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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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u. s. w.) den idealen Gütern der Nation , namentlich dem durch die Natur
der Dinge und feierliche Verbriefung wohlbegründeten Anspruch Preußens auf
eine constitutionelle Verfassung, oder wie man damals sagte auf "Reichsstände"
die nachdrücklichste Befürwortung zu leihen, -- ein Verdienst, das kaum we¬
niger hochzuschätzen, als die ein Menschenalter früher betheiligte Initiative
zur Abwerfung des Joches der Fremdherrschaft (1812 -und 1813).

Am 29. August 1840 zog der neue König in Königsberg ein, begleitet
von dem ominösen Herrn v. Rochow. Namens der Stadt begrüßte ihn der
Oberbürgermeister von Auerswald. Rochow und Auerswald, -- diese beiden
Namen reichen hin, die Situation zu bezeichnen. Der Oberpräsident von
Schön verlas das Decret, welches den preußischen Huldigungs-Landtag am
K. Sept. 1840 eröffnete. Schon am 6. Sept. stellte ein Königsberger Depu-
tirter, dessen Namen Deutschland heute leider schon vergessen zu haben scheint,
der Kaufmann Heinrich, den Antrag auf Einführung von Reichsständen und
einer constitutionellen Verfassung. Der Antrag wurde von dem Oberpräsidenten
von Schön, dem Oberburggrasen von Brünneck, dem Oberbürgermeister von
Auerswald und dem Deputaten von Saucken-Tarputschen unterstützt und mit
90 Stimmen gegen 5 angenommen. Das Land jubelte Beifall. Der König
erließ einen nicht ungnädigen Abschied. Von allen Seiten gingen Petitionen
ein für den Königsberger Beschluß. Es waren die Flitterwochen der neuen
Herrschaft. Der Rückschlag blieb bekanntlich nicht aus.

Es waren zwei politische Schriften, welche damals die allgemeine Auf¬
merksamkeit auf sich zogen. Die eine war betitelt: "Woher und Wohin?"
die andere: "Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen."
Die Schrift "Woher und Wohin", als deren Verfasser sich später der Ober¬
präsident von Schön herausstellte, schloß mit den Worten:


-- "Nur durch Gcnernlständc kann und wird in unserem Lande ein öffentliches
Leben entstehen. Ist der Tag dazu angebrochen, so läßt die Sonne sich nicht in ihrem
Lauf gebieten. Schon im Jahr 1813 sah man die erste Morgenröthe eines solchen
öffentlichen Lebens auftauchen, und die äußersten Spitzen gen Ost und West in unserm
Laude sind noch davon erleuchtet! Daher kam damals, als der König rief, Alles, Jung
und Alt, zu seinen Fahnen, ja fürwahr in voller Treue kam man in Preußen des
Königs Rufe zuvor. Tritt für uns erst das volle öffentliche Leben ein, so sind wir
unüberwindlich und unser Thron steht dann auf einer Höhe da, auf der er, nach dem
Culturzustande des Volkes, zu stehen verdient. -- Die Zeit der sogenannten väterlichen
oder patriarchalischen Negierung, für welche dos Volk aus einer Masse Unmündiger
bestehen und sich beliebig leiten und führen lassen soll, läßt sich nicht zurückführen.
Wenn man die Zeit nicht nimmt, wie sie ist, das Gute daraus ergreift und es in
seiner Entwickelung fördert, dann straft die Zeit." --

u. s. w.) den idealen Gütern der Nation , namentlich dem durch die Natur
der Dinge und feierliche Verbriefung wohlbegründeten Anspruch Preußens auf
eine constitutionelle Verfassung, oder wie man damals sagte auf „Reichsstände"
die nachdrücklichste Befürwortung zu leihen, — ein Verdienst, das kaum we¬
niger hochzuschätzen, als die ein Menschenalter früher betheiligte Initiative
zur Abwerfung des Joches der Fremdherrschaft (1812 -und 1813).

Am 29. August 1840 zog der neue König in Königsberg ein, begleitet
von dem ominösen Herrn v. Rochow. Namens der Stadt begrüßte ihn der
Oberbürgermeister von Auerswald. Rochow und Auerswald, — diese beiden
Namen reichen hin, die Situation zu bezeichnen. Der Oberpräsident von
Schön verlas das Decret, welches den preußischen Huldigungs-Landtag am
K. Sept. 1840 eröffnete. Schon am 6. Sept. stellte ein Königsberger Depu-
tirter, dessen Namen Deutschland heute leider schon vergessen zu haben scheint,
der Kaufmann Heinrich, den Antrag auf Einführung von Reichsständen und
einer constitutionellen Verfassung. Der Antrag wurde von dem Oberpräsidenten
von Schön, dem Oberburggrasen von Brünneck, dem Oberbürgermeister von
Auerswald und dem Deputaten von Saucken-Tarputschen unterstützt und mit
90 Stimmen gegen 5 angenommen. Das Land jubelte Beifall. Der König
erließ einen nicht ungnädigen Abschied. Von allen Seiten gingen Petitionen
ein für den Königsberger Beschluß. Es waren die Flitterwochen der neuen
Herrschaft. Der Rückschlag blieb bekanntlich nicht aus.

