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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Die "Vier Fragen" erschienen im Februar 1841, unmittelbar vor Er¬
öffnung des ostpreußischen Landtags. Es war ein kleines Schriftchen, aber
schwer an Inhalt und erfüllt von einer unerbittlichen Logik.

Die vier Fragen waren: 1) Was wünschen die preußischen (Königsberger)
Stände? 2) Was berechtigte sie? 3) Welcher Bescheid ward ihnen? 4) Was
bleibt ihnen zu thun übrig?

Die Antworten lauteten so: Zu 1. Sie wünschen Theilnahme der Bürger
am Staat. -- Zu 2. Das Bewußtsein eigener Mündigkeit und ihre bereits
am 22. Mai 1815 erfolgte Mündigsprechung berechtigte sie dazu. -- Zu 3.
Als Bescheid ward ihnen: -- Anerkennung ihrer treuen Gesinnung -- Ab¬
weisung der gestellten Anträge -- vertröstende Hindeutung auf einen zukünf¬
tigen unbestimmten Ersatz. -- Zu 4. Dem gegenüber bleibt ihnen nichts
übrig, als Das, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als klar erwie¬
senes Recht in Anspruch zu nehmen. --

Neben der Schärfe der Logik, der Sachkenntniß und dem Ernst, war es
vor Allem die große Mäßigung, welche die Schrift auszeichnete. Dieselbe
erschien anonym und geheimnißvoll. Sie war in Mannheim verlegt. An
demselben Tage und in derselben Stunde tauchte sie an allen Orten der preu¬
ßischen Monarchie auf. Sämmtliche Deputirte der Provinziallandtage er¬
hielten sie, ohne zu wissen von wem. Nach Berlin kam sie zuletzt. Als von
der Hauptstadt aus der Befehl der Confiscation erging, war es zu spät, die
Verbreitung war schon vollendet. -- Der Eindruck der Schrift war bewälti¬
gend, nicht nur in Preußen, sondern in ganz Deutschland, welches damals
schon ahnte, seine Zukunft werde in Preußen entschieden. Der Verfasser war
unbekannt. Man rieth zuerst auf Schön. Dann hieß es, nein, Schön sei
es nicht. Aber wer sonst? Wer vermochte eine so imponirende Sprache zu
führen?

Da wurde das Geheimniß enthüllt, und zwar durch den König. Der
Verfasser, der gegen alle Andern, gegen die ganze Welt seine Autorschaft so
sorgfältig verbarg, hatte sie nur einer Person offenbart, und zwar der höchsten
Person im Staat. Er hatte dem König die Schrift vorgelegt mit einem ehr¬
furchtsvollen Schreiben, welches unterzeichnet war: Dr. Johann Jacoby, prak¬
tischer Arzt in Königsberg.

Die Antwort war die Einleitung einer Untersuchung wegen Hochverrathes,
Majestätsbeleidigung, Aufregung zum Mißvergnügen, frechen und unehr¬
erbietigem Tadels der Landesgesetze u. s. w. Gleichzeitig verklagte Preußen
die Schrift beim -- Bundestage, und dieser verfügte mit ganz unerhörter
Schnelligkeit, schon am 13. März, ihr Verbot in sämmtlichen deutschen Bundes¬
staaten , Liechtenstein und Vaduz mit Inbegriffen. -- Die Untersuchung hatte
seltsame Schicksale. Das Obcrlandesgericht in Königsberg behauptete, nur


Grenjboten IV. 1872. 37

Die „Vier Fragen" erschienen im Februar 1841, unmittelbar vor Er¬
öffnung des ostpreußischen Landtags. Es war ein kleines Schriftchen, aber
schwer an Inhalt und erfüllt von einer unerbittlichen Logik.

Die vier Fragen waren: 1) Was wünschen die preußischen (Königsberger)
Stände? 2) Was berechtigte sie? 3) Welcher Bescheid ward ihnen? 4) Was
bleibt ihnen zu thun übrig?

Die Antworten lauteten so: Zu 1. Sie wünschen Theilnahme der Bürger
am Staat. — Zu 2. Das Bewußtsein eigener Mündigkeit und ihre bereits
am 22. Mai 1815 erfolgte Mündigsprechung berechtigte sie dazu. — Zu 3.
Als Bescheid ward ihnen: — Anerkennung ihrer treuen Gesinnung — Ab¬
weisung der gestellten Anträge — vertröstende Hindeutung auf einen zukünf¬
tigen unbestimmten Ersatz. — Zu 4. Dem gegenüber bleibt ihnen nichts
übrig, als Das, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als klar erwie¬
senes Recht in Anspruch zu nehmen. —

Neben der Schärfe der Logik, der Sachkenntniß und dem Ernst, war es
vor Allem die große Mäßigung, welche die Schrift auszeichnete. Dieselbe
erschien anonym und geheimnißvoll. Sie war in Mannheim verlegt. An
demselben Tage und in derselben Stunde tauchte sie an allen Orten der preu¬
ßischen Monarchie auf. Sämmtliche Deputirte der Provinziallandtage er¬
hielten sie, ohne zu wissen von wem. Nach Berlin kam sie zuletzt. Als von
der Hauptstadt aus der Befehl der Confiscation erging, war es zu spät, die
Verbreitung war schon vollendet. — Der Eindruck der Schrift war bewälti¬
gend, nicht nur in Preußen, sondern in ganz Deutschland, welches damals
schon ahnte, seine Zukunft werde in Preußen entschieden. Der Verfasser war
unbekannt. Man rieth zuerst auf Schön. Dann hieß es, nein, Schön sei
es nicht. Aber wer sonst? Wer vermochte eine so imponirende Sprache zu
führen?

