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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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müssen wir, obgleich wir nur mit deren Allfang, aber durchaus nicht mir
deren Ende einverstanden find, dennoch erklären, daß die Uebersicht, welche
uns die "Gesammelten Schriften und Reden" über die Entwickelung
und die Thätigkeit dieses Mannes während der letzten dreißig Jahre gewähren,
von dem höchsten Interesse ist. Wir haben hier gleichsam ein physisches Ob¬
ject, in welchem sich die Geschichte des politischen Geistes während dieser für
Deutschland so außerordentlich wichtigen Periode spiegelt. Im Anfang ist
der Spiegel von außerordentlicher Schärfe und Klarheit, und er steht in der
richtigen Distanz und Stellung zu den Dingen, um sie gut und treu aufzu¬
fassen. Später ändert sich dieses. Der Spiegel wendet sich von den Dingen
mehr ab, und ein trüber Hauch beginnt ihn zu bedecken. Die objective Nichtig¬
keit der Wiedergabe hört auf, dafür aber finden wir Ersatz in der subjec-
tiven Beschaffenheit der Person, welche typisch ist für eine ganze Reihe zeit¬
genössischer Erscheinungen. Das subjective, pathologische, psychologische Inter¬
esse tritt an die Stelle des objectiven, physiologischen, historischen. Dadurch
scheidet sich von selbst die Laufbahn in zwei Perioden, von welchen wir im
Zweifel sind, welche von ihnen wichtiger ist für die Geschichte unserer Zeiten.

Jedoch ist diese Sammlung kein Buch für politische Kinder, oder auch
nur für angehende Politiker. Sie könnten sich den Tod davon holen, und
zwar um so sicherer, je größer die Aufrichtigkeit ist, mit welcher hier Alles
Gutes und Böses, neben einander ausgekramt wird. Es ist ein Buch für
Staatsmänner, welche selbst in dem letzten Menschenalter thätig waren und
hier zu erkennen vermögen, wie sich der Proceß vollzieht, der einen von Haus
aus der Freiheit und dem Fortschritte ergebenen Mann allmählich so sehr in
die absolute Verneinung drängt, daß er sich schließlich auch gegen Freiheit und
Fortschritt feindselig wendet, blos deshalb weil dieselben sich zu realisiren be¬
ginnen, und wie er sich so in Abstractionen verflüchtigt, daß er Staat und
Nation um ihres concreten Inhalts wegen verachtet und sich zur Bekämpfung
derselben mit den vaterlandslosen Schwarzen und Rothen vereinigt. In der
That ein sehr trauriger, aber außerordentlich lehrreicher Hergang.

Es ist ein Buch für zukünftige Geschichtsschreiber, sowohl für die Staats-,
als auch für die Cultur- und Geistesgeschichte. Es zeigt uns, wie ein Mann
von bedeutender Befähigung, ein Mann von warmem Herzen und scharfem
Geiste, sich durch den schweren Druck enger Verhältnisse und veralteter In¬
stitutionen hindurchwindet und durchkämpft, wie er als mächtiger und beredter
Kämpfer für die Unterdrückten auftritt ohne Furcht vor Gefahr und Verfol¬
gung, wie er nicht weniger für die nationale Idee eintritt, in der National¬
versammlung, wie in dem Nationalverein, wie er aber dann die staatlichen
Gebilde, welche er ideal ersehnt, auf das Entschiedenste befehdet, sobald sie in
die reale Erscheinung getreten sind, wie er sich immer mehr der Gegenwart


müssen wir, obgleich wir nur mit deren Allfang, aber durchaus nicht mir
deren Ende einverstanden find, dennoch erklären, daß die Uebersicht, welche
uns die „Gesammelten Schriften und Reden" über die Entwickelung
und die Thätigkeit dieses Mannes während der letzten dreißig Jahre gewähren,
von dem höchsten Interesse ist. Wir haben hier gleichsam ein physisches Ob¬
ject, in welchem sich die Geschichte des politischen Geistes während dieser für
Deutschland so außerordentlich wichtigen Periode spiegelt. Im Anfang ist
der Spiegel von außerordentlicher Schärfe und Klarheit, und er steht in der
richtigen Distanz und Stellung zu den Dingen, um sie gut und treu aufzu¬
fassen. Später ändert sich dieses. Der Spiegel wendet sich von den Dingen
mehr ab, und ein trüber Hauch beginnt ihn zu bedecken. Die objective Nichtig¬
keit der Wiedergabe hört auf, dafür aber finden wir Ersatz in der subjec-
tiven Beschaffenheit der Person, welche typisch ist für eine ganze Reihe zeit¬
genössischer Erscheinungen. Das subjective, pathologische, psychologische Inter¬
esse tritt an die Stelle des objectiven, physiologischen, historischen. Dadurch
scheidet sich von selbst die Laufbahn in zwei Perioden, von welchen wir im
Zweifel sind, welche von ihnen wichtiger ist für die Geschichte unserer Zeiten.

