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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Der Hauptmann, den die Zigeuner "Gako", d. i. Oheim, nennen, ein
Prädicat, welches besondere Hochachtung ausdrückt und bisweilen auch Nicht-
zigeunern ertheilt wird, denen man etwas Angenehmes sagen oder seinen
Respect beweisen will, hat allerlei Pflichten und Befugnisse. Er hat das
Standesregister und die Acten der ihm untergeordneten Landsmannschaft in
Ordnung zu halten, weshalb er sich auf die Kunst des Schreibens verstehen
muß. Jede Geburt und jeder Todesfall muß ihm gemeldet und von ihm in
dazu bestimmte Bücher eingetragen werden. Er allein hat das Siegel der
Landsmannschaft zu führen und aufzubewahren. Er bestätigt die geschlossenen
Ehen und schlichtet vorkommende Streitigkeiten. Bei ihm haben Ehepaare,
die getrennt sein wollen, sich wegen der Scheidung zu melden. Er verhängt
Strafen, welche vorzüglich in Schlägen oder Verstümmelungen, und in der
Ausschließung aus der Gemeinschaft des Volkes auf kürzere oder längere Zeit
bestehen. Er kann endlich ehrlos machen und diese Strafe, welche "Prasapenn"
genannt wird, dadurch wieder ausheben, daß er den mit ihr Belegten in feier¬
licher Versammlung aus seinem Becher trinken läßt.

Alle sieben Jahre zur Pfingstzeit versammelt sich jede Landsmannschaft
.um ihren Hauptmann an einem von diesem bestimmten Orte zur Ordnung
allgemeiner Angelegenheiten. In dringenden Fällen wird Rath und Urtheil
vom Einzelnen auch in der Zwischenzeit beim Hauptmann nachgesucht, dessen
Aufenthalt allen Banden stets bekannt ist. In jenen größeren Versamm¬
lungen wird Bericht erstattet über allerlei Vorkommnisse der letzten Vergangen¬
heit, und der Hauptmann entscheidet wichtigere Streitfragen und ertheilt seine
Befehle für die Zukunft, worauf man einige Tage mit Schmausen, Zechen und
Tanzen verbringt. Daher die zu gewissen Perioden wiederkehrenden zahlreichen
Züge von Zigeunerbanden nach einer und derselben Richtung.

Bei Ausübung seines Rtchteramtes stehen dem Hauptmann ein General¬
anwalt "Tschatscho-Haskero", eigentlich Wahrsprecher, und ein Protocollant,
"Poreskero" d. i. Federmann, zur Seite. Der erstere kann auf Milderung,
oder auch auf Verschärfung der vom Hauptmann verhängten Strafen an¬
tragen, in welchem Falle das aus ihm, dem Hauptmann und dem Protocoll-
führer bestehende Nichtercollegium durch Stimmenmehrheit entscheidet. Bei
allen solchen wie andern feierlichen Gelegenheiten trägt der Hauptmann einen
Dreispitz mit Silberquaste auf dem Kopfe und ein breites Seitenhaut in den
Farben und mit dem Wappen der Landsmannschaft um den linken Oberarm.

Die Würde des Hauptmanns ist lebenslänglich, aber nicht erblich. Sie
wird vielmehr durch einstimmige Wahl der erwachsenen männlichen Mitglieder
der Landsmannschaft erworben. Unbedingtes Erforderniß bei dem Candidaten
ist rein zigeunerische Abkunft. Den Vorzug unter mehreren Bewerbern erhält
der, aus dessen Familie schon einmal ein Hauptmann hervorgegangen ist.


Der Hauptmann, den die Zigeuner „Gako", d. i. Oheim, nennen, ein
Prädicat, welches besondere Hochachtung ausdrückt und bisweilen auch Nicht-
zigeunern ertheilt wird, denen man etwas Angenehmes sagen oder seinen
Respect beweisen will, hat allerlei Pflichten und Befugnisse. Er hat das
Standesregister und die Acten der ihm untergeordneten Landsmannschaft in
Ordnung zu halten, weshalb er sich auf die Kunst des Schreibens verstehen
muß. Jede Geburt und jeder Todesfall muß ihm gemeldet und von ihm in
dazu bestimmte Bücher eingetragen werden. Er allein hat das Siegel der
Landsmannschaft zu führen und aufzubewahren. Er bestätigt die geschlossenen
Ehen und schlichtet vorkommende Streitigkeiten. Bei ihm haben Ehepaare,
die getrennt sein wollen, sich wegen der Scheidung zu melden. Er verhängt
Strafen, welche vorzüglich in Schlägen oder Verstümmelungen, und in der
Ausschließung aus der Gemeinschaft des Volkes auf kürzere oder längere Zeit
bestehen. Er kann endlich ehrlos machen und diese Strafe, welche „Prasapenn"
genannt wird, dadurch wieder ausheben, daß er den mit ihr Belegten in feier¬
licher Versammlung aus seinem Becher trinken läßt.

