Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und ihm, wofern es nöthig , das Leben nehmen, wenn das Volk nicht die
größere Gewalt zurückbehalten hätte, als es dem König dessen Antheil abtrat."

Wir fragen nicht, wie viel an diesem Raisonnement richtig ist. Aber wir
dürfen wohl fragen, ist das die Sprache eines Legitimisten, eines getreuen
Hüters der Völker vor der Revolution, oder nicht vielmehr die eines Vorläufers
Rousseau's und der Redner im Jacobiner-Club von 1790? Der Convent er¬
klärte Ludwig den Sechzehnten für einen Tyrannen, der Convent vertrat das
französische Volk, und was würde der Jesuit Mariana dazu gesagt haben!
wenn er statt 1690 erst 1790 geschrieben hätte? Nun, er hätte einfach der
Vertretung der Franzosen haben Recht geben müssen, als sie ihren König
köpften, weil sie ihn für einen Tyrannen hielten und -- weil sie mehr Macht
hatten als ihr König.

Die Frage endlich, ob ein Souverain auch den Gesetzen unterworfen sei,
beantwortet Mariana folgendermaßen: "Der König bilde sich nicht ein, daß
er weniger unter dem Gesetz stehe, als jeder Unterthan oder Adelige, zumal
da mehrere Gesetze nicht von dem Fürsten, sondern von dem ganzen Volke ge¬
geben sind, dessen Ansehen und dessen Gewalt in Befehlen und Gebieten größer
sind als die des Königs, wie wir oben gezeigt haben. Solchen Gesetzen muß
der König also nicht allein gehorchen, sondern er darf sie ohne Einwilligung des
Volkes nicht einmal abändern. Ja, das Volk kann den König zwingen, die Ge¬
setze zu erfüllen, die es erlassen hat, und es ist befugt, den Ungehorsamen vom
Throne zu stürzen und ihn, wofern es nöthig ist, mit dem Tode zu bestrafen."

Nun denn, wenn ein Orden, der solche Lehren in seiner Mitte entstehen
und wachsen sah, der keinerlei Einspruch dagegen that, der ihnen durch einen
seiner höchsten Würdenträger vielmehr seine Approbation ertheilte, wenn die
Gesellschaft Jesu, welche die Bolkssouveränetät in ihrer flachsten und gröbsten
Auffassung und mit ihren furchtbarsten Consequenzen, genau im Sinne von
Marat und Se. Just, vortrug und geltend machen wollte, uns jetzt als Damm
und Mauer gegen die Ausbreitung, als zuverlässigste Verbündete im Kampfe
gegen die Anwendung solcher Lehren angepriesen wird -- dürfen wir uns
dann nicht die Frage genehmigen, ob Leute, die uns dergleichen Lob und Em¬
pfehlung zu Gehör geben, ihre fünf Sinne noch beisammen haben, oder, wenn
dieß vorauszusetzen, ob sie in ihrer unaussprechlichen Dreistigkeit vermuthen,
wir hätten an den unsrigen Schaden gelitten?

Wir sind aber noch lange nicht zu Ende mit unsern Citaten aus der
Jesuitenliteratur, und es werden viel gefährlichere Dinge aufs Tapet kommen.

In der Zeit, wo in Frankreich die Ligue gegen Heinrich den Dritten und
den von diesem zu seinem Nachfolger bestimmten Heinrich von Navarra ge¬
schlossen wurde, veröffentlichte der Jesuit Wilhelm Rosseus oder, wie er
eigentlich hieß, Rcnnold ein Buch, welches im Tone des glühendsten Fana¬
tismus die staatsgefährlichen Lehren von Bellarmin, Lainez und Mariana


und ihm, wofern es nöthig , das Leben nehmen, wenn das Volk nicht die
größere Gewalt zurückbehalten hätte, als es dem König dessen Antheil abtrat."

Wir fragen nicht, wie viel an diesem Raisonnement richtig ist. Aber wir
dürfen wohl fragen, ist das die Sprache eines Legitimisten, eines getreuen
Hüters der Völker vor der Revolution, oder nicht vielmehr die eines Vorläufers
Rousseau's und der Redner im Jacobiner-Club von 1790? Der Convent er¬
klärte Ludwig den Sechzehnten für einen Tyrannen, der Convent vertrat das
französische Volk, und was würde der Jesuit Mariana dazu gesagt haben!
wenn er statt 1690 erst 1790 geschrieben hätte? Nun, er hätte einfach der
Vertretung der Franzosen haben Recht geben müssen, als sie ihren König
köpften, weil sie ihn für einen Tyrannen hielten und — weil sie mehr Macht
hatten als ihr König.

