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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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getragen hat. die alsbaldige Annahme des Gesetzes durch die Abgeordneten
zu sichern. Die vorgeschlagenen Abweichungen von dem früheren Compromiß
sind unwesentlich. Die Gestalt, welche das Compromiß zwischen der Regie¬
rung und den liberalen Fractionen des Abgeordnetenhauses der Kreisordnung
gegeben, habe ich an dieser Stelle unter dem 31. März d. I. ausführlich
skizzirt und beleuchtet. Der Leser wird sich erinnern, daß zwischen die Orts¬
gemeinde und die auf ganz neuen Grundlagen constituirte Kreisgemeinde der
vereinbarte Entwurf eine weitere communale Bildung in der Amtsbezirks¬
gemeinde einschiebt. Der Amtsbezirk hatte nach der ursprünglichen Absicht der
Regierung nur eine Verwaltungseinheit ohne communale Organe sein sollen.
Auf den Wunsch der liberalen Fractionen hat nun die Regierung einen Amts¬
ausschuß als eommunales Organ zugelassen, jedoch nur facultativ, sofern die
im Amtsbezirk vereinigten Ortsgemeinden unter einander eine mehr oder
minder umfassende Gemeinschaft wünschen. Ferner hatte die linke Seite des
Liberalismus eine Bestimmung durchgesetzt, wonach die Bestimmung des Re¬
gierungsentwurfes, daß Gemeinden, welche ihre Polizei selbst in vorschrifts¬
mäßiger Weise handhaben können und wollen, zu Amtsbezirken erklärt wer¬
den dürfen, dadurch verengert wurde, daß eine solche Gemeinde mindestens
S00 Einwohner aufweisen muß. Von derselben Seite war die Bestimmung
durchgesetzt worden, daß die zusammengesetzten Amtsbezirke mindestens 800
und höchstens 3000 Einwohner umfassen sollen. Es war mit dieser Bestim¬
mung darauf abgesehen, die Amtsbezirke auf communale Bildungen anzulegen.
Dazu eignet sich weder der zu kleine, noch der zu große Amtsbezirk: der erstere
nicht, weil ihm die communalen Organe zu kostspielig werden, der zweite nicht,
weil für ein mit der Ortsgemeinde concurrirendes Communalleben die Ver¬
schiedenartigkeit und Entfernung der Gemeinden ein Hinderniß sein wird.
Diese Zahlenbestimmungen hat nun aber die Regierung als hinderlich für den
nächsten, wesentlich administrativen Zweck der Amtsbezirke wiederum ausfallen
zu machen sich ausbedungen. Außerdem hat die Regierung, welche in dem
Compromißentwurf bei der Ernennung der Amtsvorsteher an eine Vorschlags¬
liste des Kreistages gebunden worden war, sich das Recht der Berufung gegen
diese Liste an ein künftiges Provinzialorgan bedungen. Ein paar weitere
Abänderungen haben keinerlei grundsätzliche Bedeutung.

Ich deutete bereits am 3. November an, daß der erwartete Pairschub
vermuthlich erst eintreten werde, nachdem das Abgeordnetenhaus über die
Kreisordnung sich wiederum schlüssig gemacht, oder wenigstens, nachdem der
Beschluß der Abgeordneten als feststehend betrachtet werden könne. Dies be¬
stätigt sich nunmehr. Aber ich führte weiter aus, daß die Hauptfrage der
Situation gar nicht mehr in der Durchbringung der Kreisordnung, sondern
in der Reform der preußischen Verfassung liege. Denn jede Reform des


getragen hat. die alsbaldige Annahme des Gesetzes durch die Abgeordneten
zu sichern. Die vorgeschlagenen Abweichungen von dem früheren Compromiß
sind unwesentlich. Die Gestalt, welche das Compromiß zwischen der Regie¬
rung und den liberalen Fractionen des Abgeordnetenhauses der Kreisordnung
gegeben, habe ich an dieser Stelle unter dem 31. März d. I. ausführlich
skizzirt und beleuchtet. Der Leser wird sich erinnern, daß zwischen die Orts¬
gemeinde und die auf ganz neuen Grundlagen constituirte Kreisgemeinde der
vereinbarte Entwurf eine weitere communale Bildung in der Amtsbezirks¬
gemeinde einschiebt. Der Amtsbezirk hatte nach der ursprünglichen Absicht der
Regierung nur eine Verwaltungseinheit ohne communale Organe sein sollen.
Auf den Wunsch der liberalen Fractionen hat nun die Regierung einen Amts¬
ausschuß als eommunales Organ zugelassen, jedoch nur facultativ, sofern die
im Amtsbezirk vereinigten Ortsgemeinden unter einander eine mehr oder
minder umfassende Gemeinschaft wünschen. Ferner hatte die linke Seite des
Liberalismus eine Bestimmung durchgesetzt, wonach die Bestimmung des Re¬
gierungsentwurfes, daß Gemeinden, welche ihre Polizei selbst in vorschrifts¬
mäßiger Weise handhaben können und wollen, zu Amtsbezirken erklärt wer¬
den dürfen, dadurch verengert wurde, daß eine solche Gemeinde mindestens
S00 Einwohner aufweisen muß. Von derselben Seite war die Bestimmung
durchgesetzt worden, daß die zusammengesetzten Amtsbezirke mindestens 800
und höchstens 3000 Einwohner umfassen sollen. Es war mit dieser Bestim¬
mung darauf abgesehen, die Amtsbezirke auf communale Bildungen anzulegen.
Dazu eignet sich weder der zu kleine, noch der zu große Amtsbezirk: der erstere
nicht, weil ihm die communalen Organe zu kostspielig werden, der zweite nicht,
weil für ein mit der Ortsgemeinde concurrirendes Communalleben die Ver¬
schiedenartigkeit und Entfernung der Gemeinden ein Hinderniß sein wird.
Diese Zahlenbestimmungen hat nun aber die Regierung als hinderlich für den
nächsten, wesentlich administrativen Zweck der Amtsbezirke wiederum ausfallen
zu machen sich ausbedungen. Außerdem hat die Regierung, welche in dem
Compromißentwurf bei der Ernennung der Amtsvorsteher an eine Vorschlags¬
liste des Kreistages gebunden worden war, sich das Recht der Berufung gegen
diese Liste an ein künftiges Provinzialorgan bedungen. Ein paar weitere
Abänderungen haben keinerlei grundsätzliche Bedeutung.

Ich deutete bereits am 3. November an, daß der erwartete Pairschub
vermuthlich erst eintreten werde, nachdem das Abgeordnetenhaus über die
Kreisordnung sich wiederum schlüssig gemacht, oder wenigstens, nachdem der
Beschluß der Abgeordneten als feststehend betrachtet werden könne. Dies be¬
stätigt sich nunmehr. Aber ich führte weiter aus, daß die Hauptfrage der
Situation gar nicht mehr in der Durchbringung der Kreisordnung, sondern
in der Reform der preußischen Verfassung liege. Denn jede Reform des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/359>, abgerufen am 30.06.2024.