Alle sieben Jahre zur Pfingstzeit versammelt sich jede Landsmannschaft
.um ihren Hauptmann an einem von diesem bestimmten Orte zur Ordnung
allgemeiner Angelegenheiten. In dringenden Fällen wird Rath und Urtheil
vom Einzelnen auch in der Zwischenzeit beim Hauptmann nachgesucht, dessen
Aufenthalt allen Banden stets bekannt ist. In jenen größeren Versamm¬
lungen wird Bericht erstattet über allerlei Vorkommnisse der letzten Vergangen¬
heit, und der Hauptmann entscheidet wichtigere Streitfragen und ertheilt seine
Befehle für die Zukunft, worauf man einige Tage mit Schmausen, Zechen und
Tanzen verbringt. Daher die zu gewissen Perioden wiederkehrenden zahlreichen
Züge von Zigeunerbanden nach einer und derselben Richtung.

Bei Ausübung seines Rtchteramtes stehen dem Hauptmann ein General¬
anwalt „Tschatscho-Haskero", eigentlich Wahrsprecher, und ein Protocollant,
„Poreskero" d. i. Federmann, zur Seite. Der erstere kann auf Milderung,
oder auch auf Verschärfung der vom Hauptmann verhängten Strafen an¬
tragen, in welchem Falle das aus ihm, dem Hauptmann und dem Protocoll-
führer bestehende Nichtercollegium durch Stimmenmehrheit entscheidet. Bei
allen solchen wie andern feierlichen Gelegenheiten trägt der Hauptmann einen
Dreispitz mit Silberquaste auf dem Kopfe und ein breites Seitenhaut in den
Farben und mit dem Wappen der Landsmannschaft um den linken Oberarm.

Die Würde des Hauptmanns ist lebenslänglich, aber nicht erblich. Sie
wird vielmehr durch einstimmige Wahl der erwachsenen männlichen Mitglieder
der Landsmannschaft erworben. Unbedingtes Erforderniß bei dem Candidaten
ist rein zigeunerische Abkunft. Den Vorzug unter mehreren Bewerbern erhält
der, aus dessen Familie schon einmal ein Hauptmann hervorgegangen ist.


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[0252] Der Hauptmann, den die Zigeuner „Gako", d. i. Oheim, nennen, ein Prädicat, welches besondere Hochachtung ausdrückt und bisweilen auch Nicht- zigeunern ertheilt wird, denen man etwas Angenehmes sagen oder seinen Respect beweisen will, hat allerlei Pflichten und Befugnisse. Er hat das Standesregister und die Acten der ihm untergeordneten Landsmannschaft in Ordnung zu halten, weshalb er sich auf die Kunst des Schreibens verstehen muß. Jede Geburt und jeder Todesfall muß ihm gemeldet und von ihm in dazu bestimmte Bücher eingetragen werden. Er allein hat das Siegel der Landsmannschaft zu führen und aufzubewahren. Er bestätigt die geschlossenen Ehen und schlichtet vorkommende Streitigkeiten. Bei ihm haben Ehepaare, die getrennt sein wollen, sich wegen der Scheidung zu melden. Er verhängt Strafen, welche vorzüglich in Schlägen oder Verstümmelungen, und in der Ausschließung aus der Gemeinschaft des Volkes auf kürzere oder längere Zeit bestehen. Er kann endlich ehrlos machen und diese Strafe, welche „Prasapenn" genannt wird, dadurch wieder ausheben, daß er den mit ihr Belegten in feier¬ licher Versammlung aus seinem Becher trinken läßt. Alle sieben Jahre zur Pfingstzeit versammelt sich jede Landsmannschaft .um ihren Hauptmann an einem von diesem bestimmten Orte zur Ordnung allgemeiner Angelegenheiten. In dringenden Fällen wird Rath und Urtheil vom Einzelnen auch in der Zwischenzeit beim Hauptmann nachgesucht, dessen Aufenthalt allen Banden stets bekannt ist. In jenen größeren Versamm¬ lungen wird Bericht erstattet über allerlei Vorkommnisse der letzten Vergangen¬ heit, und der Hauptmann entscheidet wichtigere Streitfragen und ertheilt seine Befehle für die Zukunft, worauf man einige Tage mit Schmausen, Zechen und Tanzen verbringt. Daher die zu gewissen Perioden wiederkehrenden zahlreichen Züge von Zigeunerbanden nach einer und derselben Richtung. Bei Ausübung seines Rtchteramtes stehen dem Hauptmann ein General¬ anwalt „Tschatscho-Haskero", eigentlich Wahrsprecher, und ein Protocollant, „Poreskero" d. i. Federmann, zur Seite. Der erstere kann auf Milderung, oder auch auf Verschärfung der vom Hauptmann verhängten Strafen an¬ tragen, in welchem Falle das aus ihm, dem Hauptmann und dem Protocoll- führer bestehende Nichtercollegium durch Stimmenmehrheit entscheidet. Bei allen solchen wie andern feierlichen Gelegenheiten trägt der Hauptmann einen Dreispitz mit Silberquaste auf dem Kopfe und ein breites Seitenhaut in den Farben und mit dem Wappen der Landsmannschaft um den linken Oberarm. Die Würde des Hauptmanns ist lebenslänglich, aber nicht erblich. Sie wird vielmehr durch einstimmige Wahl der erwachsenen männlichen Mitglieder der Landsmannschaft erworben. Unbedingtes Erforderniß bei dem Candidaten ist rein zigeunerische Abkunft. Den Vorzug unter mehreren Bewerbern erhält der, aus dessen Familie schon einmal ein Hauptmann hervorgegangen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/252>, abgerufen am 05.07.2024.