Die Frage endlich, ob ein Souverain auch den Gesetzen unterworfen sei,
beantwortet Mariana folgendermaßen: „Der König bilde sich nicht ein, daß
er weniger unter dem Gesetz stehe, als jeder Unterthan oder Adelige, zumal
da mehrere Gesetze nicht von dem Fürsten, sondern von dem ganzen Volke ge¬
geben sind, dessen Ansehen und dessen Gewalt in Befehlen und Gebieten größer
sind als die des Königs, wie wir oben gezeigt haben. Solchen Gesetzen muß
der König also nicht allein gehorchen, sondern er darf sie ohne Einwilligung des
Volkes nicht einmal abändern. Ja, das Volk kann den König zwingen, die Ge¬
setze zu erfüllen, die es erlassen hat, und es ist befugt, den Ungehorsamen vom
Throne zu stürzen und ihn, wofern es nöthig ist, mit dem Tode zu bestrafen."

Nun denn, wenn ein Orden, der solche Lehren in seiner Mitte entstehen
und wachsen sah, der keinerlei Einspruch dagegen that, der ihnen durch einen
seiner höchsten Würdenträger vielmehr seine Approbation ertheilte, wenn die
Gesellschaft Jesu, welche die Bolkssouveränetät in ihrer flachsten und gröbsten
Auffassung und mit ihren furchtbarsten Consequenzen, genau im Sinne von
Marat und Se. Just, vortrug und geltend machen wollte, uns jetzt als Damm
und Mauer gegen die Ausbreitung, als zuverlässigste Verbündete im Kampfe
gegen die Anwendung solcher Lehren angepriesen wird — dürfen wir uns
dann nicht die Frage genehmigen, ob Leute, die uns dergleichen Lob und Em¬
pfehlung zu Gehör geben, ihre fünf Sinne noch beisammen haben, oder, wenn
dieß vorauszusetzen, ob sie in ihrer unaussprechlichen Dreistigkeit vermuthen,
wir hätten an den unsrigen Schaden gelitten?

Wir sind aber noch lange nicht zu Ende mit unsern Citaten aus der
Jesuitenliteratur, und es werden viel gefährlichere Dinge aufs Tapet kommen.

In der Zeit, wo in Frankreich die Ligue gegen Heinrich den Dritten und
den von diesem zu seinem Nachfolger bestimmten Heinrich von Navarra ge¬
schlossen wurde, veröffentlichte der Jesuit Wilhelm Rosseus oder, wie er
eigentlich hieß, Rcnnold ein Buch, welches im Tone des glühendsten Fana¬
tismus die staatsgefährlichen Lehren von Bellarmin, Lainez und Mariana