Da wurde das Geheimniß enthüllt, und zwar durch den König. Der
Verfasser, der gegen alle Andern, gegen die ganze Welt seine Autorschaft so
sorgfältig verbarg, hatte sie nur einer Person offenbart, und zwar der höchsten
Person im Staat. Er hatte dem König die Schrift vorgelegt mit einem ehr¬
furchtsvollen Schreiben, welches unterzeichnet war: Dr. Johann Jacoby, prak¬
tischer Arzt in Königsberg.

Die Antwort war die Einleitung einer Untersuchung wegen Hochverrathes,
Majestätsbeleidigung, Aufregung zum Mißvergnügen, frechen und unehr¬
erbietigem Tadels der Landesgesetze u. s. w. Gleichzeitig verklagte Preußen
die Schrift beim — Bundestage, und dieser verfügte mit ganz unerhörter
Schnelligkeit, schon am 13. März, ihr Verbot in sämmtlichen deutschen Bundes¬
staaten , Liechtenstein und Vaduz mit Inbegriffen. — Die Untersuchung hatte
seltsame Schicksale. Das Obcrlandesgericht in Königsberg behauptete, nur


Grenjboten IV. 1872. 37
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[0297] Die „Vier Fragen" erschienen im Februar 1841, unmittelbar vor Er¬ öffnung des ostpreußischen Landtags. Es war ein kleines Schriftchen, aber schwer an Inhalt und erfüllt von einer unerbittlichen Logik. Die vier Fragen waren: 1) Was wünschen die preußischen (Königsberger) Stände? 2) Was berechtigte sie? 3) Welcher Bescheid ward ihnen? 4) Was bleibt ihnen zu thun übrig? Die Antworten lauteten so: Zu 1. Sie wünschen Theilnahme der Bürger am Staat. — Zu 2. Das Bewußtsein eigener Mündigkeit und ihre bereits am 22. Mai 1815 erfolgte Mündigsprechung berechtigte sie dazu. — Zu 3. Als Bescheid ward ihnen: — Anerkennung ihrer treuen Gesinnung — Ab¬ weisung der gestellten Anträge — vertröstende Hindeutung auf einen zukünf¬ tigen unbestimmten Ersatz. — Zu 4. Dem gegenüber bleibt ihnen nichts übrig, als Das, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als klar erwie¬ senes Recht in Anspruch zu nehmen. — Neben der Schärfe der Logik, der Sachkenntniß und dem Ernst, war es vor Allem die große Mäßigung, welche die Schrift auszeichnete. Dieselbe erschien anonym und geheimnißvoll. Sie war in Mannheim verlegt. An demselben Tage und in derselben Stunde tauchte sie an allen Orten der preu¬ ßischen Monarchie auf. Sämmtliche Deputirte der Provinziallandtage er¬ hielten sie, ohne zu wissen von wem. Nach Berlin kam sie zuletzt. Als von der Hauptstadt aus der Befehl der Confiscation erging, war es zu spät, die Verbreitung war schon vollendet. — Der Eindruck der Schrift war bewälti¬ gend, nicht nur in Preußen, sondern in ganz Deutschland, welches damals schon ahnte, seine Zukunft werde in Preußen entschieden. Der Verfasser war unbekannt. Man rieth zuerst auf Schön. Dann hieß es, nein, Schön sei es nicht. Aber wer sonst? Wer vermochte eine so imponirende Sprache zu führen? Da wurde das Geheimniß enthüllt, und zwar durch den König. Der Verfasser, der gegen alle Andern, gegen die ganze Welt seine Autorschaft so sorgfältig verbarg, hatte sie nur einer Person offenbart, und zwar der höchsten Person im Staat. Er hatte dem König die Schrift vorgelegt mit einem ehr¬ furchtsvollen Schreiben, welches unterzeichnet war: Dr. Johann Jacoby, prak¬ tischer Arzt in Königsberg. Die Antwort war die Einleitung einer Untersuchung wegen Hochverrathes, Majestätsbeleidigung, Aufregung zum Mißvergnügen, frechen und unehr¬ erbietigem Tadels der Landesgesetze u. s. w. Gleichzeitig verklagte Preußen die Schrift beim — Bundestage, und dieser verfügte mit ganz unerhörter Schnelligkeit, schon am 13. März, ihr Verbot in sämmtlichen deutschen Bundes¬ staaten , Liechtenstein und Vaduz mit Inbegriffen. — Die Untersuchung hatte seltsame Schicksale. Das Obcrlandesgericht in Königsberg behauptete, nur Grenjboten IV. 1872. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/297>, abgerufen am 22.07.2024.