Jedoch ist diese Sammlung kein Buch für politische Kinder, oder auch
nur für angehende Politiker. Sie könnten sich den Tod davon holen, und
zwar um so sicherer, je größer die Aufrichtigkeit ist, mit welcher hier Alles
Gutes und Böses, neben einander ausgekramt wird. Es ist ein Buch für
Staatsmänner, welche selbst in dem letzten Menschenalter thätig waren und
hier zu erkennen vermögen, wie sich der Proceß vollzieht, der einen von Haus
aus der Freiheit und dem Fortschritte ergebenen Mann allmählich so sehr in
die absolute Verneinung drängt, daß er sich schließlich auch gegen Freiheit und
Fortschritt feindselig wendet, blos deshalb weil dieselben sich zu realisiren be¬
ginnen, und wie er sich so in Abstractionen verflüchtigt, daß er Staat und
Nation um ihres concreten Inhalts wegen verachtet und sich zur Bekämpfung
derselben mit den vaterlandslosen Schwarzen und Rothen vereinigt. In der
That ein sehr trauriger, aber außerordentlich lehrreicher Hergang.

Es ist ein Buch für zukünftige Geschichtsschreiber, sowohl für die Staats-,
als auch für die Cultur- und Geistesgeschichte. Es zeigt uns, wie ein Mann
von bedeutender Befähigung, ein Mann von warmem Herzen und scharfem
Geiste, sich durch den schweren Druck enger Verhältnisse und veralteter In¬
stitutionen hindurchwindet und durchkämpft, wie er als mächtiger und beredter
Kämpfer für die Unterdrückten auftritt ohne Furcht vor Gefahr und Verfol¬
gung, wie er nicht weniger für die nationale Idee eintritt, in der National¬
versammlung, wie in dem Nationalverein, wie er aber dann die staatlichen
Gebilde, welche er ideal ersehnt, auf das Entschiedenste befehdet, sobald sie in
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[0294] müssen wir, obgleich wir nur mit deren Allfang, aber durchaus nicht mir deren Ende einverstanden find, dennoch erklären, daß die Uebersicht, welche uns die „Gesammelten Schriften und Reden" über die Entwickelung und die Thätigkeit dieses Mannes während der letzten dreißig Jahre gewähren, von dem höchsten Interesse ist. Wir haben hier gleichsam ein physisches Ob¬ ject, in welchem sich die Geschichte des politischen Geistes während dieser für Deutschland so außerordentlich wichtigen Periode spiegelt. Im Anfang ist der Spiegel von außerordentlicher Schärfe und Klarheit, und er steht in der richtigen Distanz und Stellung zu den Dingen, um sie gut und treu aufzu¬ fassen. Später ändert sich dieses. Der Spiegel wendet sich von den Dingen mehr ab, und ein trüber Hauch beginnt ihn zu bedecken. Die objective Nichtig¬ keit der Wiedergabe hört auf, dafür aber finden wir Ersatz in der subjec- tiven Beschaffenheit der Person, welche typisch ist für eine ganze Reihe zeit¬ genössischer Erscheinungen. Das subjective, pathologische, psychologische Inter¬ esse tritt an die Stelle des objectiven, physiologischen, historischen. Dadurch scheidet sich von selbst die Laufbahn in zwei Perioden, von welchen wir im Zweifel sind, welche von ihnen wichtiger ist für die Geschichte unserer Zeiten. Jedoch ist diese Sammlung kein Buch für politische Kinder, oder auch nur für angehende Politiker. Sie könnten sich den Tod davon holen, und zwar um so sicherer, je größer die Aufrichtigkeit ist, mit welcher hier Alles Gutes und Böses, neben einander ausgekramt wird. Es ist ein Buch für Staatsmänner, welche selbst in dem letzten Menschenalter thätig waren und hier zu erkennen vermögen, wie sich der Proceß vollzieht, der einen von Haus aus der Freiheit und dem Fortschritte ergebenen Mann allmählich so sehr in die absolute Verneinung drängt, daß er sich schließlich auch gegen Freiheit und Fortschritt feindselig wendet, blos deshalb weil dieselben sich zu realisiren be¬ ginnen, und wie er sich so in Abstractionen verflüchtigt, daß er Staat und Nation um ihres concreten Inhalts wegen verachtet und sich zur Bekämpfung derselben mit den vaterlandslosen Schwarzen und Rothen vereinigt. In der That ein sehr trauriger, aber außerordentlich lehrreicher Hergang. Es ist ein Buch für zukünftige Geschichtsschreiber, sowohl für die Staats-, als auch für die Cultur- und Geistesgeschichte. Es zeigt uns, wie ein Mann von bedeutender Befähigung, ein Mann von warmem Herzen und scharfem Geiste, sich durch den schweren Druck enger Verhältnisse und veralteter In¬ stitutionen hindurchwindet und durchkämpft, wie er als mächtiger und beredter Kämpfer für die Unterdrückten auftritt ohne Furcht vor Gefahr und Verfol¬ gung, wie er nicht weniger für die nationale Idee eintritt, in der National¬ versammlung, wie in dem Nationalverein, wie er aber dann die staatlichen Gebilde, welche er ideal ersehnt, auf das Entschiedenste befehdet, sobald sie in die reale Erscheinung getreten sind, wie er sich immer mehr der Gegenwart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/294>, abgerufen am 22.07.2024.