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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ßischen Staat, unter preußischer Leitung, hat die Constituirung Deutschlands
zu erfolgen.

Und wenn wir die deutsche Revolution von 1848 auf die Ursachen ihres
Fehlschlagens hin prüfen, so steht auch der historischen Betrachtung das jetzt
unumstößlich fest. Die Gründe, weshalb ein deutsches Reich trotz aller idealen
Begeisterung nicht zu Stande kam, sind 1) der große Fehler, daß man nicht
von vornherein die Oestreicher draußen ließ, daß sie in Frankfurt mittagten
ja sich dort sogar in die erste Reihe drängten; und 2) die Lauheit und
Lockerheit, in welcher ebensowohl die nationale Partei selbst zu dem preu¬
ßischen Staate verblieb, als auch in welcher sie das deutsche Zukunftsreich zu
Preußen sich dachte.

Politische Schlagworte üben oft einen sinnbetäubenden, irre leitenden
Zauber auf die Menschen aus, einen Zauber, der selbst wohlgesinnte und
einsichtige Köpfe zu verwirren stark genug ist. Zu diesen politischen Irrlichtern
gehört Wort und Begriff "Bundesstaat". Man meinte, Deutschland solle
und müsse ein Bundesstaat sein. Man folgerte daraus, eine Centralgewalt
müsse und solle an der Spitze des Ganzen stehen, als etwas Anderes oder
Höheres, wesentlich von den Regierungen der Einzelstaaten unterschieden. Die
preußische Partei dachte daran, in irgend einer Weise dem preußischen Könige
zu seiner preußischen Königsmacht auch diese Bundesregierung zu übertragen.
Andere bundesstaatlich Gesinnte zogen vor, eine ganz neue Centralgewalt zu
backen, beliebige fürstliche oder bürgerliche Personen auszuwählen und ihnen
Organe zu schaffen. Das fatalste war aber dabei dies, daß die beiden Vor-
stellungskreise des Anschlusses an Preußen und des Bundesstaates sich nicht
scharf von einander schieden, daß ganz brave Patrioten von dem einen zum
andern übergingen. Sehr isolirt waren und blieben diejenigen Männer,
welche auf das Fundament des bestehenden preußischen Staates dies neue Ge¬
bäude des deutschen Reiches setzen wollten, welchen die Hauptsache dieser An¬
schluß oder diese Verschmelzung mit Preußen war und blieb. Die leidige
Vorstellung von einem "Bundesstaate" brachte die Meisten von diesem poli¬
tischen Axiome wieder ab; sie eben führte die Meisten dahin, neben und über
den preußischen Staatsorganen in mehr oder weniger künstlicher Weise noch
etwas gesondertes Neues für die Neichsregierung zu ersinnen.

Das eben ist nach unserm Urtheile der wesentliche Fortschritt der letzten
Jahre über die Einheitsbewegung von 1848 hinaus, daß^die fundamenti-
rende Bedeutung des preußischen Staates für das deutsche
Reich in ganz anderer Weise erkannt und festgehalten wird. Leider müssen
wir zugeben, daß Neste des alten Irrthums auch heute noch vorkommen. Auch
unter den Freunden des neuen deutschen Reiches, auch in den eigentlich natio¬
nalen Parteien unseres Reichstages und unserer deutschen Landtage giebt es


ßischen Staat, unter preußischer Leitung, hat die Constituirung Deutschlands
zu erfolgen.

Und wenn wir die deutsche Revolution von 1848 auf die Ursachen ihres
Fehlschlagens hin prüfen, so steht auch der historischen Betrachtung das jetzt
unumstößlich fest. Die Gründe, weshalb ein deutsches Reich trotz aller idealen
Begeisterung nicht zu Stande kam, sind 1) der große Fehler, daß man nicht
von vornherein die Oestreicher draußen ließ, daß sie in Frankfurt mittagten
ja sich dort sogar in die erste Reihe drängten; und 2) die Lauheit und
Lockerheit, in welcher ebensowohl die nationale Partei selbst zu dem preu¬
ßischen Staate verblieb, als auch in welcher sie das deutsche Zukunftsreich zu
Preußen sich dachte.

