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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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sende Landtagssession unmittelbar geschlossen und eine neue sogleich werde er¬
öffnet werden, deren erste Aufgabe sofort wieder die Kreisordnung sein werde.
Denn die Negierung sei mit voller Zustimmung des Königs von der noth¬
wendigen Durchführung dieses Gesetzes so überzeugt, daß diese Durchführung
mit allen Mitteln, welche die Verfassung gewährt, von der Staatsregierung
werde versucht werden.

Die Schlußabstimmung hatte am 31. October stattgefunden, am 1. No¬
vember wurde der Landtag durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Staats¬
ministeriums, Kriegsminister v. Roon, unter Verlesung des königlichen Schlie¬
ßungsbefehls, ohne rückblickende Rede geschlossen, Am Abende desselben Tages
veröffentlichte der Staatsanzeiger bereits die Einberufung des Landtages zu
der neuen Session auf den 12. November.

Es scheint außer Zweifel, daß die nächsten Tage einen sogenannten Pair-
schub bringen werden. Ein solcher wäre auch nicht als aufgegeben zu be¬
trachten, wenn er bei Eröffnung der neuen Session noch nicht sollte einge¬
treten sein. Denn zunächst muß das Abgeordnetenhaus die Kreisordnung
wiederum annehmen, was von Seiten derselben wahrscheinlich mittelst einer
bloc Abstimmung geschehen wird. Wir hoffen, daß diese Voraussetzung
auch dann sich erfüllt, wenn die zu allererst als Regierungsvorlage wiederum
einzubringende Kreisordnung einige Abweichungen enthalten sollte von der
Gestalt, in welcher der Gesetzentwurf zuletzt aus dem Abgeordnetenhaus her¬
vorgegangen war. Wie kurz man diese Geschäftsformalitäten durch den Eifer
des Abgeordnetenhauses sich immerhin denke, sie werden doch einige Zeit be¬
anspruchen. Es wäre Nichts versäumt, wenn erst während dieser Zeit, also
nach Eröffnung der neuen Session, der Pairschub eintreten sollte.

Die Hauptfrage der Situation liegt indeß gar nicht mehr in der Durch¬
dringung der Kreisordnung. Diese erscheint durch den unvermeidlich gewordenen
Pairschub gesichert. Die Hauptfrage ist aber, ob die Regierung die außer¬
ordentliche Maßregel eines Pairschubs unter dem Gesichtspunkte einer um¬
sichtigen Politik ergreifen darf lediglich zu dem Zweck, ein regelmäßiges Gesetz
durchzubringen, wie wichtig dasselbe immerhin sei. Soll ein Pairschub toe
d. h. zur Durchführung einer Gesetzesmaßregel vorgenommen werden, so darf
die betreffende Maßregel kein regelmäßiges Gesetz, sie muß vielmehr eine Ver¬
fassungsänderung sein. Denn wollte man den Pairschub zur Durchdringung
der regelmäßigen Gesetze anwenden, so könnte man. wie Fürst Bismarck ein¬
mal selbst im Herrenhause, und zwar im Januar 1865 in seiner treffenden
Weise ausgeführt hat, in die Lage kommen, bei jedem wichtigen Gesetz eine
neue Schicht von Pairs über die vorhandenen lagern zu müssen, die aus den
verschiedensten Gründen zu der neuen Gesetzvorlage oppositionell stehen können.
Nein, man muß die Staatskörperschaften so bilden, daß sie den wahren Ge-


sende Landtagssession unmittelbar geschlossen und eine neue sogleich werde er¬
öffnet werden, deren erste Aufgabe sofort wieder die Kreisordnung sein werde.
Denn die Negierung sei mit voller Zustimmung des Königs von der noth¬
wendigen Durchführung dieses Gesetzes so überzeugt, daß diese Durchführung
mit allen Mitteln, welche die Verfassung gewährt, von der Staatsregierung
werde versucht werden.

Die Schlußabstimmung hatte am 31. October stattgefunden, am 1. No¬
vember wurde der Landtag durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Staats¬
ministeriums, Kriegsminister v. Roon, unter Verlesung des königlichen Schlie¬
ßungsbefehls, ohne rückblickende Rede geschlossen, Am Abende desselben Tages
veröffentlichte der Staatsanzeiger bereits die Einberufung des Landtages zu
der neuen Session auf den 12. November.

Es scheint außer Zweifel, daß die nächsten Tage einen sogenannten Pair-
schub bringen werden. Ein solcher wäre auch nicht als aufgegeben zu be¬
trachten, wenn er bei Eröffnung der neuen Session noch nicht sollte einge¬
treten sein. Denn zunächst muß das Abgeordnetenhaus die Kreisordnung
wiederum annehmen, was von Seiten derselben wahrscheinlich mittelst einer
bloc Abstimmung geschehen wird. Wir hoffen, daß diese Voraussetzung
auch dann sich erfüllt, wenn die zu allererst als Regierungsvorlage wiederum
einzubringende Kreisordnung einige Abweichungen enthalten sollte von der
Gestalt, in welcher der Gesetzentwurf zuletzt aus dem Abgeordnetenhaus her¬
vorgegangen war. Wie kurz man diese Geschäftsformalitäten durch den Eifer
des Abgeordnetenhauses sich immerhin denke, sie werden doch einige Zeit be¬
anspruchen. Es wäre Nichts versäumt, wenn erst während dieser Zeit, also
nach Eröffnung der neuen Session, der Pairschub eintreten sollte.

