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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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vorläufigen Vereitelung der Kreisordnung die wohlthätige Frucht einer Be¬
seitigung des Herrenhauses mittelst eines Pairschubs, der nur den einen
Zweck hat, das Herrenhaus seine eigene Aufhebung beschließen zu lassen.




"Josen und ^reichen.

Die Verhältnisse der polnischen Bevölkerung zum preußischen Staate einer
Besprechung zu unterziehen, dürfte neuerdings ein doppelter Anlaß vorliegen.
Wir haben das secular-Jubiläum der polnischen Theilung erlebt, d. h. die
deutsche Festfeier des wiedergewonnenen polnischen Landes. Aber indem sich
Westpreußen anschickte, diese historische Erinnerung durch ein Freudenfest neu
zu beleben, erhoben sich gerade in letzter Zeit die Klagen über eine polnische
Propaganda, über die Uebergriffe polnisch-katholischer Agitation in die Ord¬
nungen deutscher Schule. Gerade jetzt ist es daher an der Zeit, daß aufs
neue ein Buch uns zu Gesicht geführt werde, welches vor mehr als einem
Jahre zuerst die Verhältnisse in Posen kritisch untersucht und fixirt hatte.
Das Verhältniß der Provinz Posen zum preußischen Staats¬
gebiete. Von H. v. H. auf T. Zweite erweiterte Ausgabe.
Berlin 1872 bei Kortkampf." So lautet der Titel einer Arbeit, die auf
das gründlichste und eingehendste die Zustände in Posen erörtert und mit
scharfem Blicke die Aufgaben des preußischen Staates ins Auge faßt, das
bisherige Verfahren der Behörden prüft, das Nothwendige darlegt. Von
großer Sachkenntniß und ächt politischem Blicke zeugt überall diese Schrift;
-- politische Parteiliebhabereien drängen sich nicht ungebührlich vor: wer sich
über diese schwierigen und vielfach nicht genug gekannten Dinge unterrichten
will, findet hier erwünschte Belehrung. Möge kein preußischer Politiker sie
verschmähen!

Die Versäumnisse der Regierung, die Nichtachtung auf die Fortschritte
des Polonismus zieht der Verfasser ans Licht, -- die Früchte solcher Indiffe¬
renz liegen erschreckend heute zu Tage. Sehr lehrreich ist der Rückblick auf
die Maximen der Verwaltung seit 1813: "mit jedem neuen Chef der Ver¬
waltung ist fast ein neues System zur Geltung gelangt, das oft den vorauf¬
gegangenen Anschauungen schnurstraks entgegenlief." Flottwell hatte das durch¬
schlagende Princip der Germanisirung ganz rückhaltlos aufgestellt und zur Durch¬
führung zu bringen versucht; leider hielten seine Nachfolger, Arnim, Beur-
mann, Bonin, Puttkammer daran nicht fest, wie verschieden sie auch
.onst unter sich waren; sie ließen die Dinge viel zu sehr gehen. Weit besser


vorläufigen Vereitelung der Kreisordnung die wohlthätige Frucht einer Be¬
seitigung des Herrenhauses mittelst eines Pairschubs, der nur den einen
Zweck hat, das Herrenhaus seine eigene Aufhebung beschließen zu lassen.




"Josen und ^reichen.

Die Verhältnisse der polnischen Bevölkerung zum preußischen Staate einer
Besprechung zu unterziehen, dürfte neuerdings ein doppelter Anlaß vorliegen.
Wir haben das secular-Jubiläum der polnischen Theilung erlebt, d. h. die
deutsche Festfeier des wiedergewonnenen polnischen Landes. Aber indem sich
Westpreußen anschickte, diese historische Erinnerung durch ein Freudenfest neu
zu beleben, erhoben sich gerade in letzter Zeit die Klagen über eine polnische
Propaganda, über die Uebergriffe polnisch-katholischer Agitation in die Ord¬
nungen deutscher Schule. Gerade jetzt ist es daher an der Zeit, daß aufs
neue ein Buch uns zu Gesicht geführt werde, welches vor mehr als einem
Jahre zuerst die Verhältnisse in Posen kritisch untersucht und fixirt hatte.
Das Verhältniß der Provinz Posen zum preußischen Staats¬
gebiete. Von H. v. H. auf T. Zweite erweiterte Ausgabe.
Berlin 1872 bei Kortkampf." So lautet der Titel einer Arbeit, die auf
das gründlichste und eingehendste die Zustände in Posen erörtert und mit
scharfem Blicke die Aufgaben des preußischen Staates ins Auge faßt, das
bisherige Verfahren der Behörden prüft, das Nothwendige darlegt. Von
großer Sachkenntniß und ächt politischem Blicke zeugt überall diese Schrift;
— politische Parteiliebhabereien drängen sich nicht ungebührlich vor: wer sich
über diese schwierigen und vielfach nicht genug gekannten Dinge unterrichten
will, findet hier erwünschte Belehrung. Möge kein preußischer Politiker sie
verschmähen!

