Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Active Armee mit Reserve- 716,000 Mann.
Territorial-Armee mit Reserve- 720,000 Mann.
Summa- 1,435.000 Mann.

Diese Ziffer würde allerdings erst nach zwanzigjähriger ununter¬
brochener Arbeit erreicht werden, und ob es zu einer solchen kommt, ob
die französische Nation die ihr durch das neue Gesetz auferlegten Lasten zwan¬
zig Jahre lang tragen wird, das ist doch in hohem Grade zweifelhaft. Wir
möchten es auf Grund unserer eingehenden Betrachtung des französischen
Heerwesens bestimmt verneinen. Wenn aber auch jene Berechnung immer
hin noch in der Luft schwebt, so ist Frankreich doch im Stande, augen¬
blicklich und noch mehr nach Verlauf einiger Jahre auf Grund des in dem
Militärgesetz vorliegenden Kompromisses eine sehr bedeutende, eine der eben
berechneten Heereskraft, nicht allzu ungleiche Angriffsarmee aufzustellen. Man
muß sich dabei der auffallenden und sehr wichtigen Thatsache erinnern, daß
dem französischen Heeresgesetze in den "Uebergangsbestimmungen" eine fast
absolut rückwirkende Kraft gegeben ist, derart, daß selbst Hunderttausende,
welche bereits längst definitiv aus jedem Militairverhältnisse entlassen waren
plötzlich wieder für dienstpflichtig erklärt sind. Fast alle die durch jene Ueber¬
gangsbestimmungen für dienstpflichtig erklärten Mannschaften, nämlich die
Contingente von 1863--71 (nremiörö und clsuxiöms Portion), sowie sämmt¬
liche Mannschaften der Classen 1867 bis 1870, welche nicht eingestellt waren,
und also der Mobilgarde angehörten, haben aber während des letzten Krieges
gedient und repräsentiren eine Menschenmasse, die sehr wohl auf 1 Million
anzuschlagen ist. Den Kern dieser gewaltigen Masse kriegssähiger und zu¬
meist kriegskundiger Menschen bildet die kaiserliche Armee von 1870, welche
Deutschland zu derselben Zeit, als seine Heere immer neue Opfer bester und
edelster Kräfte auf dem Schlachtfelde zu bringen hatten, leider in deutschen
Festungen füttern und wärmen mußte, um sie nun wieder als den Stamm
und Hauptanhalt einer Rache-Armee in Rechnung zu stellen. Man kann
dem gegenüber fast zu einem Gefühl momentanen Bedauerns hingerissen wer¬
den, daß die modernen völkerrechtlichen Formen das uralte Recht, Kriegs¬
gefangene zu Sclaven zu machen, außer Uebung gesetzt haben. Da nun auch
die Territorialarmee sofort formirt werden soll, welcher nach Artikel 77 des
neuen Wehrgesetzes alle körperlich brauchbaren Mannschaften bis zum 40.
Lebensjahre angehören, so ist jenes Gesetz im Grunde genommen ein bestän¬
diger Ausruf zur Je,v6u en masse, ein chronisches Volksaufgebot, und seit
seinem Erlaß verfügt Frankreich allerdings über nahezu 2 Millionen Menschen
für kriegerische Zwecke. Für die größte Masse dieser Menschen gelten freilich
alle die tiefgreifenden und entscheidenden Ausstellungen, welche wir an den
Volksheeren Gambetta's gemacht und hervorgehoben haben.


Active Armee mit Reserve- 716,000 Mann.
Territorial-Armee mit Reserve- 720,000 Mann.
Summa- 1,435.000 Mann.