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128829"/>
          <p xml:id="ID_1198" prev="#ID_1197"> und ihm, wofern es nöthig , das Leben nehmen, wenn das Volk nicht die<lb/>
größere Gewalt zurückbehalten hätte, als es dem König dessen Antheil abtrat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1199"> Wir fragen nicht, wie viel an diesem Raisonnement richtig ist. Aber wir<lb/>
dürfen wohl fragen, ist das die Sprache eines Legitimisten, eines getreuen<lb/>
Hüters der Völker vor der Revolution, oder nicht vielmehr die eines Vorläufers<lb/>
Rousseau's und der Redner im Jacobiner-Club von 1790? Der Convent er¬<lb/>
klärte Ludwig den Sechzehnten für einen Tyrannen, der Convent vertrat das<lb/>
französische Volk, und was würde der Jesuit Mariana dazu gesagt haben!<lb/>
wenn er statt 1690 erst 1790 geschrieben hätte? Nun, er hätte einfach der<lb/>
Vertretung der Franzosen haben Recht geben müssen, als sie ihren König<lb/>
köpften, weil sie ihn für einen Tyrannen hielten und &#x2014; weil sie mehr Macht<lb/>
hatten als ihr König.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1200"> Die Frage endlich, ob ein Souverain auch den Gesetzen unterworfen sei,<lb/>
beantwortet Mariana folgendermaßen: &#x201E;Der König bilde sich nicht ein, daß<lb/>
er weniger unter dem Gesetz stehe, als jeder Unterthan oder Adelige, zumal<lb/>
da mehrere Gesetze nicht von dem Fürsten, sondern von dem ganzen Volke ge¬<lb/>
geben sind, dessen Ansehen und dessen Gewalt in Befehlen und Gebieten größer<lb/>
sind als die des Königs, wie wir oben gezeigt haben. Solchen Gesetzen muß<lb/>
der König also nicht allein gehorchen, sondern er darf sie ohne Einwilligung des<lb/>
Volkes nicht einmal abändern. Ja, das Volk kann den König zwingen, die Ge¬<lb/>
setze zu erfüllen, die es erlassen hat, und es ist befugt, den Ungehorsamen vom<lb/>
Throne zu stürzen und ihn, wofern es nöthig ist, mit dem Tode zu bestrafen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1201"> Nun denn, wenn ein Orden, der solche Lehren in seiner Mitte entstehen<lb/>
und wachsen sah, der keinerlei Einspruch dagegen that, der ihnen durch einen<lb/>
seiner höchsten Würdenträger vielmehr seine Approbation ertheilte, wenn die<lb/>
Gesellschaft Jesu, welche die Bolkssouveränetät in ihrer flachsten und gröbsten<lb/>
Auffassung und mit ihren furchtbarsten Consequenzen, genau im Sinne von<lb/>
Marat und Se. Just, vortrug und geltend machen wollte, uns jetzt als Damm<lb/>
und Mauer gegen die Ausbreitung, als zuverlässigste Verbündete im Kampfe<lb/>
gegen die Anwendung solcher Lehren angepriesen wird &#x2014; dürfen wir uns<lb/>
dann nicht die Frage genehmigen, ob Leute, die uns dergleichen Lob und Em¬<lb/>
pfehlung zu Gehör geben, ihre fünf Sinne noch beisammen haben, oder, wenn<lb/>
dieß vorauszusetzen, ob sie in ihrer unaussprechlichen Dreistigkeit vermuthen,<lb/>
wir hätten an den unsrigen Schaden gelitten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1202"> Wir sind aber noch lange nicht zu Ende mit unsern Citaten aus der<lb/>
Jesuitenliteratur, und es werden viel gefährlichere Dinge aufs Tapet kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1203" next="#ID_1204"> In der Zeit, wo in Frankreich die Ligue gegen Heinrich den Dritten und<lb/>
den von diesem zu seinem Nachfolger bestimmten Heinrich von Navarra ge¬<lb/>
schlossen wurde, veröffentlichte der Jesuit Wilhelm Rosseus oder, wie er<lb/>
eigentlich hieß, Rcnnold ein Buch, welches im Tone des glühendsten Fana¬<lb/>
tismus die staatsgefährlichen Lehren von Bellarmin, Lainez und Mariana</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0375] und ihm, wofern es nöthig , das Leben nehmen, wenn das Volk nicht die größere Gewalt zurückbehalten hätte, als es dem König dessen Antheil abtrat." Wir fragen nicht, wie viel an diesem Raisonnement richtig ist. Aber wir dürfen wohl fragen, ist das die Sprache eines Legitimisten, eines getreuen Hüters der Völker vor der Revolution, oder nicht vielmehr die eines Vorläufers Rousseau's und der Redner im Jacobiner-Club von 1790? Der Convent er¬ klärte Ludwig den Sechzehnten für einen Tyrannen, der Convent vertrat das französische Volk, und was würde der Jesuit Mariana dazu gesagt haben! wenn er statt 1690 erst 1790 geschrieben hätte? Nun, er hätte einfach der Vertretung der Franzosen haben Recht geben müssen, als sie ihren König köpften, weil sie ihn für einen Tyrannen hielten und — weil sie mehr Macht hatten als ihr König. Die Frage endlich, ob ein Souverain auch den Gesetzen unterworfen sei, beantwortet Mariana folgendermaßen: „Der König bilde sich nicht ein, daß er weniger unter dem Gesetz stehe, als jeder Unterthan oder Adelige, zumal da mehrere Gesetze nicht von dem Fürsten, sondern von dem ganzen Volke ge¬ geben sind, dessen Ansehen und dessen Gewalt in Befehlen und Gebieten größer sind als die des Königs, wie wir oben gezeigt haben. Solchen Gesetzen muß der König also nicht allein gehorchen, sondern er darf sie ohne Einwilligung des Volkes nicht einmal abändern. Ja, das Volk kann den König zwingen, die Ge¬ setze zu erfüllen, die es erlassen hat, und es ist befugt, den Ungehorsamen vom Throne zu stürzen und ihn, wofern es nöthig ist, mit dem Tode zu bestrafen." Nun denn, wenn ein Orden, der solche Lehren in seiner Mitte entstehen und wachsen sah, der keinerlei Einspruch dagegen that, der ihnen durch einen seiner höchsten Würdenträger vielmehr seine Approbation ertheilte, wenn die Gesellschaft Jesu, welche die Bolkssouveränetät in ihrer flachsten und gröbsten Auffassung und mit ihren furchtbarsten Consequenzen, genau im Sinne von Marat und Se. Just, vortrug und geltend machen wollte, uns jetzt als Damm und Mauer gegen die Ausbreitung, als zuverlässigste Verbündete im Kampfe gegen die Anwendung solcher Lehren angepriesen wird — dürfen wir uns dann nicht die Frage genehmigen, ob Leute, die uns dergleichen Lob und Em¬ pfehlung zu Gehör geben, ihre fünf Sinne noch beisammen haben, oder, wenn dieß vorauszusetzen, ob sie in ihrer unaussprechlichen Dreistigkeit vermuthen, wir hätten an den unsrigen Schaden gelitten? Wir sind aber noch lange nicht zu Ende mit unsern Citaten aus der Jesuitenliteratur, und es werden viel gefährlichere Dinge aufs Tapet kommen. In der Zeit, wo in Frankreich die Ligue gegen Heinrich den Dritten und den von diesem zu seinem Nachfolger bestimmten Heinrich von Navarra ge¬ schlossen wurde, veröffentlichte der Jesuit Wilhelm Rosseus oder, wie er eigentlich hieß, Rcnnold ein Buch, welches im Tone des glühendsten Fana¬ tismus die staatsgefährlichen Lehren von Bellarmin, Lainez und Mariana

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/375
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/375>, abgerufen am 22.07.2024.