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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Erinnern wir uns, daß seit 1841 Bunsen in London als preußischer Ge¬
sandter lebte. Wie es nun nur ganz natürlich war, daß die Beiden, Bunsen
und Stockmar, in vielfache und häufige Berührung mit einander kommen
mußten, so stellte sich auch eine gewisse Verwandtschaft oder Ueberein¬
stimmung ihrer politischen Anschauungen heraus, welche beiden Männern för-
derlich für die Befestigung der eigenen Ansicht werden konnte. Bunsen
schwärmte bekanntlich für die englische Verfassung als Muster der Continen-
talstaaten. Von Stockmar wissen wir, daß er derselben Gesinnung huldigte
und der Einführung freier Verfassungen auf dem Festlande Beifall und Mit¬
hilfe zollte. Wir erfahren z. B., daß er sich selbst einen großen Antheil an
der Annahme der belgischen Verfassung durch Leopold zugeschrieben hat: ihre
Schwächen übersah er nicht, aber er hielt sie doch für lebensfähig. Und
wenn Bunsen damals, 1841--1843 einer preußischen repräsentativen Ver¬
fassung das Wort redete, damals die Einführung einer solchen erwartete, so
konnte bei Stockmar dieser selbe Gedanke Wurzel fassen. Bei dem freundschaft¬
lichen Besuche Friedrich Wilhelm IV. in England lernte er nun den König
und seine Umgebung persönlich kennen. Selbstverständlich hatten Bunsen's
Gespräche ihn vorher schon orientirt. Und wenn schon früher die allgemeine
Erwägung der europäischen und deutschen Verhältnisse ihn dahin geführt, daß
er Preußen an die Spitze des deutschen Bundes gesetzt haben wollte, so richtete
sich jetzt mehr und mehr sein Augenmerk auf diese Wünsche und Bestrebungen.
Wir sehen in seinen Papieren, wie ihm die Gestaltung der preußisch-deutschen
Angelegenheiten jetzt mehr und mehr ins Herz wächst. Seine Gedanken rich¬
teten sich dabei sofort auf diejenigen Momente hin, durch welche sich solche
Programme vielleicht realisiren ließen. Er meinte, aus der östlichen Allianz
mit Oestreich und Rußland möchte Preußen sich loslösen und eine Politik
der Bundesreform versuchen. Für beides schien ihm engerer Anschluß an
England die Losung, wobei zugleich das Einlenken in constitutionelle Bahnen
in Preußen vorausgesetzt würde. Also, ganz ähnlich wie Bunsen's lautete
sein Rathschlag an Preußen. Bei der Anwesenheit des Königs in England
scheint er einzelne preußische Minister in liberalem Sinne bearbeitet zu haben.
Bei seinen Reisen nach Deutschland sah er den mächtig wachsenden öffent¬
lichen Geist in der Nation und fürchtete, daß die Führer des Staates durch
Zögern und Ablehnen gerechter Forderungen schwer einzuholende Versäumnisse
verschuldet hätten. Wir erhalten ferner die Notiz, daß 1846 aus Anlaß der
Krakauer Vorgänge Stockmar eine Denkschrift verfaßt und überreicht habe,
in welcher er Methode und Mittel einer politischen Action angab, wie er sie
für Preußen als möglich und wünschenswert!) ansah. Leider liegt der Wort¬
laut nicht vor: es wäre höchst interessant, zu sehen, wie er im Detail diese
Angelegenheit angefaßt hat. Im Sommer 1847 war er in Berlin und sah


