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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Ranke's Sache war es da, die Resultate fremder Forscher zusammenzustellen,
zu sichten und zu ordnen. Es gelang ihm noch einzelne Lücken des Materials
zu ergänzen. Mutter Natur scheint ihn mit der instinktiven Witterung be¬
gabt zu haben, so daß er wie durch Inspiration in jedem Archive sogleich
auf das wichtigere stößt und oft selbst in schon durchwühltem Boden noch
neue Schätze aufdeckt. Einen Fortschritt der historischen Information pflegen
immer Ranke's Schriften zu bezeichnen, -- so auch hier. Zugleich aber ist
dies Buch eine klare und übersichtliche Zusammenfassung von allem, was
bisher über den Gegenstand gewußt wurde. Ja noch mehr. Dies Buch steht
unter den bedeutendsten und vollendetsten historischen Kunstwerken in der
allerersten Reihe. An Plastik und Kunst der Darstellung übertrifft es selbst
die besten und genialsten seiner bisherigen Leistungen. Die Disposition des
sehr verschlungenen und complicirten Gewebes diplomatischer Feldzüge ist in
einer Weise geglückt, daß der Zusammenhang alles Einzelnen immer klar über¬
schaut und jede Einzelheit selbst an richtiger Stelle zum Ausdruck gebracht
wird. Wer immer für große Politik oder für schwierige staatliche Verhältnisse
nur das geringste Interesse hat, darf dies Buch nicht ungelesen lassen.

Mittlerweile, während der Meister Neues schafft und hervorbringt, schreitet
auch die Herausgabe seiner sämmtlichen Werke rüstig vorwärts, welche
die Buchhandlung von Duncker und Humblot unternommen hat. Bis jetzt
sind schon 24 Bände erschienen. Sie enthalten die Deutsche Reformations-
geschichte (1--6), Abhandlungen zur Deutschen Geschichte 1SS5 bis
1619 (7) die Französische (8--13) die Englische Geschichte (14--22) das
Leben Wallen stein's (23)") und kleinere Abhandlungen (24).

Die Werke Ranke's bezeichnen ganz bestimmte Epochen in der Entwicklung
unserer historischen Literatur. Der Einfluß, den sie auf die historische Wissen¬
schaft ausgeübt haben, ist ein so gewaltiger und so maßgebender gewesen,
daß eine Umarbeitung der älteren Werke auch durch Ranke selbst durchaus nicht
wünschenswert!) erscheint. Aufgabe einer Sammlung der Werke, welche gleich¬
zeitig sie dem größeren Publikum leichter zugänglich macht, ist es, die literarischen
Denkmale so zu sammeln, wie sie auf ihre Zeit und die Wissenschaft gewirkt
haben. Wenn der greise Meister selbst wiederholt diesem Gedanken Ausdruck
verleiht, so wird ihm jeder Sachkundige darin zustimmen, Daneben sind aller¬
dings Aenderungen und Zusätze an vielen Stellen von ihm beliebt worden.



") Das Leben Wallenstein's war erst 1869 neu erschienen, 1870 schon in 2. Auflage.
l872 also in der Gesammtausgabe in dritten Abdruck, Gegen die Käufer der Gesammtaus¬
gabe scheint uns dies Verfahren doch allzuviel Mangel an Rücksicht zu bekunden. Der Freund
historischer Literatur kauft im Jahre 1869 ein Werk für 3 Thlr. 2" Sgr., und wird nach kaum
3 Jahren in die Lage versetzt, dasselbe unveränderte Werk noch einmal für l'/z Thlr. über¬
nehmen zu müssen. Eigentlich hätte man wohl erwarten können, daß alle neuen Werke
sofort auch in der Sammlung erschienen!

Ranke's Sache war es da, die Resultate fremder Forscher zusammenzustellen,
zu sichten und zu ordnen. Es gelang ihm noch einzelne Lücken des Materials
zu ergänzen. Mutter Natur scheint ihn mit der instinktiven Witterung be¬
gabt zu haben, so daß er wie durch Inspiration in jedem Archive sogleich
auf das wichtigere stößt und oft selbst in schon durchwühltem Boden noch
neue Schätze aufdeckt. Einen Fortschritt der historischen Information pflegen
immer Ranke's Schriften zu bezeichnen, — so auch hier. Zugleich aber ist
dies Buch eine klare und übersichtliche Zusammenfassung von allem, was
bisher über den Gegenstand gewußt wurde. Ja noch mehr. Dies Buch steht
unter den bedeutendsten und vollendetsten historischen Kunstwerken in der
allerersten Reihe. An Plastik und Kunst der Darstellung übertrifft es selbst
die besten und genialsten seiner bisherigen Leistungen. Die Disposition des
sehr verschlungenen und complicirten Gewebes diplomatischer Feldzüge ist in
einer Weise geglückt, daß der Zusammenhang alles Einzelnen immer klar über¬
schaut und jede Einzelheit selbst an richtiger Stelle zum Ausdruck gebracht
wird. Wer immer für große Politik oder für schwierige staatliche Verhältnisse
nur das geringste Interesse hat, darf dies Buch nicht ungelesen lassen.

Mittlerweile, während der Meister Neues schafft und hervorbringt, schreitet
auch die Herausgabe seiner sämmtlichen Werke rüstig vorwärts, welche
die Buchhandlung von Duncker und Humblot unternommen hat. Bis jetzt
sind schon 24 Bände erschienen. Sie enthalten die Deutsche Reformations-
geschichte (1—6), Abhandlungen zur Deutschen Geschichte 1SS5 bis
1619 (7) die Französische (8—13) die Englische Geschichte (14—22) das
Leben Wallen stein's (23)") und kleinere Abhandlungen (24).

Die Werke Ranke's bezeichnen ganz bestimmte Epochen in der Entwicklung
unserer historischen Literatur. Der Einfluß, den sie auf die historische Wissen¬
schaft ausgeübt haben, ist ein so gewaltiger und so maßgebender gewesen,
daß eine Umarbeitung der älteren Werke auch durch Ranke selbst durchaus nicht
wünschenswert!) erscheint. Aufgabe einer Sammlung der Werke, welche gleich¬
zeitig sie dem größeren Publikum leichter zugänglich macht, ist es, die literarischen
Denkmale so zu sammeln, wie sie auf ihre Zeit und die Wissenschaft gewirkt
haben. Wenn der greise Meister selbst wiederholt diesem Gedanken Ausdruck
verleiht, so wird ihm jeder Sachkundige darin zustimmen, Daneben sind aller¬
dings Aenderungen und Zusätze an vielen Stellen von ihm beliebt worden.



") Das Leben Wallenstein's war erst 1869 neu erschienen, 1870 schon in 2. Auflage.
l872 also in der Gesammtausgabe in dritten Abdruck, Gegen die Käufer der Gesammtaus¬
gabe scheint uns dies Verfahren doch allzuviel Mangel an Rücksicht zu bekunden. Der Freund
historischer Literatur kauft im Jahre 1869 ein Werk für 3 Thlr. 2» Sgr., und wird nach kaum
3 Jahren in die Lage versetzt, dasselbe unveränderte Werk noch einmal für l'/z Thlr. über¬
nehmen zu müssen. Eigentlich hätte man wohl erwarten können, daß alle neuen Werke
sofort auch in der Sammlung erschienen!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/319>, abgerufen am 22.07.2024.