Politische Schlagworte üben oft einen sinnbetäubenden, irre leitenden
Zauber auf die Menschen aus, einen Zauber, der selbst wohlgesinnte und
einsichtige Köpfe zu verwirren stark genug ist. Zu diesen politischen Irrlichtern
gehört Wort und Begriff „Bundesstaat". Man meinte, Deutschland solle
und müsse ein Bundesstaat sein. Man folgerte daraus, eine Centralgewalt
müsse und solle an der Spitze des Ganzen stehen, als etwas Anderes oder
Höheres, wesentlich von den Regierungen der Einzelstaaten unterschieden. Die
preußische Partei dachte daran, in irgend einer Weise dem preußischen Könige
zu seiner preußischen Königsmacht auch diese Bundesregierung zu übertragen.
Andere bundesstaatlich Gesinnte zogen vor, eine ganz neue Centralgewalt zu
backen, beliebige fürstliche oder bürgerliche Personen auszuwählen und ihnen
Organe zu schaffen. Das fatalste war aber dabei dies, daß die beiden Vor-
stellungskreise des Anschlusses an Preußen und des Bundesstaates sich nicht
scharf von einander schieden, daß ganz brave Patrioten von dem einen zum
andern übergingen. Sehr isolirt waren und blieben diejenigen Männer,
welche auf das Fundament des bestehenden preußischen Staates dies neue Ge¬
bäude des deutschen Reiches setzen wollten, welchen die Hauptsache dieser An¬
schluß oder diese Verschmelzung mit Preußen war und blieb. Die leidige
Vorstellung von einem „Bundesstaate" brachte die Meisten von diesem poli¬
tischen Axiome wieder ab; sie eben führte die Meisten dahin, neben und über
den preußischen Staatsorganen in mehr oder weniger künstlicher Weise noch
etwas gesondertes Neues für die Neichsregierung zu ersinnen.

Das eben ist nach unserm Urtheile der wesentliche Fortschritt der letzten
Jahre über die Einheitsbewegung von 1848 hinaus, daß^die fundamenti-
rende Bedeutung des preußischen Staates für das deutsche
Reich in ganz anderer Weise erkannt und festgehalten wird. Leider müssen
wir zugeben, daß Neste des alten Irrthums auch heute noch vorkommen. Auch
unter den Freunden des neuen deutschen Reiches, auch in den eigentlich natio¬
nalen Parteien unseres Reichstages und unserer deutschen Landtage giebt es


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[0336] ßischen Staat, unter preußischer Leitung, hat die Constituirung Deutschlands zu erfolgen. Und wenn wir die deutsche Revolution von 1848 auf die Ursachen ihres Fehlschlagens hin prüfen, so steht auch der historischen Betrachtung das jetzt unumstößlich fest. Die Gründe, weshalb ein deutsches Reich trotz aller idealen Begeisterung nicht zu Stande kam, sind 1) der große Fehler, daß man nicht von vornherein die Oestreicher draußen ließ, daß sie in Frankfurt mittagten ja sich dort sogar in die erste Reihe drängten; und 2) die Lauheit und Lockerheit, in welcher ebensowohl die nationale Partei selbst zu dem preu¬ ßischen Staate verblieb, als auch in welcher sie das deutsche Zukunftsreich zu Preußen sich dachte. Politische Schlagworte üben oft einen sinnbetäubenden, irre leitenden Zauber auf die Menschen aus, einen Zauber, der selbst wohlgesinnte und einsichtige Köpfe zu verwirren stark genug ist. Zu diesen politischen Irrlichtern gehört Wort und Begriff „Bundesstaat". Man meinte, Deutschland solle und müsse ein Bundesstaat sein. Man folgerte daraus, eine Centralgewalt müsse und solle an der Spitze des Ganzen stehen, als etwas Anderes oder Höheres, wesentlich von den Regierungen der Einzelstaaten unterschieden. Die preußische Partei dachte daran, in irgend einer Weise dem preußischen Könige zu seiner preußischen Königsmacht auch diese Bundesregierung zu übertragen. Andere bundesstaatlich Gesinnte zogen vor, eine ganz neue Centralgewalt zu backen, beliebige fürstliche oder bürgerliche Personen auszuwählen und ihnen Organe zu schaffen. Das fatalste war aber dabei dies, daß die beiden Vor- stellungskreise des Anschlusses an Preußen und des Bundesstaates sich nicht scharf von einander schieden, daß ganz brave Patrioten von dem einen zum andern übergingen. Sehr isolirt waren und blieben diejenigen Männer, welche auf das Fundament des bestehenden preußischen Staates dies neue Ge¬ bäude des deutschen Reiches setzen wollten, welchen die Hauptsache dieser An¬ schluß oder diese Verschmelzung mit Preußen war und blieb. Die leidige Vorstellung von einem „Bundesstaate" brachte die Meisten von diesem poli¬ tischen Axiome wieder ab; sie eben führte die Meisten dahin, neben und über den preußischen Staatsorganen in mehr oder weniger künstlicher Weise noch etwas gesondertes Neues für die Neichsregierung zu ersinnen. Das eben ist nach unserm Urtheile der wesentliche Fortschritt der letzten Jahre über die Einheitsbewegung von 1848 hinaus, daß^die fundamenti- rende Bedeutung des preußischen Staates für das deutsche Reich in ganz anderer Weise erkannt und festgehalten wird. Leider müssen wir zugeben, daß Neste des alten Irrthums auch heute noch vorkommen. Auch unter den Freunden des neuen deutschen Reiches, auch in den eigentlich natio¬ nalen Parteien unseres Reichstages und unserer deutschen Landtage giebt es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/336>, abgerufen am 22.07.2024.