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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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die allgemeine Uebereinstimmung in der Anerkennung der ersten vier Jahr¬
hunderte erweckte die Aussicht, die "Abtrünnigen" vielleicht in den Schooß der
orthodoxen Kirche aufnehmen zu können; sie mit offenen Armen zu empfangen
war man bereit. -- Das Feld in dieser Beziehung zu untersuchen, ging Herr
Ossium, Professor der vergleichenden Theologie, vor einem Jahre nach Mün¬
chen und nahm an der Alt-Katholiken-Versammlung Theil. Es war das keine
private Handlung. Als solche wäre sie unmöglich, undenkbar gewesen. Herr Ossi¬
um besuchte den Congreß vielmehr mit Genehmigung und als Abgeordneter
seiner Kirchenbehörde. Diese Entsendung eines Vertreters zu einer freien
oppositionellen Versammlung, deren Zweck der Kampf gegen eine unliebsame
aber immer nach dem geschichtlichen Recht bestehende Macht war, seitens
der Landeskirche eines Reiches, dessen Gesetze die Secten verbieten oder
den Sectirern die bürgerlichen Rechte entziehen, war an sich von der größten
Bedeutung, ein viel versprechendes Merkzeichen auf dem neuen Entwickelungsgang
der orthodoxen Kirche. Thatsächlichen Erfolg hatte die Sendung des Herrn
Ossium vorläufig noch nicht. Doch ganz abgesehen davon, ob man in München schon
die nöthige Uebereinstimmung im Glauben zu gewinnen hoffte, so war man vor
Allem noch nicht klar geworden, über die gemeinsame Stellung zur Mutter¬
kirche. Furchtsam wurde der vielfach verbreitete allein richtige Gedanke einer
Trennung von der päpstlichen Kirche noch zurückgewiesen, und ohne diese Tren¬
nung war an irgend eine Vereinigung mit der griechischen Kirche selbstver¬
ständlich nicht zu denken:

Daß man die volle Loslösung der Alt-Katholiken von Rom hier sehn¬
lichst wünschte, lag in der Natur der Sache und wurde von Professor Ossium
auch öffentlich in den Vorträgen über den Alt-Katholicismus und den Ver¬
einigungsgedanken ausgesprochen, welche er nach seiner Rückkehr vor einem
zahlreichen Publikum hielt. Da der Alt-Katholicismus an die ersten vier
Jahrhunderte anknüpft, und der griechische Katholicismus die erste unverfälschte
Fortsetzung jener Zeit sei, so bezeichnete der Redner die Vereinigung und deren
Ausführung als eben so leicht wie erwünscht. Die Meinung des Publikums
war getheilt. Es fehlte nicht an Stimmen, welche riethen, sich lieber inner¬
halb der eignen Grenzen zu halten und an'eine Vereinigung der Alt-Katho¬
liken dann zu denken, wenn sich auch in Rußland altkatholische Gemeinden
gebildet hätten. Die größte Mehrheit schloß sich indeß den Wünschen der
Kirche an und sofort gingen hervorragende Geistliche und hochangesehene
Glieder der Laienwelt daran, Hierselbst einen Verein zu stiften, der möglichst
nahe Beziehungen mit den auswärtigen Alt-Katholiken anknüpfen und Pflegen
sollte. Es ist das Verdienst des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch, dieses
Unternehmen vor Allen gefördert zu haben. Am 14. Februar d. I. versam¬
melte man sich zum ersten Male. Es waren 40 Herren, Laien und Geistliche,


die allgemeine Uebereinstimmung in der Anerkennung der ersten vier Jahr¬
hunderte erweckte die Aussicht, die „Abtrünnigen" vielleicht in den Schooß der
orthodoxen Kirche aufnehmen zu können; sie mit offenen Armen zu empfangen
war man bereit. — Das Feld in dieser Beziehung zu untersuchen, ging Herr
Ossium, Professor der vergleichenden Theologie, vor einem Jahre nach Mün¬
chen und nahm an der Alt-Katholiken-Versammlung Theil. Es war das keine
private Handlung. Als solche wäre sie unmöglich, undenkbar gewesen. Herr Ossi¬
um besuchte den Congreß vielmehr mit Genehmigung und als Abgeordneter
seiner Kirchenbehörde. Diese Entsendung eines Vertreters zu einer freien
oppositionellen Versammlung, deren Zweck der Kampf gegen eine unliebsame
aber immer nach dem geschichtlichen Recht bestehende Macht war, seitens
der Landeskirche eines Reiches, dessen Gesetze die Secten verbieten oder
den Sectirern die bürgerlichen Rechte entziehen, war an sich von der größten
Bedeutung, ein viel versprechendes Merkzeichen auf dem neuen Entwickelungsgang
der orthodoxen Kirche. Thatsächlichen Erfolg hatte die Sendung des Herrn
Ossium vorläufig noch nicht. Doch ganz abgesehen davon, ob man in München schon
die nöthige Uebereinstimmung im Glauben zu gewinnen hoffte, so war man vor
Allem noch nicht klar geworden, über die gemeinsame Stellung zur Mutter¬
kirche. Furchtsam wurde der vielfach verbreitete allein richtige Gedanke einer
Trennung von der päpstlichen Kirche noch zurückgewiesen, und ohne diese Tren¬
nung war an irgend eine Vereinigung mit der griechischen Kirche selbstver¬
ständlich nicht zu denken:

Daß man die volle Loslösung der Alt-Katholiken von Rom hier sehn¬
lichst wünschte, lag in der Natur der Sache und wurde von Professor Ossium
auch öffentlich in den Vorträgen über den Alt-Katholicismus und den Ver¬
einigungsgedanken ausgesprochen, welche er nach seiner Rückkehr vor einem
zahlreichen Publikum hielt. Da der Alt-Katholicismus an die ersten vier
Jahrhunderte anknüpft, und der griechische Katholicismus die erste unverfälschte
Fortsetzung jener Zeit sei, so bezeichnete der Redner die Vereinigung und deren
Ausführung als eben so leicht wie erwünscht. Die Meinung des Publikums
war getheilt. Es fehlte nicht an Stimmen, welche riethen, sich lieber inner¬
halb der eignen Grenzen zu halten und an'eine Vereinigung der Alt-Katho¬
liken dann zu denken, wenn sich auch in Rußland altkatholische Gemeinden
gebildet hätten. Die größte Mehrheit schloß sich indeß den Wünschen der
Kirche an und sofort gingen hervorragende Geistliche und hochangesehene
Glieder der Laienwelt daran, Hierselbst einen Verein zu stiften, der möglichst
nahe Beziehungen mit den auswärtigen Alt-Katholiken anknüpfen und Pflegen
sollte. Es ist das Verdienst des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch, dieses
Unternehmen vor Allen gefördert zu haben. Am 14. Februar d. I. versam¬
melte man sich zum ersten Male. Es waren 40 Herren, Laien und Geistliche,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/346>, abgerufen am 04.07.2024.