Es waren zwei politische Schriften, welche damals die allgemeine Auf¬
merksamkeit auf sich zogen. Die eine war betitelt: „Woher und Wohin?"
die andere: „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen."
Die Schrift „Woher und Wohin", als deren Verfasser sich später der Ober¬
präsident von Schön herausstellte, schloß mit den Worten:


— „Nur durch Gcnernlständc kann und wird in unserem Lande ein öffentliches
Leben entstehen. Ist der Tag dazu angebrochen, so läßt die Sonne sich nicht in ihrem
Lauf gebieten. Schon im Jahr 1813 sah man die erste Morgenröthe eines solchen
öffentlichen Lebens auftauchen, und die äußersten Spitzen gen Ost und West in unserm
Laude sind noch davon erleuchtet! Daher kam damals, als der König rief, Alles, Jung
und Alt, zu seinen Fahnen, ja fürwahr in voller Treue kam man in Preußen des
Königs Rufe zuvor. Tritt für uns erst das volle öffentliche Leben ein, so sind wir
unüberwindlich und unser Thron steht dann auf einer Höhe da, auf der er, nach dem
Culturzustande des Volkes, zu stehen verdient. — Die Zeit der sogenannten väterlichen
oder patriarchalischen Negierung, für welche dos Volk aus einer Masse Unmündiger
bestehen und sich beliebig leiten und führen lassen soll, läßt sich nicht zurückführen.
Wenn man die Zeit nicht nimmt, wie sie ist, das Gute daraus ergreift und es in
seiner Entwickelung fördert, dann straft die Zeit." —

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[0296] u. s. w.) den idealen Gütern der Nation , namentlich dem durch die Natur der Dinge und feierliche Verbriefung wohlbegründeten Anspruch Preußens auf eine constitutionelle Verfassung, oder wie man damals sagte auf „Reichsstände" die nachdrücklichste Befürwortung zu leihen, — ein Verdienst, das kaum we¬ niger hochzuschätzen, als die ein Menschenalter früher betheiligte Initiative zur Abwerfung des Joches der Fremdherrschaft (1812 -und 1813). Am 29. August 1840 zog der neue König in Königsberg ein, begleitet von dem ominösen Herrn v. Rochow. Namens der Stadt begrüßte ihn der Oberbürgermeister von Auerswald. Rochow und Auerswald, — diese beiden Namen reichen hin, die Situation zu bezeichnen. Der Oberpräsident von Schön verlas das Decret, welches den preußischen Huldigungs-Landtag am K. Sept. 1840 eröffnete. Schon am 6. Sept. stellte ein Königsberger Depu- tirter, dessen Namen Deutschland heute leider schon vergessen zu haben scheint, der Kaufmann Heinrich, den Antrag auf Einführung von Reichsständen und einer constitutionellen Verfassung. Der Antrag wurde von dem Oberpräsidenten von Schön, dem Oberburggrasen von Brünneck, dem Oberbürgermeister von Auerswald und dem Deputaten von Saucken-Tarputschen unterstützt und mit 90 Stimmen gegen 5 angenommen. Das Land jubelte Beifall. Der König erließ einen nicht ungnädigen Abschied. Von allen Seiten gingen Petitionen ein für den Königsberger Beschluß. Es waren die Flitterwochen der neuen Herrschaft. Der Rückschlag blieb bekanntlich nicht aus. Es waren zwei politische Schriften, welche damals die allgemeine Auf¬ merksamkeit auf sich zogen. Die eine war betitelt: „Woher und Wohin?" die andere: „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen." Die Schrift „Woher und Wohin", als deren Verfasser sich später der Ober¬ präsident von Schön herausstellte, schloß mit den Worten: — „Nur durch Gcnernlständc kann und wird in unserem Lande ein öffentliches Leben entstehen. Ist der Tag dazu angebrochen, so läßt die Sonne sich nicht in ihrem Lauf gebieten. Schon im Jahr 1813 sah man die erste Morgenröthe eines solchen öffentlichen Lebens auftauchen, und die äußersten Spitzen gen Ost und West in unserm Laude sind noch davon erleuchtet! Daher kam damals, als der König rief, Alles, Jung und Alt, zu seinen Fahnen, ja fürwahr in voller Treue kam man in Preußen des Königs Rufe zuvor. Tritt für uns erst das volle öffentliche Leben ein, so sind wir unüberwindlich und unser Thron steht dann auf einer Höhe da, auf der er, nach dem Culturzustande des Volkes, zu stehen verdient. — Die Zeit der sogenannten väterlichen oder patriarchalischen Negierung, für welche dos Volk aus einer Masse Unmündiger bestehen und sich beliebig leiten und führen lassen soll, läßt sich nicht zurückführen. Wenn man die Zeit nicht nimmt, wie sie ist, das Gute daraus ergreift und es in seiner Entwickelung fördert, dann straft die Zeit." —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/296>, abgerufen am 22.07.2024.