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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ordnung in dieser kleinen Schrift niedergelegt. Gerade jetzt, wo die Debatte im
Herrenhause selbst im Gange ist, mag es gestattet sein, unsere Leser darauf hin¬
zuweisen. Man kann nicht sagen, daß durch Originalität der Grundgedanken
oder der Einzelausführungen oder durch eine besonders schlagende Beweis¬
führung sich diese Schrift vor ähnlichen auszeichnet. Niemand wird von Tell-
kampf die Ideenfülle oder die historische Belesenheit Gu eist's erwarten: den
Spuren Gneist's folgt er im Ganzen. Jedoch ist im Ganzen eine gute Zu¬
sammenstellung des Wesentlichen geglückt, und manchem Herrenhäusler oder
manchem Sonntagspolitiker wird sicher heilsame Belehrung aus den Worten
des Verfassers zu Theil werden. Die Darstellung des englischen Selfgovern-
ment entbehrt am meisten der Anziehungskraft, dagegen war es verdienstlich,
unserem deutschen Publikum auch einmal über die nordamerikanischen Ver¬
hältnisse etwas zu erzählen. Der betreffende Abschnitt bildet das eigentlich
Verdienstvolle und Eigenthümliche der ganzen Arbeit; er hat originalen Werth.
Hoffen wir, daß die Erörterungen des Herrenhauses ein brauchbares Resultat
zur Welt fördern. Wir hoffen dies mehr von der Gewalt der Verhältnisse
selbst, als von der Ueberzeugungskraft dieser oder ähnlicher gutgemeinter
Broschüren, auch wenn sie etwas weniger langweilig geschrieben sind als die
,c,,v. hier vorliegende.




Das Thierleben der Alpenwelt von Friedrich v. Tschudi, neunte
Auflage, Leipzig I. I. Weber, 1872. --

Wie oft ist der Zweifel geäußert worden, ob es möglich sei, streng wissen¬
schaftliche Gegenstände in populärer Form darzustellen; so volksthümlich, daß
weite Leserkreise außerhalb der Fachgelehrten gewonnen würden, so wissen¬
schaftlich , daß die Zunft das Werk als zünftige Leistung gelten lasse. Wir
lassen dahingestellt, in wieweit dieser Zweifel angesichts der populär belehren¬
den Bücher und Schriften auf allen Gebieten des menschlichen Wissens, die
alljährlich allein in Deutschland erscheinen, heut noch erlaubt ist. Sicher ist,
daß gerade die Naturforscher aller Schulen und Richtungen längst aus dem
stillen Schaffen und Forschen ihrer Studirstuben und Laboratorien heraus¬
getreten sind mitten auf den Markt des Lebens und in Rede und Schrift
Tausende von Hörern und Lesern gesucht und gefunden haben außer den Stu¬
denten zu ihren Füßen.

Als Friedrich von Tschudi zum ersten Mal sein Thierleben der
Alpen weit herausgab, war unter den Gelehrten das Streben, allen Ge¬
bildeten der Nation die eigenen Forschungen zugänglich zu machen, keineswegs
verbreitet. Man war damals fast sicher, das Kopfschütteln der Collegen her¬
auszufordern, wenn man für das Volk schrieb, und der Erfolg beim Publikum
war sehr zweifelhaft. Schon in diesem Sinne darf Tschudi's Werk als ein


ordnung in dieser kleinen Schrift niedergelegt. Gerade jetzt, wo die Debatte im
Herrenhause selbst im Gange ist, mag es gestattet sein, unsere Leser darauf hin¬
zuweisen. Man kann nicht sagen, daß durch Originalität der Grundgedanken
oder der Einzelausführungen oder durch eine besonders schlagende Beweis¬
führung sich diese Schrift vor ähnlichen auszeichnet. Niemand wird von Tell-
kampf die Ideenfülle oder die historische Belesenheit Gu eist's erwarten: den
Spuren Gneist's folgt er im Ganzen. Jedoch ist im Ganzen eine gute Zu¬
sammenstellung des Wesentlichen geglückt, und manchem Herrenhäusler oder
manchem Sonntagspolitiker wird sicher heilsame Belehrung aus den Worten
des Verfassers zu Theil werden. Die Darstellung des englischen Selfgovern-
ment entbehrt am meisten der Anziehungskraft, dagegen war es verdienstlich,
unserem deutschen Publikum auch einmal über die nordamerikanischen Ver¬
hältnisse etwas zu erzählen. Der betreffende Abschnitt bildet das eigentlich
Verdienstvolle und Eigenthümliche der ganzen Arbeit; er hat originalen Werth.
Hoffen wir, daß die Erörterungen des Herrenhauses ein brauchbares Resultat
zur Welt fördern. Wir hoffen dies mehr von der Gewalt der Verhältnisse
selbst, als von der Ueberzeugungskraft dieser oder ähnlicher gutgemeinter
Broschüren, auch wenn sie etwas weniger langweilig geschrieben sind als die
,c,,v. hier vorliegende.




Das Thierleben der Alpenwelt von Friedrich v. Tschudi, neunte
Auflage, Leipzig I. I. Weber, 1872. —

Wie oft ist der Zweifel geäußert worden, ob es möglich sei, streng wissen¬
schaftliche Gegenstände in populärer Form darzustellen; so volksthümlich, daß
weite Leserkreise außerhalb der Fachgelehrten gewonnen würden, so wissen¬
schaftlich , daß die Zunft das Werk als zünftige Leistung gelten lasse. Wir
lassen dahingestellt, in wieweit dieser Zweifel angesichts der populär belehren¬
den Bücher und Schriften auf allen Gebieten des menschlichen Wissens, die
alljährlich allein in Deutschland erscheinen, heut noch erlaubt ist. Sicher ist,
daß gerade die Naturforscher aller Schulen und Richtungen längst aus dem
stillen Schaffen und Forschen ihrer Studirstuben und Laboratorien heraus¬
getreten sind mitten auf den Markt des Lebens und in Rede und Schrift
Tausende von Hörern und Lesern gesucht und gefunden haben außer den Stu¬
denten zu ihren Füßen.

Als Friedrich von Tschudi zum ersten Mal sein Thierleben der
Alpen weit herausgab, war unter den Gelehrten das Streben, allen Ge¬
bildeten der Nation die eigenen Forschungen zugänglich zu machen, keineswegs
verbreitet. Man war damals fast sicher, das Kopfschütteln der Collegen her¬
auszufordern, wenn man für das Volk schrieb, und der Erfolg beim Publikum
war sehr zweifelhaft. Schon in diesem Sinne darf Tschudi's Werk als ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/247>, abgerufen am 30.06.2024.