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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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precher, wenn wir die Ursache in der Trübung des Gottesbewußt¬
seins" (1866, 1870/71, Annexionen, Erfolgcmbeterei?) "suchen. Die Menschheit
hatte sich einig gefühlt, solange sieden einen und selben Gott verehrte, und
von dem göttlichen Wesen dieselben Vorstellungen hegte, sobald aber ver¬
schiedene religiöse Vorstellungen aufkamen, begann der innere Zerfall. . . .
So konnte auch das zusammenhaltende Band hinfort nur ein Werk
menschlicher Macht und Kunst sein, -- der babylonische Thurm, als das
Sinnbild materieller Centralisation." (Deutsches Reich?) "Darüber eben ent¬
brannte der Zorn Gottes, der eine solche materielle Einheit nicht wollte, sondern
eine Einigkeit im Geiste, beruhend auf dem gemeinsamen Gottesbewußtsein.
Und so fuhr der Herr darnieder, daß die bis dahin einige Menschheit
in verschiedene Völker zersprengt wurde. Diesen Vorgang innerlich aufgefaßt,
werden wir aber vielmehr sagen, daß die Menschen sich selbst schon dem wahren
Gotte entzogen hatten, und darum entzog sich dann auch Gott den Menschen,
worauf mit dem früher gemeinsamen G ottesbew ußt sein auch das Mer sch-
heitsbewußtsein verschwand, sich in ein blos völkerschaftliches Be¬
wußtsein auflösend."

Diese Worte bedürfen keines Commentars. Sie zeigen, bis zu welcher
sittlichen Verwilderung, bis zu welcher Blasphemie, der Fanatismus der Auf¬
lehnung gegen das Recht der Deutschen Nation auf eine lebensfähige, Deutsch¬
lands würdige Staatsform führen kann! Der Verfasser begnügt sich nicht
mehr, wie in seinen früheren Schriften, die Millionen und aber Millionen
seiner Landsleute, welche freudig und gehobenen Herzens die Einheit Deutsch¬
lands begrüßten und heut mit ihr leben und sterben, mit den gröbsten Schimpf¬
worten zu belegen, und^ihnen die allergemeinsten Motive unterzuschieben. Nein,
Herr Constantin Frantz greift heute, wie auch das übrige Corps der Rache
gegen das Deutsche Reich, in Gottes allmächtigen Rathschluß selbst ein. Ihn
beseelt die Dreistigkeit, uns seine Anschauung als die Anschauung Gottes,
seinen ohnmächtigen Zorn als den Zorn Gottes wider das Deutsche Volk
zu verkündigen, obwohl er selbst zugestehen muß, daß darüber "die biblische
Erzählung selbst keine Andeutung enthält" und obendrein "diese Erzählung
offenbar in mythischem Gewände auftritt!"

Und um die Kläglichkeit seiner Arbeit voll zu machen, gesteht uns
Herr Constantin Frantz, daß diese seine "Erörterungen", die er, bescheiden
wie immer, "ein motivirtes Urtheil über das principielle Verhältniß des
Nationalliberalismus zum Christenthum" nennt, nicht einmal der ange¬
rufenen Quelle, der heiligen Schrift, gefolgt sind, sondern "daß er sich dabei
im Wesentlichen auf Schelling's Philosophie der Mythologie und
der Offenbarung stütze!" (S. 30. 31).-- Nun, daß alle abstrusen Geister,


precher, wenn wir die Ursache in der Trübung des Gottesbewußt¬
seins" (1866, 1870/71, Annexionen, Erfolgcmbeterei?) „suchen. Die Menschheit
hatte sich einig gefühlt, solange sieden einen und selben Gott verehrte, und
von dem göttlichen Wesen dieselben Vorstellungen hegte, sobald aber ver¬
schiedene religiöse Vorstellungen aufkamen, begann der innere Zerfall. . . .
So konnte auch das zusammenhaltende Band hinfort nur ein Werk
menschlicher Macht und Kunst sein, — der babylonische Thurm, als das
Sinnbild materieller Centralisation." (Deutsches Reich?) „Darüber eben ent¬
brannte der Zorn Gottes, der eine solche materielle Einheit nicht wollte, sondern
eine Einigkeit im Geiste, beruhend auf dem gemeinsamen Gottesbewußtsein.
Und so fuhr der Herr darnieder, daß die bis dahin einige Menschheit
in verschiedene Völker zersprengt wurde. Diesen Vorgang innerlich aufgefaßt,
werden wir aber vielmehr sagen, daß die Menschen sich selbst schon dem wahren
Gotte entzogen hatten, und darum entzog sich dann auch Gott den Menschen,
worauf mit dem früher gemeinsamen G ottesbew ußt sein auch das Mer sch-
heitsbewußtsein verschwand, sich in ein blos völkerschaftliches Be¬
wußtsein auflösend."