Erinnern wir uns, daß seit 1841 Bunsen in London als preußischer Ge¬
sandter lebte. Wie es nun nur ganz natürlich war, daß die Beiden, Bunsen
und Stockmar, in vielfache und häufige Berührung mit einander kommen
mußten, so stellte sich auch eine gewisse Verwandtschaft oder Ueberein¬
stimmung ihrer politischen Anschauungen heraus, welche beiden Männern för-
derlich für die Befestigung der eigenen Ansicht werden konnte. Bunsen
schwärmte bekanntlich für die englische Verfassung als Muster der Continen-
talstaaten. Von Stockmar wissen wir, daß er derselben Gesinnung huldigte
und der Einführung freier Verfassungen auf dem Festlande Beifall und Mit¬
hilfe zollte. Wir erfahren z. B., daß er sich selbst einen großen Antheil an
der Annahme der belgischen Verfassung durch Leopold zugeschrieben hat: ihre
Schwächen übersah er nicht, aber er hielt sie doch für lebensfähig. Und
wenn Bunsen damals, 1841—1843 einer preußischen repräsentativen Ver¬
fassung das Wort redete, damals die Einführung einer solchen erwartete, so
konnte bei Stockmar dieser selbe Gedanke Wurzel fassen. Bei dem freundschaft¬
lichen Besuche Friedrich Wilhelm IV. in England lernte er nun den König
und seine Umgebung persönlich kennen. Selbstverständlich hatten Bunsen's
Gespräche ihn vorher schon orientirt. Und wenn schon früher die allgemeine
Erwägung der europäischen und deutschen Verhältnisse ihn dahin geführt, daß
er Preußen an die Spitze des deutschen Bundes gesetzt haben wollte, so richtete
sich jetzt mehr und mehr sein Augenmerk auf diese Wünsche und Bestrebungen.
Wir sehen in seinen Papieren, wie ihm die Gestaltung der preußisch-deutschen
Angelegenheiten jetzt mehr und mehr ins Herz wächst. Seine Gedanken rich¬
teten sich dabei sofort auf diejenigen Momente hin, durch welche sich solche
Programme vielleicht realisiren ließen. Er meinte, aus der östlichen Allianz
mit Oestreich und Rußland möchte Preußen sich loslösen und eine Politik
der Bundesreform versuchen. Für beides schien ihm engerer Anschluß an
England die Losung, wobei zugleich das Einlenken in constitutionelle Bahnen
in Preußen vorausgesetzt würde. Also, ganz ähnlich wie Bunsen's lautete
sein Rathschlag an Preußen. Bei der Anwesenheit des Königs in England
scheint er einzelne preußische Minister in liberalem Sinne bearbeitet zu haben.
Bei seinen Reisen nach Deutschland sah er den mächtig wachsenden öffent¬
lichen Geist in der Nation und fürchtete, daß die Führer des Staates durch
Zögern und Ablehnen gerechter Forderungen schwer einzuholende Versäumnisse
verschuldet hätten. Wir erhalten ferner die Notiz, daß 1846 aus Anlaß der
Krakauer Vorgänge Stockmar eine Denkschrift verfaßt und überreicht habe,
in welcher er Methode und Mittel einer politischen Action angab, wie er sie
für Preußen als möglich und wünschenswert!) ansah. Leider liegt der Wort¬
laut nicht vor: es wäre höchst interessant, zu sehen, wie er im Detail diese
Angelegenheit angefaßt hat. Im Sommer 1847 war er in Berlin und sah


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[0334] Erinnern wir uns, daß seit 1841 Bunsen in London als preußischer Ge¬ sandter lebte. Wie es nun nur ganz natürlich war, daß die Beiden, Bunsen und Stockmar, in vielfache und häufige Berührung mit einander kommen mußten, so stellte sich auch eine gewisse Verwandtschaft oder Ueberein¬ stimmung ihrer politischen Anschauungen heraus, welche beiden Männern för- derlich für die Befestigung der eigenen Ansicht werden konnte. Bunsen schwärmte bekanntlich für die englische Verfassung als Muster der Continen- talstaaten. Von Stockmar wissen wir, daß er derselben Gesinnung huldigte und der Einführung freier Verfassungen auf dem Festlande Beifall und Mit¬ hilfe zollte. Wir erfahren z. B., daß er sich selbst einen großen Antheil an der Annahme der belgischen Verfassung durch Leopold zugeschrieben hat: ihre Schwächen übersah er nicht, aber er hielt sie doch für lebensfähig. Und wenn Bunsen damals, 1841—1843 einer preußischen repräsentativen Ver¬ fassung das Wort redete, damals die Einführung einer solchen erwartete, so konnte bei Stockmar dieser selbe Gedanke Wurzel fassen. Bei dem freundschaft¬ lichen Besuche Friedrich Wilhelm IV. in England lernte er nun den König und seine Umgebung persönlich kennen. Selbstverständlich hatten Bunsen's Gespräche ihn vorher schon orientirt. Und wenn schon früher die allgemeine Erwägung der europäischen und deutschen Verhältnisse ihn dahin geführt, daß er Preußen an die Spitze des deutschen Bundes gesetzt haben wollte, so richtete sich jetzt mehr und mehr sein Augenmerk auf diese Wünsche und Bestrebungen. Wir sehen in seinen Papieren, wie ihm die Gestaltung der preußisch-deutschen Angelegenheiten jetzt mehr und mehr ins Herz wächst. Seine Gedanken rich¬ teten sich dabei sofort auf diejenigen Momente hin, durch welche sich solche Programme vielleicht realisiren ließen. Er meinte, aus der östlichen Allianz mit Oestreich und Rußland möchte Preußen sich loslösen und eine Politik der Bundesreform versuchen. Für beides schien ihm engerer Anschluß an England die Losung, wobei zugleich das Einlenken in constitutionelle Bahnen in Preußen vorausgesetzt würde. Also, ganz ähnlich wie Bunsen's lautete sein Rathschlag an Preußen. Bei der Anwesenheit des Königs in England scheint er einzelne preußische Minister in liberalem Sinne bearbeitet zu haben. Bei seinen Reisen nach Deutschland sah er den mächtig wachsenden öffent¬ lichen Geist in der Nation und fürchtete, daß die Führer des Staates durch Zögern und Ablehnen gerechter Forderungen schwer einzuholende Versäumnisse verschuldet hätten. Wir erhalten ferner die Notiz, daß 1846 aus Anlaß der Krakauer Vorgänge Stockmar eine Denkschrift verfaßt und überreicht habe, in welcher er Methode und Mittel einer politischen Action angab, wie er sie für Preußen als möglich und wünschenswert!) ansah. Leider liegt der Wort¬ laut nicht vor: es wäre höchst interessant, zu sehen, wie er im Detail diese Angelegenheit angefaßt hat. Im Sommer 1847 war er in Berlin und sah

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/334>, abgerufen am 22.07.2024.