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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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stark sein. Folgt aus dem Bemerkten auch, daß die Unterthanen dem König
großen Gehorsam schulden, so ist doch eben dadurch zugleich der Beweis er¬
bracht, daß noch größer der Gehorsam ist, den die Könige dem Staate und
seinen Gesetzen schuldig sind, da der Staat (immer das Volk) über den
Königen steht."

Wir könnten die Behauptung, daß eine Anzahl angesehener Jesuiten ge¬
gelehrt haben, es stehe den Völkern zu, ihre Könige abzusetzen und die Füsten-
würde abzuschaffen, als mit dem Gesagten erwiesen betrachten und die Sache
damit für erledigt ansehen. Aber dieselbe Lehre kommt bei einigen von den
genannten jesuitischen Vätern sowie bei andern Schriftstellern des Ordens
noch in Verbindung mit der Behauptung vor, daß der Mord von Tyrannen
erlaubt sei. Ehe wir zu dieser letzteren übergehen, müssen wir noch einen
Punkt kurz besprechen, der zum Verständniß derselben nicht unwesentlich bei¬
zutragen geeignet scheint.

Bellarmin behandelt diesen Gegenstand namentlich vom kirchlichen
Standpunkte in seinem Buche: "vo liomcmo ?ontiKee", wo es heißt: "Das
kirchliche Gemeinwesen muß vollkommen sein und sich selbst genügen für seinen
Zweck; denn so sind alle wohlgeordneten Staaten eingerichtet. Also muß
es alle Gewalt haben, welche zur Erreichung seines Zweckes erforderlich ist.
Nothwendig aber ist für den geistlichen Zweck die Gewalt, sich der weltlichen
Dinge zu bedienen und über sie zu verfügen, weil ja sonst böse Fürsten un¬
gestraft die Ketzer in Schutz nehmen und die Religion zu Grunde richten
könnten. Folglich hat die Kirche diese Gewalt." "Ferner kann jeder Staat,
weil er vollkommen sein und sich selbst genügen muß, einem andern ihm nicht
unterworfenen Staate Befehle ertheilen und ihn zwingen, seine Regierung zu
verändern, ja auch seinen Fürsten abzusetzen und einen andern zu wählen,
wenn er sich nicht auf anderem Wege gegen dessen Beleidigungen sichern kann.
(Eine völkerrechtliche Maxime, die in der Praxis allerdings oft verwirklicht
worden, mit dem Katechismus der Legitimisten aber nicht in Einklang zu
bringen und im Grunde nichts Anderes als die Proclamirung des Rechts der
Stärkeren ist.) Der geistliche Staat wird das um so mehr dem weltlichen,
ihm unterworfenen befehlen und ihn nöthigen können, seine Verwaltung zu
ändern, seine Könige abzusetzen und andere zu wählen, wenn er sein geist¬
liches Wohl nicht auf andere Weise zu schützen vermag." Von der Kirche
gelangt der Autor dann folgerecht zu den christlichen Völkern, denen er nicht
nur das Recht, sondern auch die Pflicht beilegt, ketzerische und ungläubige
Könige zu stürzen. "Wenn die Christen", so fügt er hinzu, "vordem den
Nero, den Diocletian, den Julian und den Valens nicht absetzten, so unter¬
blieb dies nicht deshalb, weil ihnen die Befugniß, sondern weil ihnen die
Macht dazu mangelte."

Aehnlich wie Vellarmin äußern sich über den Gegenstand eine große


stark sein. Folgt aus dem Bemerkten auch, daß die Unterthanen dem König
großen Gehorsam schulden, so ist doch eben dadurch zugleich der Beweis er¬
bracht, daß noch größer der Gehorsam ist, den die Könige dem Staate und
seinen Gesetzen schuldig sind, da der Staat (immer das Volk) über den
Königen steht."

Wir könnten die Behauptung, daß eine Anzahl angesehener Jesuiten ge¬
gelehrt haben, es stehe den Völkern zu, ihre Könige abzusetzen und die Füsten-
würde abzuschaffen, als mit dem Gesagten erwiesen betrachten und die Sache
damit für erledigt ansehen. Aber dieselbe Lehre kommt bei einigen von den
genannten jesuitischen Vätern sowie bei andern Schriftstellern des Ordens
noch in Verbindung mit der Behauptung vor, daß der Mord von Tyrannen
erlaubt sei. Ehe wir zu dieser letzteren übergehen, müssen wir noch einen
Punkt kurz besprechen, der zum Verständniß derselben nicht unwesentlich bei¬
zutragen geeignet scheint.

