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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wenn es ihren Verfasser einen "Humoristen" nennt. Humor die Fülle steckt
ja unzweifelhaft darin. Aber so hoch wir den echten Humor psychologisch und
künstlerisch stellen, aus dieser -- beiläufig bemerkt ganz zufälligen -- Auswahl
von Blättern des Hendschel'schen Skizzenbuches ist doch weit mehr ersichtlich
als ein köstlicher Humor, der auch da wo er weniger berechtigt oder gelungen
erscheint, (wie z. B. in den Blättern "Rabbiner", "Seifenmännchen" u. s w.)
niemals zur Karrikatur oder Fratze herabsinkt. Vielmehr spricht uns aus allen
Hendschel'schen Skizzen, den launigen wie den ernsten eine gewaltige poetisch e
Kraft an, die Scherz und Ernst des Deutschen Volkslebens gleich mächtig zu
durchdringen weiß.

Wir würden in detaillirte Erörterungen und Schilderungen jedes einzelnen
Blattes eintreten müssen, wenn wir mehr als allgemeine Gesichtspunkte hier
anregen wollten. Und dabei würden wir doch den Meisten nur Bekanntes
schildern, den Wenigen aber, die das prächtige Werk noch nicht kennen, doch
im entferntesten nicht eine treue Vorstellung von dem Inhalt dieser Blätter
bieten können. Wir begnügen uns daher mit zwei Worten. Einmal mit der
Bemerkung, daß die Wahl der Photographie hier als Vervielfältigungsmittel im
Gegensatz zum Holzschnitt nur sehr gebilligt werden kann, wenn sie auch viel¬
leicht den Preis etwas vertheuert. Denn sie vermittelt die wirklichen Ideen,
die wirklichen Linien des Künstlers, nicht jenes matte Surrogat derselben, das
die xylographische Anstalt zu bieten vermag, nachdem des Künstlers Zeichnung
"geschnitten" worden. Und zweitens ist nur mittels der Photographie -- die
beiläufig bemerkt als Fachleistung hier ganz vorzüglich vertreten ist -- möglich
gewesen, das Hendschel'sche Skizzenbuch so wie es leibt und lebt und geworden
ist, nachzubilden. Denn "Skizzen" sind diese Blätter nicht etwa in dem Sinne
einer anmaßlichen Bescheidenheit des Künstlers, der eine vollendete Leistung für
Skizzen ausgeben möchte, um bet dem Beschauer die bewunderndste gradatio
!l minoro aä limjus zu erzeugen. "Skizzen" sind es auch wieder nicht in dem
Sinne, daß der Künstler, etwa wie mancher Andere, dem Publikum mit rüh¬
render Offenheit darin gesteht: für Euch ist die Skizze immer noch gut genug;
kein Strich mehr wird daran gemacht. Nein, wir glauben nicht zu irren, wenn
wir annehmen, daß Albert Hendschel, indem er seine Skizzen veröffentlichte,
nur aussprechen wollte: Vollendetes soll es nicht sein, wohl aber soll
das Publikum ihm nachspüren können, wie und warum er so geschaffen
hat. Die sichtbaren Spuren früher anders gezogener Umrisse vieler seiner Ge¬
stalten offenbaren dem aufmerksamen Beschauer, warum der Künstler den
jetzigen Contouren den Vorzug gab. Dieser Einblick in den geistigen Werde¬
proceß dieser Schöpfungen ist mit das Jnteressanteste an dem schönen Werke.
Denn er gestattet einen werthvollen Rückschluß auf das selbstprüfende fein¬
sinnig sichtende Urtheil des Künstlers.


wenn es ihren Verfasser einen „Humoristen" nennt. Humor die Fülle steckt
ja unzweifelhaft darin. Aber so hoch wir den echten Humor psychologisch und
künstlerisch stellen, aus dieser — beiläufig bemerkt ganz zufälligen — Auswahl
von Blättern des Hendschel'schen Skizzenbuches ist doch weit mehr ersichtlich
als ein köstlicher Humor, der auch da wo er weniger berechtigt oder gelungen
erscheint, (wie z. B. in den Blättern „Rabbiner", „Seifenmännchen" u. s w.)
niemals zur Karrikatur oder Fratze herabsinkt. Vielmehr spricht uns aus allen
Hendschel'schen Skizzen, den launigen wie den ernsten eine gewaltige poetisch e
Kraft an, die Scherz und Ernst des Deutschen Volkslebens gleich mächtig zu
durchdringen weiß.

