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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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schen der Steinzeit mit Hilfe dieser Geräthe und Zierrathen vorstellen, wie er
jagt, kämpft, häuslich beschäftigt ist, wie die Frauen spinnen und Korn reiben,
wie sie sich schmücken und begraben werden. Aber die chronologische Frage
liegt nach wie vor im Argen. Aus der großen Verbreitung der Steinwerk¬
zeuge über weite Strecken und aus der großen Anzahl, die gefunden wurden
und noch gefunden werden, dürfen wir wohl auf eine lange Dauer der neo-
lithischen Periode schließen -- aber wie lange sie währte, das ist ein Räthsel,
welches schwer zu lösen sein wird.

Das größte Verdienst Evans' liegt jedoch nicht in den Aufklärungen
über die neolithische, sondern über die paläolithische Zeit. Hätte er die letztere
zuerst abgehandelt, so würde, sagt er, wohl einiger Grund gegeben worden
sein, zu vermuthen, daß wir in ihren Geräthen die ersten Anstrengungen
menschlicher Kunst vor uns hätten. Allein dieses ist nicht der Fall. Die
Forscher in der frühesten Geschichte der Menschheit gleichen den Reisenden,
die nach den Quellen großer Ströme suchen. Sie erreichen eine Stelle, wo
nur noch geringe Spuren der Menschen sich zeigen und das Thierleben fremde
und bisher unbekannte Formen angenommen hat -- aber ihr weiteres Vor¬
dringen wird gehindert. Sie haben die Quelle des Stroms nicht gefunden,
können aber auch nicht mit Sicherheit sagen, daß an ihm weiter aufwärts
keine Menschen mehr wohnen, so gering auch die Spuren waren, welche sie
zuletzt gefunden. stach allen Analogien zu schließen, sagt Evans, kann dar¬
über kein Zweifel aufkommen, daß die menschliche Rasse bis zu einer Periode
zurückgeführt werden wird, die älter als die pleistocene und quaternäre ist,
wenngleich der Beweis hierfür nicht in Europa aufgefunden werden dürfte.

Nach dieser Vorbemerkung wenden wir uns den zwei Abtheilungen zu,
in welche die paläolithische Zeit geschieden wurde und wir bemerken, daß wenn
auch die Ueberbleibsel menschlicher Thätigkeit dieser beiden Perioden manch¬
mal gleichalterig sein mögen, dennoch darüber kaum ein Zweifel herrschen
dürfte, daß die Geräthschaften der Höhlen jüngeren Datums als jene der
Flußanschwemmungen sind. Einige Zugeständnisse werden dabei der Ansicht
zu machen sein, welche die Werkzeuge, die man in den Höhlen fand, mehr
für "häusliche" der Steinzeitmenschen erklären, während man die in den Flu߬
anschwemmungen entdeckten als die im Freien benutzten ansehen kann, gerade
so, wie nach einem Untergange unserer Civilisation Messer und Gabel eher
in den Ruinen der Häuser, Hacke und Pflugschar aber auf dem Felde ge¬
funden werden würden. Aber dennoch deuten die Höhlenfunde auf eine jüngere
Zeit, als die Funde der Alluvionen. Wir wissen ja und das ist durch manches
Zeugniß belegt, daß noch in historischer Zeit Völkerschaften in Höhlen hausten.
Kpeeus c-rant pro "Zomimbus sagt der ältere Plinius, und Claudian, im Be¬
ginne des fünften Jahrhunderts schreibt:


schen der Steinzeit mit Hilfe dieser Geräthe und Zierrathen vorstellen, wie er
jagt, kämpft, häuslich beschäftigt ist, wie die Frauen spinnen und Korn reiben,
wie sie sich schmücken und begraben werden. Aber die chronologische Frage
liegt nach wie vor im Argen. Aus der großen Verbreitung der Steinwerk¬
zeuge über weite Strecken und aus der großen Anzahl, die gefunden wurden
und noch gefunden werden, dürfen wir wohl auf eine lange Dauer der neo-
lithischen Periode schließen — aber wie lange sie währte, das ist ein Räthsel,
welches schwer zu lösen sein wird.

Das größte Verdienst Evans' liegt jedoch nicht in den Aufklärungen
über die neolithische, sondern über die paläolithische Zeit. Hätte er die letztere
zuerst abgehandelt, so würde, sagt er, wohl einiger Grund gegeben worden
sein, zu vermuthen, daß wir in ihren Geräthen die ersten Anstrengungen
menschlicher Kunst vor uns hätten. Allein dieses ist nicht der Fall. Die
Forscher in der frühesten Geschichte der Menschheit gleichen den Reisenden,
die nach den Quellen großer Ströme suchen. Sie erreichen eine Stelle, wo
nur noch geringe Spuren der Menschen sich zeigen und das Thierleben fremde
und bisher unbekannte Formen angenommen hat — aber ihr weiteres Vor¬
dringen wird gehindert. Sie haben die Quelle des Stroms nicht gefunden,
können aber auch nicht mit Sicherheit sagen, daß an ihm weiter aufwärts
keine Menschen mehr wohnen, so gering auch die Spuren waren, welche sie
zuletzt gefunden. stach allen Analogien zu schließen, sagt Evans, kann dar¬
über kein Zweifel aufkommen, daß die menschliche Rasse bis zu einer Periode
zurückgeführt werden wird, die älter als die pleistocene und quaternäre ist,
wenngleich der Beweis hierfür nicht in Europa aufgefunden werden dürfte.