Bellarmin behandelt diesen Gegenstand namentlich vom kirchlichen
Standpunkte in seinem Buche: „vo liomcmo ?ontiKee", wo es heißt: „Das
kirchliche Gemeinwesen muß vollkommen sein und sich selbst genügen für seinen
Zweck; denn so sind alle wohlgeordneten Staaten eingerichtet. Also muß
es alle Gewalt haben, welche zur Erreichung seines Zweckes erforderlich ist.
Nothwendig aber ist für den geistlichen Zweck die Gewalt, sich der weltlichen
Dinge zu bedienen und über sie zu verfügen, weil ja sonst böse Fürsten un¬
gestraft die Ketzer in Schutz nehmen und die Religion zu Grunde richten
könnten. Folglich hat die Kirche diese Gewalt." „Ferner kann jeder Staat,
weil er vollkommen sein und sich selbst genügen muß, einem andern ihm nicht
unterworfenen Staate Befehle ertheilen und ihn zwingen, seine Regierung zu
verändern, ja auch seinen Fürsten abzusetzen und einen andern zu wählen,
wenn er sich nicht auf anderem Wege gegen dessen Beleidigungen sichern kann.
(Eine völkerrechtliche Maxime, die in der Praxis allerdings oft verwirklicht
worden, mit dem Katechismus der Legitimisten aber nicht in Einklang zu
bringen und im Grunde nichts Anderes als die Proclamirung des Rechts der
Stärkeren ist.) Der geistliche Staat wird das um so mehr dem weltlichen,
ihm unterworfenen befehlen und ihn nöthigen können, seine Verwaltung zu
ändern, seine Könige abzusetzen und andere zu wählen, wenn er sein geist¬
liches Wohl nicht auf andere Weise zu schützen vermag." Von der Kirche
gelangt der Autor dann folgerecht zu den christlichen Völkern, denen er nicht
nur das Recht, sondern auch die Pflicht beilegt, ketzerische und ungläubige
Könige zu stürzen. „Wenn die Christen", so fügt er hinzu, „vordem den
Nero, den Diocletian, den Julian und den Valens nicht absetzten, so unter¬
blieb dies nicht deshalb, weil ihnen die Befugniß, sondern weil ihnen die
Macht dazu mangelte."

Aehnlich wie Vellarmin äußern sich über den Gegenstand eine große


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[0378] stark sein. Folgt aus dem Bemerkten auch, daß die Unterthanen dem König großen Gehorsam schulden, so ist doch eben dadurch zugleich der Beweis er¬ bracht, daß noch größer der Gehorsam ist, den die Könige dem Staate und seinen Gesetzen schuldig sind, da der Staat (immer das Volk) über den Königen steht." Wir könnten die Behauptung, daß eine Anzahl angesehener Jesuiten ge¬ gelehrt haben, es stehe den Völkern zu, ihre Könige abzusetzen und die Füsten- würde abzuschaffen, als mit dem Gesagten erwiesen betrachten und die Sache damit für erledigt ansehen. Aber dieselbe Lehre kommt bei einigen von den genannten jesuitischen Vätern sowie bei andern Schriftstellern des Ordens noch in Verbindung mit der Behauptung vor, daß der Mord von Tyrannen erlaubt sei. Ehe wir zu dieser letzteren übergehen, müssen wir noch einen Punkt kurz besprechen, der zum Verständniß derselben nicht unwesentlich bei¬ zutragen geeignet scheint. Bellarmin behandelt diesen Gegenstand namentlich vom kirchlichen Standpunkte in seinem Buche: „vo liomcmo ?ontiKee", wo es heißt: „Das kirchliche Gemeinwesen muß vollkommen sein und sich selbst genügen für seinen Zweck; denn so sind alle wohlgeordneten Staaten eingerichtet. Also muß es alle Gewalt haben, welche zur Erreichung seines Zweckes erforderlich ist. Nothwendig aber ist für den geistlichen Zweck die Gewalt, sich der weltlichen Dinge zu bedienen und über sie zu verfügen, weil ja sonst böse Fürsten un¬ gestraft die Ketzer in Schutz nehmen und die Religion zu Grunde richten könnten. Folglich hat die Kirche diese Gewalt." „Ferner kann jeder Staat, weil er vollkommen sein und sich selbst genügen muß, einem andern ihm nicht unterworfenen Staate Befehle ertheilen und ihn zwingen, seine Regierung zu verändern, ja auch seinen Fürsten abzusetzen und einen andern zu wählen, wenn er sich nicht auf anderem Wege gegen dessen Beleidigungen sichern kann. (Eine völkerrechtliche Maxime, die in der Praxis allerdings oft verwirklicht worden, mit dem Katechismus der Legitimisten aber nicht in Einklang zu bringen und im Grunde nichts Anderes als die Proclamirung des Rechts der Stärkeren ist.) Der geistliche Staat wird das um so mehr dem weltlichen, ihm unterworfenen befehlen und ihn nöthigen können, seine Verwaltung zu ändern, seine Könige abzusetzen und andere zu wählen, wenn er sein geist¬ liches Wohl nicht auf andere Weise zu schützen vermag." Von der Kirche gelangt der Autor dann folgerecht zu den christlichen Völkern, denen er nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht beilegt, ketzerische und ungläubige Könige zu stürzen. „Wenn die Christen", so fügt er hinzu, „vordem den Nero, den Diocletian, den Julian und den Valens nicht absetzten, so unter¬ blieb dies nicht deshalb, weil ihnen die Befugniß, sondern weil ihnen die Macht dazu mangelte." Aehnlich wie Vellarmin äußern sich über den Gegenstand eine große

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/378>, abgerufen am 22.07.2024.