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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Albert Hendschel ist geboren 1834 zu Frankfurt a. M., als zweiter Sohn
seines ebenerwähnten Vaters. Er besuchte zuerst ein Privatinstitut, dann das
Gymnasium seiner Vaterstadt, zugleich den Elementarunterricht indem berühmten
Staedel'schen Kunstinstitut, da er schon frühzeitig große Neigung und manches
Geschick zu künstlerischem Treiben zeigte, das sich durch kein Stirnrunzeln und
durch keine wohlgemeinte Warnung seiner gestrengen Gymnasialprofessoren
unterdrücken ließ. Im Gegentheil förderte die Pedanterie so manches alten
Pädagogen unfreiwillig den Darstellungstrieb des Schülers auf einem ganz
andern Gebiete als demjenigen klassischer Exercitien. Da entstanden höchst un¬
klassische Randzeichnungen zu Ovid als Illustrationen zu den gelehrten Er¬
läuterungen des braven Professors. Und sie müssen schon damals die bewun¬
dernde Aufmerksamkeit der kleinen Zeitgenossen erregt haben, denn der rand¬
gezeichnete Ovid ist seither spurlos verschwunden. Da wurden Männlein und
Weiblein beweglich von Hendschel in Wachs modellirr und an einem Haar zu
fröhlichem Tanze veranlaßt, während der Gestrenge auf dem Katheder vielleicht
eben die tragische Geschichte der Niobe erläuterte, bis ein plötzliches lautes
Kichern der Jugend ihn herablockte vom Olymp. Dann saßen Alle so un¬
schuldig da, und auch die sorgfältigste Nachforschung ergab nichts. Denn
Männlein und Weiblein waren längst an den Haaren ins Tintenfaß versenkt
und harrten zu gelegenerer Zeit ihrer schwarzen Auferstehung.

Im Jahre 1847 trat A. Hendschel ganz in die Kunstschule des Staedel'schen
Instituts über, und zeichnete, nach Beendigung des Elementarunterrichts unter
Prof. Jac. Becker, nach der Antike unter Passavant und E. secirte. Hieran
reihten sich die Modell-(Akt-)Studien unter dem Bildhauer I. N. Zwerger,
E. E. Schäffer und E. Seelilie. Nach solcher Vorbildung ging Hendschel in
die Malschule des Prof. Becker über, dessen Specialschüler er bis 1865 blieb.
Dazwischen wurden natürlich ab und zu Reisen und Besuche guter Gallerien
unternommen, zuletzt eine längere Reise nach Italien in den Jahren 186!)
und 1870. Dagegen hat Hendschel Akademieen absichtlich gemieden. Die in-
krustircnde Einseitigkeit, die Gefahr der Manier, welche sie im Gefolge haben,
schien ihm auf der Hand zu liegen. Seine Lehrmeisterin war und blieb die
Natur, veredelt durch das sorgfältige Studium alter und neuer guter Meister.
So hat er nie eine specielle Richtung eingeschlagen. Er hat sich nie gefragt:
Schlägt dieß in Dein Fach? wenn er den Drang fühlte. Geschautes oder Ge¬
dachtes -zu bilden. Was ihm gefiel und ihn begeisterte, mußte herhalten. Ob
es gelingen konnte oder nicht, war ihm einerlei, da er der hehren Göttin Kunst,
seinem innern Drang opferte, indem er schuf.

Aus diesem Geiste heraus sind vorzugsweise auch die Blätter geschaffen,
die in Hendschel's Skizzenbuche vereinigt sind. Viel zu eng jedenfalls
faßt ein großes illustrirtes Unterhaltungsblatt den Charakter dieser Blätter,


Albert Hendschel ist geboren 1834 zu Frankfurt a. M., als zweiter Sohn
seines ebenerwähnten Vaters. Er besuchte zuerst ein Privatinstitut, dann das
Gymnasium seiner Vaterstadt, zugleich den Elementarunterricht indem berühmten
Staedel'schen Kunstinstitut, da er schon frühzeitig große Neigung und manches
Geschick zu künstlerischem Treiben zeigte, das sich durch kein Stirnrunzeln und
durch keine wohlgemeinte Warnung seiner gestrengen Gymnasialprofessoren
unterdrücken ließ. Im Gegentheil förderte die Pedanterie so manches alten
Pädagogen unfreiwillig den Darstellungstrieb des Schülers auf einem ganz
andern Gebiete als demjenigen klassischer Exercitien. Da entstanden höchst un¬
klassische Randzeichnungen zu Ovid als Illustrationen zu den gelehrten Er¬
läuterungen des braven Professors. Und sie müssen schon damals die bewun¬
dernde Aufmerksamkeit der kleinen Zeitgenossen erregt haben, denn der rand¬
gezeichnete Ovid ist seither spurlos verschwunden. Da wurden Männlein und
Weiblein beweglich von Hendschel in Wachs modellirr und an einem Haar zu
fröhlichem Tanze veranlaßt, während der Gestrenge auf dem Katheder vielleicht
eben die tragische Geschichte der Niobe erläuterte, bis ein plötzliches lautes
Kichern der Jugend ihn herablockte vom Olymp. Dann saßen Alle so un¬
schuldig da, und auch die sorgfältigste Nachforschung ergab nichts. Denn
Männlein und Weiblein waren längst an den Haaren ins Tintenfaß versenkt
und harrten zu gelegenerer Zeit ihrer schwarzen Auferstehung.