Die Hauptfrage der Situation liegt indeß gar nicht mehr in der Durch¬
dringung der Kreisordnung. Diese erscheint durch den unvermeidlich gewordenen
Pairschub gesichert. Die Hauptfrage ist aber, ob die Regierung die außer¬
ordentliche Maßregel eines Pairschubs unter dem Gesichtspunkte einer um¬
sichtigen Politik ergreifen darf lediglich zu dem Zweck, ein regelmäßiges Gesetz
durchzubringen, wie wichtig dasselbe immerhin sei. Soll ein Pairschub toe
d. h. zur Durchführung einer Gesetzesmaßregel vorgenommen werden, so darf
die betreffende Maßregel kein regelmäßiges Gesetz, sie muß vielmehr eine Ver¬
fassungsänderung sein. Denn wollte man den Pairschub zur Durchdringung
der regelmäßigen Gesetze anwenden, so könnte man. wie Fürst Bismarck ein¬
mal selbst im Herrenhause, und zwar im Januar 1865 in seiner treffenden
Weise ausgeführt hat, in die Lage kommen, bei jedem wichtigen Gesetz eine
neue Schicht von Pairs über die vorhandenen lagern zu müssen, die aus den
verschiedensten Gründen zu der neuen Gesetzvorlage oppositionell stehen können.
Nein, man muß die Staatskörperschaften so bilden, daß sie den wahren Ge-


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[0286] sende Landtagssession unmittelbar geschlossen und eine neue sogleich werde er¬ öffnet werden, deren erste Aufgabe sofort wieder die Kreisordnung sein werde. Denn die Negierung sei mit voller Zustimmung des Königs von der noth¬ wendigen Durchführung dieses Gesetzes so überzeugt, daß diese Durchführung mit allen Mitteln, welche die Verfassung gewährt, von der Staatsregierung werde versucht werden. Die Schlußabstimmung hatte am 31. October stattgefunden, am 1. No¬ vember wurde der Landtag durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Staats¬ ministeriums, Kriegsminister v. Roon, unter Verlesung des königlichen Schlie¬ ßungsbefehls, ohne rückblickende Rede geschlossen, Am Abende desselben Tages veröffentlichte der Staatsanzeiger bereits die Einberufung des Landtages zu der neuen Session auf den 12. November. Es scheint außer Zweifel, daß die nächsten Tage einen sogenannten Pair- schub bringen werden. Ein solcher wäre auch nicht als aufgegeben zu be¬ trachten, wenn er bei Eröffnung der neuen Session noch nicht sollte einge¬ treten sein. Denn zunächst muß das Abgeordnetenhaus die Kreisordnung wiederum annehmen, was von Seiten derselben wahrscheinlich mittelst einer bloc Abstimmung geschehen wird. Wir hoffen, daß diese Voraussetzung auch dann sich erfüllt, wenn die zu allererst als Regierungsvorlage wiederum einzubringende Kreisordnung einige Abweichungen enthalten sollte von der Gestalt, in welcher der Gesetzentwurf zuletzt aus dem Abgeordnetenhaus her¬ vorgegangen war. Wie kurz man diese Geschäftsformalitäten durch den Eifer des Abgeordnetenhauses sich immerhin denke, sie werden doch einige Zeit be¬ anspruchen. Es wäre Nichts versäumt, wenn erst während dieser Zeit, also nach Eröffnung der neuen Session, der Pairschub eintreten sollte. Die Hauptfrage der Situation liegt indeß gar nicht mehr in der Durch¬ dringung der Kreisordnung. Diese erscheint durch den unvermeidlich gewordenen Pairschub gesichert. Die Hauptfrage ist aber, ob die Regierung die außer¬ ordentliche Maßregel eines Pairschubs unter dem Gesichtspunkte einer um¬ sichtigen Politik ergreifen darf lediglich zu dem Zweck, ein regelmäßiges Gesetz durchzubringen, wie wichtig dasselbe immerhin sei. Soll ein Pairschub toe d. h. zur Durchführung einer Gesetzesmaßregel vorgenommen werden, so darf die betreffende Maßregel kein regelmäßiges Gesetz, sie muß vielmehr eine Ver¬ fassungsänderung sein. Denn wollte man den Pairschub zur Durchdringung der regelmäßigen Gesetze anwenden, so könnte man. wie Fürst Bismarck ein¬ mal selbst im Herrenhause, und zwar im Januar 1865 in seiner treffenden Weise ausgeführt hat, in die Lage kommen, bei jedem wichtigen Gesetz eine neue Schicht von Pairs über die vorhandenen lagern zu müssen, die aus den verschiedensten Gründen zu der neuen Gesetzvorlage oppositionell stehen können. Nein, man muß die Staatskörperschaften so bilden, daß sie den wahren Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/286>, abgerufen am 30.06.2024.