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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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in Deutschland seit bald hundert Jahren, wenn Noth an Mann kommt, sich
stets auf Vater Schelling berufen, sind wir gewöhnt. Wir finden das sogar ebenso
natürlich, als daß Schelling und Hegel noch bei Lebzeiten erklärten: Kein einziger
meiner Schüler hat mich verstanden, außer Einem, und dieser Eine hat mich mi߬
verstanden ; -- dieser Eine ist übrigens Herr Constantin Frantz auch nicht ge¬
wesen. Aber das ist in der That völlig neu, daß Schelling seine "Philosophie
der Mythologie" gegen die Nationalliberalen von heute geschrieben haben soll. --

In Betreff der übrigen Kapitel des Frantz'schen Buches genügt nach diesen
Proben wohl die Versicherung, daß sie vollkommen auf der Höhe dieses Kapitels
stehen. --

Wir sind weit entfernt, solche Attentate auf die Ehre und die gesunde
Vernunft unsres Volkes tragisch zu nehmen. Und unser Herrgott, dessen
heiliger Name und Wille dem Verfasser immer mehr mit dem eigenen Dichten
und Trachten zusammenwächst, wird sich ahne die Beihülfe irgend eines Sterb¬
lichen auch des Herrn Constantin Frantz erwehren können.

Wer die Langeweile des öden Räsonnirens aus siebenzehn Druckbogen zu
überwinden im Stande ist, wird das Buch nicht ohne große, vom Verfasser
freilich unbeabsichtigte Heiterkeit aus der Hand legen, und auch der versöhn¬
lichen und sehr tröstlichen Schlußbetrachtung nicht entrathen.

So schreibt heute -- möchte man bei jeder Seite einschalten -- der
föderale deutsche Particularismus! Noch nicht zehn Jahre sind vergangen,
als er die Mehrzahl der deutschen Regierungsorgane, bedeutende Zeitschriften
und große Tagesblätter beherrschte. Die Großdeutschen in corpore, stellen¬
weise die süddeutschen Demokraten, daneben die Mehrzahl der preußischen
Feudalen, waren stille oder vernehmliche Gesinnungsgenossen des Herrn
Constantin Frantz. Ihm standen die Spalten der Cotta'schen "Deutschen
Vierteljahrsschrift" allezeit offen. -- Wenige Jahre rückwärts gerechnet, bis
1870, ist wenigstens noch ein Zeitungsorgan vorhanden, das Herrn Con¬
stantin Frantz' Ideen vollständig vertrat, wiedergab, und zufällig auch bei
seinem Verleger erschien: die weiland "Sächsische Zeitung." Auch sie ist dem
rauhen Kriegesbesen, den wir Babylonier die heilige Erhebung des deutschen
Volkes wider den Erbfeind jenseit und diesseit unsrer Grenzen nennen, erlegen,
wie das nun einmal im beiderseitigen Verhältniß des Kehrichts zum Besen
begründet ist. Seit dieser Zeit hat Herr Constantin Frantz und die übrigen
würdevollen Geister, welche sich in der "Sachs. Zeitung" zusammenfanden
kein Organ mehr. Nur der Verleger ist ihm geblieben, der mit derselben
Uneigennützigkeit eine Constantin Frantz'sche Broschüre nach der andern druckt,
wie früher die "Sächsische Zeitung." Leser finden sich -- wie schon Prof.
Wappäus mit Recht klagt -- diesseits und jenseits des Oceans ausnahmsweise
höchstens in Hannover, oben bei den Eiderdänen, in Hietzing und in gewissen


in Deutschland seit bald hundert Jahren, wenn Noth an Mann kommt, sich
stets auf Vater Schelling berufen, sind wir gewöhnt. Wir finden das sogar ebenso
natürlich, als daß Schelling und Hegel noch bei Lebzeiten erklärten: Kein einziger
meiner Schüler hat mich verstanden, außer Einem, und dieser Eine hat mich mi߬
verstanden ; — dieser Eine ist übrigens Herr Constantin Frantz auch nicht ge¬
wesen. Aber das ist in der That völlig neu, daß Schelling seine „Philosophie
der Mythologie" gegen die Nationalliberalen von heute geschrieben haben soll. —

In Betreff der übrigen Kapitel des Frantz'schen Buches genügt nach diesen
Proben wohl die Versicherung, daß sie vollkommen auf der Höhe dieses Kapitels
stehen. —

Wir sind weit entfernt, solche Attentate auf die Ehre und die gesunde
Vernunft unsres Volkes tragisch zu nehmen. Und unser Herrgott, dessen
heiliger Name und Wille dem Verfasser immer mehr mit dem eigenen Dichten
und Trachten zusammenwächst, wird sich ahne die Beihülfe irgend eines Sterb¬
lichen auch des Herrn Constantin Frantz erwehren können.

Wer die Langeweile des öden Räsonnirens aus siebenzehn Druckbogen zu
überwinden im Stande ist, wird das Buch nicht ohne große, vom Verfasser
freilich unbeabsichtigte Heiterkeit aus der Hand legen, und auch der versöhn¬
lichen und sehr tröstlichen Schlußbetrachtung nicht entrathen.

So schreibt heute — möchte man bei jeder Seite einschalten — der
föderale deutsche Particularismus! Noch nicht zehn Jahre sind vergangen,
als er die Mehrzahl der deutschen Regierungsorgane, bedeutende Zeitschriften
und große Tagesblätter beherrschte. Die Großdeutschen in corpore, stellen¬
weise die süddeutschen Demokraten, daneben die Mehrzahl der preußischen
Feudalen, waren stille oder vernehmliche Gesinnungsgenossen des Herrn
Constantin Frantz. Ihm standen die Spalten der Cotta'schen „Deutschen
Vierteljahrsschrift" allezeit offen. — Wenige Jahre rückwärts gerechnet, bis
1870, ist wenigstens noch ein Zeitungsorgan vorhanden, das Herrn Con¬
stantin Frantz' Ideen vollständig vertrat, wiedergab, und zufällig auch bei
seinem Verleger erschien: die weiland „Sächsische Zeitung." Auch sie ist dem
rauhen Kriegesbesen, den wir Babylonier die heilige Erhebung des deutschen
Volkes wider den Erbfeind jenseit und diesseit unsrer Grenzen nennen, erlegen,
wie das nun einmal im beiderseitigen Verhältniß des Kehrichts zum Besen
begründet ist. Seit dieser Zeit hat Herr Constantin Frantz und die übrigen
würdevollen Geister, welche sich in der „Sachs. Zeitung" zusammenfanden
kein Organ mehr. Nur der Verleger ist ihm geblieben, der mit derselben
Uneigennützigkeit eine Constantin Frantz'sche Broschüre nach der andern druckt,
wie früher die „Sächsische Zeitung." Leser finden sich — wie schon Prof.
Wappäus mit Recht klagt — diesseits und jenseits des Oceans ausnahmsweise
höchstens in Hannover, oben bei den Eiderdänen, in Hietzing und in gewissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/357>, abgerufen am 30.06.2024.