Diese Worte bedürfen keines Commentars. Sie zeigen, bis zu welcher
sittlichen Verwilderung, bis zu welcher Blasphemie, der Fanatismus der Auf¬
lehnung gegen das Recht der Deutschen Nation auf eine lebensfähige, Deutsch¬
lands würdige Staatsform führen kann! Der Verfasser begnügt sich nicht
mehr, wie in seinen früheren Schriften, die Millionen und aber Millionen
seiner Landsleute, welche freudig und gehobenen Herzens die Einheit Deutsch¬
lands begrüßten und heut mit ihr leben und sterben, mit den gröbsten Schimpf¬
worten zu belegen, und^ihnen die allergemeinsten Motive unterzuschieben. Nein,
Herr Constantin Frantz greift heute, wie auch das übrige Corps der Rache
gegen das Deutsche Reich, in Gottes allmächtigen Rathschluß selbst ein. Ihn
beseelt die Dreistigkeit, uns seine Anschauung als die Anschauung Gottes,
seinen ohnmächtigen Zorn als den Zorn Gottes wider das Deutsche Volk
zu verkündigen, obwohl er selbst zugestehen muß, daß darüber „die biblische
Erzählung selbst keine Andeutung enthält" und obendrein „diese Erzählung
offenbar in mythischem Gewände auftritt!"

Und um die Kläglichkeit seiner Arbeit voll zu machen, gesteht uns
Herr Constantin Frantz, daß diese seine „Erörterungen", die er, bescheiden
wie immer, „ein motivirtes Urtheil über das principielle Verhältniß des
Nationalliberalismus zum Christenthum" nennt, nicht einmal der ange¬
rufenen Quelle, der heiligen Schrift, gefolgt sind, sondern „daß er sich dabei
im Wesentlichen auf Schelling's Philosophie der Mythologie und
der Offenbarung stütze!" (S. 30. 31).— Nun, daß alle abstrusen Geister,


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[0356] precher, wenn wir die Ursache in der Trübung des Gottesbewußt¬ seins" (1866, 1870/71, Annexionen, Erfolgcmbeterei?) „suchen. Die Menschheit hatte sich einig gefühlt, solange sieden einen und selben Gott verehrte, und von dem göttlichen Wesen dieselben Vorstellungen hegte, sobald aber ver¬ schiedene religiöse Vorstellungen aufkamen, begann der innere Zerfall. . . . So konnte auch das zusammenhaltende Band hinfort nur ein Werk menschlicher Macht und Kunst sein, — der babylonische Thurm, als das Sinnbild materieller Centralisation." (Deutsches Reich?) „Darüber eben ent¬ brannte der Zorn Gottes, der eine solche materielle Einheit nicht wollte, sondern eine Einigkeit im Geiste, beruhend auf dem gemeinsamen Gottesbewußtsein. Und so fuhr der Herr darnieder, daß die bis dahin einige Menschheit in verschiedene Völker zersprengt wurde. Diesen Vorgang innerlich aufgefaßt, werden wir aber vielmehr sagen, daß die Menschen sich selbst schon dem wahren Gotte entzogen hatten, und darum entzog sich dann auch Gott den Menschen, worauf mit dem früher gemeinsamen G ottesbew ußt sein auch das Mer sch- heitsbewußtsein verschwand, sich in ein blos völkerschaftliches Be¬ wußtsein auflösend." Diese Worte bedürfen keines Commentars. Sie zeigen, bis zu welcher sittlichen Verwilderung, bis zu welcher Blasphemie, der Fanatismus der Auf¬ lehnung gegen das Recht der Deutschen Nation auf eine lebensfähige, Deutsch¬ lands würdige Staatsform führen kann! Der Verfasser begnügt sich nicht mehr, wie in seinen früheren Schriften, die Millionen und aber Millionen seiner Landsleute, welche freudig und gehobenen Herzens die Einheit Deutsch¬ lands begrüßten und heut mit ihr leben und sterben, mit den gröbsten Schimpf¬ worten zu belegen, und^ihnen die allergemeinsten Motive unterzuschieben. Nein, Herr Constantin Frantz greift heute, wie auch das übrige Corps der Rache gegen das Deutsche Reich, in Gottes allmächtigen Rathschluß selbst ein. Ihn beseelt die Dreistigkeit, uns seine Anschauung als die Anschauung Gottes, seinen ohnmächtigen Zorn als den Zorn Gottes wider das Deutsche Volk zu verkündigen, obwohl er selbst zugestehen muß, daß darüber „die biblische Erzählung selbst keine Andeutung enthält" und obendrein „diese Erzählung offenbar in mythischem Gewände auftritt!" Und um die Kläglichkeit seiner Arbeit voll zu machen, gesteht uns Herr Constantin Frantz, daß diese seine „Erörterungen", die er, bescheiden wie immer, „ein motivirtes Urtheil über das principielle Verhältniß des Nationalliberalismus zum Christenthum" nennt, nicht einmal der ange¬ rufenen Quelle, der heiligen Schrift, gefolgt sind, sondern „daß er sich dabei im Wesentlichen auf Schelling's Philosophie der Mythologie und der Offenbarung stütze!" (S. 30. 31).— Nun, daß alle abstrusen Geister,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/356>, abgerufen am 02.07.2024.