oder jetzt mit einer von uns schon neulich beleuchteten höchst staats¬
gefährlichen Escamotage der Begriffe slavisch und polnisch propagandistisch¬
polnisch gesinnt, weil er die Begriffe Polenthum und Stupidität identificirt.
Er ist es auch dann, wenn er aus deutschem Blute stammt: in majorem vel
xioriam wird dies verleugnet und mit Füßen getreten. Geschieht dies ja ge¬
rade hier auf recht eclatante Weise von den obersten Spitzen des Clerus selbst,
warum sollte der gemeine Troß es anders halten? So um nur ein neuestes


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[0039] dieser Hoffnung leben. Freilich gehört sehr viel dazu, um das oberschlefische Schulwesen aus seiner gänzlichen Verwahrlosung auf einen einigermaßen leid¬ lichen Stand zu bringen. Zuerst sehr viel Geld zu besserer Dotirung der vorhandenen Stellen, denn für 60 Thlr. jährlichen Gehalt entschließt sich selbst in Oberschlesien heutzutage Niemand zu verhungern, noch dazu unter fort¬ währenden Aergernissen und Mühsalen. Zweitens noch viel mehr Geld zur Creirung und Ausstattung neuer Stellen, deren der Regierungsbezirk Oppeln, eine Bevölkerung von etwa 900,000 Seelen, nach dem Durchschnitt des übrigen Schlesiens etwa 3—400, vielleicht auch noch mehr bedürfte. Dazu noch einige Seminarien, da die vorhandenen nicht entfernt genügen. Geschieht dieß alles und wird es im Laufe der Jahre möglich, einen ausreichenden Zufluß von Candidaten dahin zu lenken, so ist für die statistischen Tabellen und für die Commisstonsberichte in den Kammern vielleicht etwas gewonnen, für die Sache selbst, für den Kampf gegen das unbändig sich aufbäumende Slaven- thum gar nichts, so lange die Allmacht des Clerus in bisheriger Weise fort¬ dauert oder gar, wie es nach natürlichen Gesetzen zu erwarten steht, sich noch fester einfrißt. Durch das vielbesprochene Schulaufsichtsgesetz wird er nicht im mindesten gehindert, die Seelen der schulpflichtigen Eltern und Kinder von der Schule und der in ihr vertretenen deutschen Bildung abzuwenden. Man wird sie, wenn die Polizei ihre Schuldigkeit thut, exacter als bisher in die Schule hineinzwingen können, aber keine Gewalt der Erde kann verhüten, daß sie nicht das Gift, was dort in sie eingeflößt wird, so schnell wie möglich wieder aus ihrem System herauszudestilliren versuchen sollten, wozu der na¬ tionale Schnaps und der nationale Fetischismus, den man Katholicismus nennt, völlig ausreichen. Auch hier also ist es an letzter Stelle eine gründliche Reform des Clerus, die allein Heil bringen könnte. Daß davon fürs erste trotz der officiellen Ausweisung der jesuitischen Wanderprediger und ihres ungeheuerlichen und revolutionären Unfugs in diesem Winkel nicht zu denken ist, versteht sich von selbst. Der oberschlefische Clerus ist durch und durch schulfeindlich, weil er, wie der gesammte deutsche katholische Clerus, die Begriffe von Bildung und Unterricht auf der einen Seite und von deutsch-nationalem Geiste und Pro¬ testantismus oder Ketzerei auf der anderen Seite identificier. Er ist national slavisch oder jetzt mit einer von uns schon neulich beleuchteten höchst staats¬ gefährlichen Escamotage der Begriffe slavisch und polnisch propagandistisch¬ polnisch gesinnt, weil er die Begriffe Polenthum und Stupidität identificirt. Er ist es auch dann, wenn er aus deutschem Blute stammt: in majorem vel xioriam wird dies verleugnet und mit Füßen getreten. Geschieht dies ja ge¬ rade hier auf recht eclatante Weise von den obersten Spitzen des Clerus selbst, warum sollte der gemeine Troß es anders halten? So um nur ein neuestes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/39>, abgerufen am 03.07.2024.