Wir würden in detaillirte Erörterungen und Schilderungen jedes einzelnen
Blattes eintreten müssen, wenn wir mehr als allgemeine Gesichtspunkte hier
anregen wollten. Und dabei würden wir doch den Meisten nur Bekanntes
schildern, den Wenigen aber, die das prächtige Werk noch nicht kennen, doch
im entferntesten nicht eine treue Vorstellung von dem Inhalt dieser Blätter
bieten können. Wir begnügen uns daher mit zwei Worten. Einmal mit der
Bemerkung, daß die Wahl der Photographie hier als Vervielfältigungsmittel im
Gegensatz zum Holzschnitt nur sehr gebilligt werden kann, wenn sie auch viel¬
leicht den Preis etwas vertheuert. Denn sie vermittelt die wirklichen Ideen,
die wirklichen Linien des Künstlers, nicht jenes matte Surrogat derselben, das
die xylographische Anstalt zu bieten vermag, nachdem des Künstlers Zeichnung
„geschnitten" worden. Und zweitens ist nur mittels der Photographie — die
beiläufig bemerkt als Fachleistung hier ganz vorzüglich vertreten ist — möglich
gewesen, das Hendschel'sche Skizzenbuch so wie es leibt und lebt und geworden
ist, nachzubilden. Denn „Skizzen" sind diese Blätter nicht etwa in dem Sinne
einer anmaßlichen Bescheidenheit des Künstlers, der eine vollendete Leistung für
Skizzen ausgeben möchte, um bet dem Beschauer die bewunderndste gradatio
!l minoro aä limjus zu erzeugen. „Skizzen" sind es auch wieder nicht in dem
Sinne, daß der Künstler, etwa wie mancher Andere, dem Publikum mit rüh¬
render Offenheit darin gesteht: für Euch ist die Skizze immer noch gut genug;
kein Strich mehr wird daran gemacht. Nein, wir glauben nicht zu irren, wenn
wir annehmen, daß Albert Hendschel, indem er seine Skizzen veröffentlichte,
nur aussprechen wollte: Vollendetes soll es nicht sein, wohl aber soll
das Publikum ihm nachspüren können, wie und warum er so geschaffen
hat. Die sichtbaren Spuren früher anders gezogener Umrisse vieler seiner Ge¬
stalten offenbaren dem aufmerksamen Beschauer, warum der Künstler den
jetzigen Contouren den Vorzug gab. Dieser Einblick in den geistigen Werde¬
proceß dieser Schöpfungen ist mit das Jnteressanteste an dem schönen Werke.
Denn er gestattet einen werthvollen Rückschluß auf das selbstprüfende fein¬
sinnig sichtende Urtheil des Künstlers.


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[0365] wenn es ihren Verfasser einen „Humoristen" nennt. Humor die Fülle steckt ja unzweifelhaft darin. Aber so hoch wir den echten Humor psychologisch und künstlerisch stellen, aus dieser — beiläufig bemerkt ganz zufälligen — Auswahl von Blättern des Hendschel'schen Skizzenbuches ist doch weit mehr ersichtlich als ein köstlicher Humor, der auch da wo er weniger berechtigt oder gelungen erscheint, (wie z. B. in den Blättern „Rabbiner", „Seifenmännchen" u. s w.) niemals zur Karrikatur oder Fratze herabsinkt. Vielmehr spricht uns aus allen Hendschel'schen Skizzen, den launigen wie den ernsten eine gewaltige poetisch e Kraft an, die Scherz und Ernst des Deutschen Volkslebens gleich mächtig zu durchdringen weiß. Wir würden in detaillirte Erörterungen und Schilderungen jedes einzelnen Blattes eintreten müssen, wenn wir mehr als allgemeine Gesichtspunkte hier anregen wollten. Und dabei würden wir doch den Meisten nur Bekanntes schildern, den Wenigen aber, die das prächtige Werk noch nicht kennen, doch im entferntesten nicht eine treue Vorstellung von dem Inhalt dieser Blätter bieten können. Wir begnügen uns daher mit zwei Worten. Einmal mit der Bemerkung, daß die Wahl der Photographie hier als Vervielfältigungsmittel im Gegensatz zum Holzschnitt nur sehr gebilligt werden kann, wenn sie auch viel¬ leicht den Preis etwas vertheuert. Denn sie vermittelt die wirklichen Ideen, die wirklichen Linien des Künstlers, nicht jenes matte Surrogat derselben, das die xylographische Anstalt zu bieten vermag, nachdem des Künstlers Zeichnung „geschnitten" worden. Und zweitens ist nur mittels der Photographie — die beiläufig bemerkt als Fachleistung hier ganz vorzüglich vertreten ist — möglich gewesen, das Hendschel'sche Skizzenbuch so wie es leibt und lebt und geworden ist, nachzubilden. Denn „Skizzen" sind diese Blätter nicht etwa in dem Sinne einer anmaßlichen Bescheidenheit des Künstlers, der eine vollendete Leistung für Skizzen ausgeben möchte, um bet dem Beschauer die bewunderndste gradatio !l minoro aä limjus zu erzeugen. „Skizzen" sind es auch wieder nicht in dem Sinne, daß der Künstler, etwa wie mancher Andere, dem Publikum mit rüh¬ render Offenheit darin gesteht: für Euch ist die Skizze immer noch gut genug; kein Strich mehr wird daran gemacht. Nein, wir glauben nicht zu irren, wenn wir annehmen, daß Albert Hendschel, indem er seine Skizzen veröffentlichte, nur aussprechen wollte: Vollendetes soll es nicht sein, wohl aber soll das Publikum ihm nachspüren können, wie und warum er so geschaffen hat. Die sichtbaren Spuren früher anders gezogener Umrisse vieler seiner Ge¬ stalten offenbaren dem aufmerksamen Beschauer, warum der Künstler den jetzigen Contouren den Vorzug gab. Dieser Einblick in den geistigen Werde¬ proceß dieser Schöpfungen ist mit das Jnteressanteste an dem schönen Werke. Denn er gestattet einen werthvollen Rückschluß auf das selbstprüfende fein¬ sinnig sichtende Urtheil des Künstlers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/365>, abgerufen am 30.06.2024.