Im Jahre 1847 trat A. Hendschel ganz in die Kunstschule des Staedel'schen
Instituts über, und zeichnete, nach Beendigung des Elementarunterrichts unter
Prof. Jac. Becker, nach der Antike unter Passavant und E. secirte. Hieran
reihten sich die Modell-(Akt-)Studien unter dem Bildhauer I. N. Zwerger,
E. E. Schäffer und E. Seelilie. Nach solcher Vorbildung ging Hendschel in
die Malschule des Prof. Becker über, dessen Specialschüler er bis 1865 blieb.
Dazwischen wurden natürlich ab und zu Reisen und Besuche guter Gallerien
unternommen, zuletzt eine längere Reise nach Italien in den Jahren 186!)
und 1870. Dagegen hat Hendschel Akademieen absichtlich gemieden. Die in-
krustircnde Einseitigkeit, die Gefahr der Manier, welche sie im Gefolge haben,
schien ihm auf der Hand zu liegen. Seine Lehrmeisterin war und blieb die
Natur, veredelt durch das sorgfältige Studium alter und neuer guter Meister.
So hat er nie eine specielle Richtung eingeschlagen. Er hat sich nie gefragt:
Schlägt dieß in Dein Fach? wenn er den Drang fühlte. Geschautes oder Ge¬
dachtes -zu bilden. Was ihm gefiel und ihn begeisterte, mußte herhalten. Ob
es gelingen konnte oder nicht, war ihm einerlei, da er der hehren Göttin Kunst,
seinem innern Drang opferte, indem er schuf.

Aus diesem Geiste heraus sind vorzugsweise auch die Blätter geschaffen,
die in Hendschel's Skizzenbuche vereinigt sind. Viel zu eng jedenfalls
faßt ein großes illustrirtes Unterhaltungsblatt den Charakter dieser Blätter,


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[0364] Albert Hendschel ist geboren 1834 zu Frankfurt a. M., als zweiter Sohn seines ebenerwähnten Vaters. Er besuchte zuerst ein Privatinstitut, dann das Gymnasium seiner Vaterstadt, zugleich den Elementarunterricht indem berühmten Staedel'schen Kunstinstitut, da er schon frühzeitig große Neigung und manches Geschick zu künstlerischem Treiben zeigte, das sich durch kein Stirnrunzeln und durch keine wohlgemeinte Warnung seiner gestrengen Gymnasialprofessoren unterdrücken ließ. Im Gegentheil förderte die Pedanterie so manches alten Pädagogen unfreiwillig den Darstellungstrieb des Schülers auf einem ganz andern Gebiete als demjenigen klassischer Exercitien. Da entstanden höchst un¬ klassische Randzeichnungen zu Ovid als Illustrationen zu den gelehrten Er¬ läuterungen des braven Professors. Und sie müssen schon damals die bewun¬ dernde Aufmerksamkeit der kleinen Zeitgenossen erregt haben, denn der rand¬ gezeichnete Ovid ist seither spurlos verschwunden. Da wurden Männlein und Weiblein beweglich von Hendschel in Wachs modellirr und an einem Haar zu fröhlichem Tanze veranlaßt, während der Gestrenge auf dem Katheder vielleicht eben die tragische Geschichte der Niobe erläuterte, bis ein plötzliches lautes Kichern der Jugend ihn herablockte vom Olymp. Dann saßen Alle so un¬ schuldig da, und auch die sorgfältigste Nachforschung ergab nichts. Denn Männlein und Weiblein waren längst an den Haaren ins Tintenfaß versenkt und harrten zu gelegenerer Zeit ihrer schwarzen Auferstehung. Im Jahre 1847 trat A. Hendschel ganz in die Kunstschule des Staedel'schen Instituts über, und zeichnete, nach Beendigung des Elementarunterrichts unter Prof. Jac. Becker, nach der Antike unter Passavant und E. secirte. Hieran reihten sich die Modell-(Akt-)Studien unter dem Bildhauer I. N. Zwerger, E. E. Schäffer und E. Seelilie. Nach solcher Vorbildung ging Hendschel in die Malschule des Prof. Becker über, dessen Specialschüler er bis 1865 blieb. Dazwischen wurden natürlich ab und zu Reisen und Besuche guter Gallerien unternommen, zuletzt eine längere Reise nach Italien in den Jahren 186!) und 1870. Dagegen hat Hendschel Akademieen absichtlich gemieden. Die in- krustircnde Einseitigkeit, die Gefahr der Manier, welche sie im Gefolge haben, schien ihm auf der Hand zu liegen. Seine Lehrmeisterin war und blieb die Natur, veredelt durch das sorgfältige Studium alter und neuer guter Meister. So hat er nie eine specielle Richtung eingeschlagen. Er hat sich nie gefragt: Schlägt dieß in Dein Fach? wenn er den Drang fühlte. Geschautes oder Ge¬ dachtes -zu bilden. Was ihm gefiel und ihn begeisterte, mußte herhalten. Ob es gelingen konnte oder nicht, war ihm einerlei, da er der hehren Göttin Kunst, seinem innern Drang opferte, indem er schuf. Aus diesem Geiste heraus sind vorzugsweise auch die Blätter geschaffen, die in Hendschel's Skizzenbuche vereinigt sind. Viel zu eng jedenfalls faßt ein großes illustrirtes Unterhaltungsblatt den Charakter dieser Blätter,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/364>, abgerufen am 02.07.2024.