Diese Ziffer würde allerdings erst nach zwanzigjähriger ununter¬
brochener Arbeit erreicht werden, und ob es zu einer solchen kommt, ob
die französische Nation die ihr durch das neue Gesetz auferlegten Lasten zwan¬
zig Jahre lang tragen wird, das ist doch in hohem Grade zweifelhaft. Wir
möchten es auf Grund unserer eingehenden Betrachtung des französischen
Heerwesens bestimmt verneinen. Wenn aber auch jene Berechnung immer
hin noch in der Luft schwebt, so ist Frankreich doch im Stande, augen¬
blicklich und noch mehr nach Verlauf einiger Jahre auf Grund des in dem
Militärgesetz vorliegenden Kompromisses eine sehr bedeutende, eine der eben
berechneten Heereskraft, nicht allzu ungleiche Angriffsarmee aufzustellen. Man
muß sich dabei der auffallenden und sehr wichtigen Thatsache erinnern, daß
dem französischen Heeresgesetze in den „Uebergangsbestimmungen" eine fast
absolut rückwirkende Kraft gegeben ist, derart, daß selbst Hunderttausende,
welche bereits längst definitiv aus jedem Militairverhältnisse entlassen waren
plötzlich wieder für dienstpflichtig erklärt sind. Fast alle die durch jene Ueber¬
gangsbestimmungen für dienstpflichtig erklärten Mannschaften, nämlich die
Contingente von 1863—71 (nremiörö und clsuxiöms Portion), sowie sämmt¬
liche Mannschaften der Classen 1867 bis 1870, welche nicht eingestellt waren,
und also der Mobilgarde angehörten, haben aber während des letzten Krieges
gedient und repräsentiren eine Menschenmasse, die sehr wohl auf 1 Million
anzuschlagen ist. Den Kern dieser gewaltigen Masse kriegssähiger und zu¬
meist kriegskundiger Menschen bildet die kaiserliche Armee von 1870, welche
Deutschland zu derselben Zeit, als seine Heere immer neue Opfer bester und
edelster Kräfte auf dem Schlachtfelde zu bringen hatten, leider in deutschen
Festungen füttern und wärmen mußte, um sie nun wieder als den Stamm
und Hauptanhalt einer Rache-Armee in Rechnung zu stellen. Man kann
dem gegenüber fast zu einem Gefühl momentanen Bedauerns hingerissen wer¬
den, daß die modernen völkerrechtlichen Formen das uralte Recht, Kriegs¬
gefangene zu Sclaven zu machen, außer Uebung gesetzt haben. Da nun auch
die Territorialarmee sofort formirt werden soll, welcher nach Artikel 77 des
neuen Wehrgesetzes alle körperlich brauchbaren Mannschaften bis zum 40.
Lebensjahre angehören, so ist jenes Gesetz im Grunde genommen ein bestän¬
diger Ausruf zur Je,v6u en masse, ein chronisches Volksaufgebot, und seit
seinem Erlaß verfügt Frankreich allerdings über nahezu 2 Millionen Menschen
für kriegerische Zwecke. Für die größte Masse dieser Menschen gelten freilich
alle die tiefgreifenden und entscheidenden Ausstellungen, welche wir an den
Volksheeren Gambetta's gemacht und hervorgehoben haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128734"/>
            <list>
              <item> Active Armee mit Reserve- 716,000 Mann.</item>
              <item> Territorial-Armee mit Reserve-  720,000 Mann.</item>
              <item> Summa- 1,435.000 Mann.</item>
            </list><lb/>
            <p xml:id="ID_916"> Diese Ziffer würde allerdings erst nach zwanzigjähriger ununter¬<lb/>
brochener Arbeit erreicht werden, und ob es zu einer solchen kommt, ob<lb/>
die französische Nation die ihr durch das neue Gesetz auferlegten Lasten zwan¬<lb/>
zig Jahre lang tragen wird, das ist doch in hohem Grade zweifelhaft. Wir<lb/>
möchten es auf Grund unserer eingehenden Betrachtung des französischen<lb/>
Heerwesens bestimmt verneinen. Wenn aber auch jene Berechnung immer<lb/>
hin noch in der Luft schwebt, so ist Frankreich doch im Stande, augen¬<lb/>
blicklich und noch mehr nach Verlauf einiger Jahre auf Grund des in dem<lb/>
Militärgesetz vorliegenden Kompromisses eine sehr bedeutende, eine der eben<lb/>
berechneten Heereskraft, nicht allzu ungleiche Angriffsarmee aufzustellen. Man<lb/>
muß sich dabei der auffallenden und sehr wichtigen Thatsache erinnern, daß<lb/>
dem französischen Heeresgesetze in den &#x201E;Uebergangsbestimmungen" eine fast<lb/>
absolut rückwirkende Kraft gegeben ist, derart, daß selbst Hunderttausende,<lb/>
welche bereits längst definitiv aus jedem Militairverhältnisse entlassen waren<lb/>
plötzlich wieder für dienstpflichtig erklärt sind. Fast alle die durch jene Ueber¬<lb/>
gangsbestimmungen für dienstpflichtig erklärten Mannschaften, nämlich die<lb/>
Contingente von 1863&#x2014;71 (nremiörö und clsuxiöms Portion), sowie sämmt¬<lb/>
liche Mannschaften der Classen 1867 bis 1870, welche nicht eingestellt waren,<lb/>