Nach dieser Vorbemerkung wenden wir uns den zwei Abtheilungen zu,
in welche die paläolithische Zeit geschieden wurde und wir bemerken, daß wenn
auch die Ueberbleibsel menschlicher Thätigkeit dieser beiden Perioden manch¬
mal gleichalterig sein mögen, dennoch darüber kaum ein Zweifel herrschen
dürfte, daß die Geräthschaften der Höhlen jüngeren Datums als jene der
Flußanschwemmungen sind. Einige Zugeständnisse werden dabei der Ansicht
zu machen sein, welche die Werkzeuge, die man in den Höhlen fand, mehr
für „häusliche" der Steinzeitmenschen erklären, während man die in den Flu߬
anschwemmungen entdeckten als die im Freien benutzten ansehen kann, gerade
so, wie nach einem Untergange unserer Civilisation Messer und Gabel eher
in den Ruinen der Häuser, Hacke und Pflugschar aber auf dem Felde ge¬
funden werden würden. Aber dennoch deuten die Höhlenfunde auf eine jüngere
Zeit, als die Funde der Alluvionen. Wir wissen ja und das ist durch manches
Zeugniß belegt, daß noch in historischer Zeit Völkerschaften in Höhlen hausten.
Kpeeus c-rant pro «Zomimbus sagt der ältere Plinius, und Claudian, im Be¬
ginne des fünften Jahrhunderts schreibt:


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[0309] schen der Steinzeit mit Hilfe dieser Geräthe und Zierrathen vorstellen, wie er jagt, kämpft, häuslich beschäftigt ist, wie die Frauen spinnen und Korn reiben, wie sie sich schmücken und begraben werden. Aber die chronologische Frage liegt nach wie vor im Argen. Aus der großen Verbreitung der Steinwerk¬ zeuge über weite Strecken und aus der großen Anzahl, die gefunden wurden und noch gefunden werden, dürfen wir wohl auf eine lange Dauer der neo- lithischen Periode schließen — aber wie lange sie währte, das ist ein Räthsel, welches schwer zu lösen sein wird. Das größte Verdienst Evans' liegt jedoch nicht in den Aufklärungen über die neolithische, sondern über die paläolithische Zeit. Hätte er die letztere zuerst abgehandelt, so würde, sagt er, wohl einiger Grund gegeben worden sein, zu vermuthen, daß wir in ihren Geräthen die ersten Anstrengungen menschlicher Kunst vor uns hätten. Allein dieses ist nicht der Fall. Die Forscher in der frühesten Geschichte der Menschheit gleichen den Reisenden, die nach den Quellen großer Ströme suchen. Sie erreichen eine Stelle, wo nur noch geringe Spuren der Menschen sich zeigen und das Thierleben fremde und bisher unbekannte Formen angenommen hat — aber ihr weiteres Vor¬ dringen wird gehindert. Sie haben die Quelle des Stroms nicht gefunden, können aber auch nicht mit Sicherheit sagen, daß an ihm weiter aufwärts keine Menschen mehr wohnen, so gering auch die Spuren waren, welche sie zuletzt gefunden. stach allen Analogien zu schließen, sagt Evans, kann dar¬ über kein Zweifel aufkommen, daß die menschliche Rasse bis zu einer Periode zurückgeführt werden wird, die älter als die pleistocene und quaternäre ist, wenngleich der Beweis hierfür nicht in Europa aufgefunden werden dürfte. Nach dieser Vorbemerkung wenden wir uns den zwei Abtheilungen zu, in welche die paläolithische Zeit geschieden wurde und wir bemerken, daß wenn auch die Ueberbleibsel menschlicher Thätigkeit dieser beiden Perioden manch¬ mal gleichalterig sein mögen, dennoch darüber kaum ein Zweifel herrschen dürfte, daß die Geräthschaften der Höhlen jüngeren Datums als jene der Flußanschwemmungen sind. Einige Zugeständnisse werden dabei der Ansicht zu machen sein, welche die Werkzeuge, die man in den Höhlen fand, mehr für „häusliche" der Steinzeitmenschen erklären, während man die in den Flu߬ anschwemmungen entdeckten als die im Freien benutzten ansehen kann, gerade so, wie nach einem Untergange unserer Civilisation Messer und Gabel eher in den Ruinen der Häuser, Hacke und Pflugschar aber auf dem Felde ge¬ funden werden würden. Aber dennoch deuten die Höhlenfunde auf eine jüngere Zeit, als die Funde der Alluvionen. Wir wissen ja und das ist durch manches Zeugniß belegt, daß noch in historischer Zeit Völkerschaften in Höhlen hausten. Kpeeus c-rant pro «Zomimbus sagt der ältere Plinius, und Claudian, im Be¬ ginne des fünften Jahrhunderts schreibt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/309>, abgerufen am 22.07.2024.