und also der Mobilgarde angehörten, haben aber während des letzten Krieges<lb/>
gedient und repräsentiren eine Menschenmasse, die sehr wohl auf 1 Million<lb/>
anzuschlagen ist. Den Kern dieser gewaltigen Masse kriegssähiger und zu¬<lb/>
meist kriegskundiger Menschen bildet die kaiserliche Armee von 1870, welche<lb/>
Deutschland zu derselben Zeit, als seine Heere immer neue Opfer bester und<lb/>
edelster Kräfte auf dem Schlachtfelde zu bringen hatten, leider in deutschen<lb/>
Festungen füttern und wärmen mußte, um sie nun wieder als den Stamm<lb/>
und Hauptanhalt einer Rache-Armee in Rechnung zu stellen. Man kann<lb/>
dem gegenüber fast zu einem Gefühl momentanen Bedauerns hingerissen wer¬<lb/>
den, daß die modernen völkerrechtlichen Formen das uralte Recht, Kriegs¬<lb/>
gefangene zu Sclaven zu machen, außer Uebung gesetzt haben. Da nun auch<lb/>
die Territorialarmee sofort formirt werden soll, welcher nach Artikel 77 des<lb/>
neuen Wehrgesetzes alle körperlich brauchbaren Mannschaften bis zum 40.<lb/>
Lebensjahre angehören, so ist jenes Gesetz im Grunde genommen ein bestän¬<lb/>
diger Ausruf zur Je,v6u en masse, ein chronisches Volksaufgebot, und seit<lb/>
seinem Erlaß verfügt Frankreich allerdings über nahezu 2 Millionen Menschen<lb/>
für kriegerische Zwecke. Für die größte Masse dieser Menschen gelten freilich<lb/>
alle die tiefgreifenden und entscheidenden Ausstellungen, welche wir an den<lb/>
Volksheeren Gambetta's gemacht und hervorgehoben haben.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] Active Armee mit Reserve- 716,000 Mann. Territorial-Armee mit Reserve- 720,000 Mann. Summa- 1,435.000 Mann. Diese Ziffer würde allerdings erst nach zwanzigjähriger ununter¬ brochener Arbeit erreicht werden, und ob es zu einer solchen kommt, ob die französische Nation die ihr durch das neue Gesetz auferlegten Lasten zwan¬ zig Jahre lang tragen wird, das ist doch in hohem Grade zweifelhaft. Wir möchten es auf Grund unserer eingehenden Betrachtung des französischen Heerwesens bestimmt verneinen. Wenn aber auch jene Berechnung immer hin noch in der Luft schwebt, so ist Frankreich doch im Stande, augen¬ blicklich und noch mehr nach Verlauf einiger Jahre auf Grund des in dem Militärgesetz vorliegenden Kompromisses eine sehr bedeutende, eine der eben berechneten Heereskraft, nicht allzu ungleiche Angriffsarmee aufzustellen. Man muß sich dabei der auffallenden und sehr wichtigen Thatsache erinnern, daß dem französischen Heeresgesetze in den „Uebergangsbestimmungen" eine fast absolut rückwirkende Kraft gegeben ist, derart, daß selbst Hunderttausende, welche bereits längst definitiv aus jedem Militairverhältnisse entlassen waren plötzlich wieder für dienstpflichtig erklärt sind. Fast alle die durch jene Ueber¬ gangsbestimmungen für dienstpflichtig erklärten Mannschaften, nämlich die Contingente von 1863—71 (nremiörö und clsuxiöms Portion), sowie sämmt¬ liche Mannschaften der Classen 1867 bis 1870, welche nicht eingestellt waren, und also der Mobilgarde angehörten, haben aber während des letzten Krieges gedient und repräsentiren eine Menschenmasse, die sehr wohl auf 1 Million anzuschlagen ist. Den Kern dieser gewaltigen Masse kriegssähiger und zu¬ meist kriegskundiger Menschen bildet die kaiserliche Armee von 1870, welche Deutschland zu derselben Zeit, als seine Heere immer neue Opfer bester und edelster Kräfte auf dem Schlachtfelde zu bringen hatten, leider in deutschen Festungen füttern und wärmen mußte, um sie nun wieder als den Stamm und Hauptanhalt einer Rache-Armee in Rechnung zu stellen. Man kann dem gegenüber fast zu einem Gefühl momentanen Bedauerns hingerissen wer¬ den, daß die modernen völkerrechtlichen Formen das uralte Recht, Kriegs¬ gefangene zu Sclaven zu machen, außer Uebung gesetzt haben. Da nun auch die Territorialarmee sofort formirt werden soll, welcher nach Artikel 77 des neuen Wehrgesetzes alle körperlich brauchbaren Mannschaften bis zum 40. Lebensjahre angehören, so ist jenes Gesetz im Grunde genommen ein bestän¬ diger Ausruf zur Je,v6u en masse, ein chronisches Volksaufgebot, und seit seinem Erlaß verfügt Frankreich allerdings über nahezu 2 Millionen Menschen für kriegerische Zwecke. Für die größte Masse dieser Menschen gelten freilich alle die tiefgreifenden und entscheidenden Ausstellungen, welche wir an den Volksheeren Gambetta's gemacht und hervorgehoben haben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/280>, abgerufen am 25.08.2024.