Die Versäumnisse der Regierung, die Nichtachtung auf die Fortschritte
des Polonismus zieht der Verfasser ans Licht, — die Früchte solcher Indiffe¬
renz liegen erschreckend heute zu Tage. Sehr lehrreich ist der Rückblick auf
die Maximen der Verwaltung seit 1813: „mit jedem neuen Chef der Ver¬
waltung ist fast ein neues System zur Geltung gelangt, das oft den vorauf¬
gegangenen Anschauungen schnurstraks entgegenlief." Flottwell hatte das durch¬
schlagende Princip der Germanisirung ganz rückhaltlos aufgestellt und zur Durch¬
führung zu bringen versucht; leider hielten seine Nachfolger, Arnim, Beur-
mann, Bonin, Puttkammer daran nicht fest, wie verschieden sie auch
.onst unter sich waren; sie ließen die Dinge viel zu sehr gehen. Weit besser


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[0245] vorläufigen Vereitelung der Kreisordnung die wohlthätige Frucht einer Be¬ seitigung des Herrenhauses mittelst eines Pairschubs, der nur den einen Zweck hat, das Herrenhaus seine eigene Aufhebung beschließen zu lassen. "Josen und ^reichen. Die Verhältnisse der polnischen Bevölkerung zum preußischen Staate einer Besprechung zu unterziehen, dürfte neuerdings ein doppelter Anlaß vorliegen. Wir haben das secular-Jubiläum der polnischen Theilung erlebt, d. h. die deutsche Festfeier des wiedergewonnenen polnischen Landes. Aber indem sich Westpreußen anschickte, diese historische Erinnerung durch ein Freudenfest neu zu beleben, erhoben sich gerade in letzter Zeit die Klagen über eine polnische Propaganda, über die Uebergriffe polnisch-katholischer Agitation in die Ord¬ nungen deutscher Schule. Gerade jetzt ist es daher an der Zeit, daß aufs neue ein Buch uns zu Gesicht geführt werde, welches vor mehr als einem Jahre zuerst die Verhältnisse in Posen kritisch untersucht und fixirt hatte. Das Verhältniß der Provinz Posen zum preußischen Staats¬ gebiete. Von H. v. H. auf T. Zweite erweiterte Ausgabe. Berlin 1872 bei Kortkampf." So lautet der Titel einer Arbeit, die auf das gründlichste und eingehendste die Zustände in Posen erörtert und mit scharfem Blicke die Aufgaben des preußischen Staates ins Auge faßt, das bisherige Verfahren der Behörden prüft, das Nothwendige darlegt. Von großer Sachkenntniß und ächt politischem Blicke zeugt überall diese Schrift; — politische Parteiliebhabereien drängen sich nicht ungebührlich vor: wer sich über diese schwierigen und vielfach nicht genug gekannten Dinge unterrichten will, findet hier erwünschte Belehrung. Möge kein preußischer Politiker sie verschmähen! Die Versäumnisse der Regierung, die Nichtachtung auf die Fortschritte des Polonismus zieht der Verfasser ans Licht, — die Früchte solcher Indiffe¬ renz liegen erschreckend heute zu Tage. Sehr lehrreich ist der Rückblick auf die Maximen der Verwaltung seit 1813: „mit jedem neuen Chef der Ver¬ waltung ist fast ein neues System zur Geltung gelangt, das oft den vorauf¬ gegangenen Anschauungen schnurstraks entgegenlief." Flottwell hatte das durch¬ schlagende Princip der Germanisirung ganz rückhaltlos aufgestellt und zur Durch¬ führung zu bringen versucht; leider hielten seine Nachfolger, Arnim, Beur- mann, Bonin, Puttkammer daran nicht fest, wie verschieden sie auch .onst unter sich waren; sie ließen die Dinge viel zu sehr gehen. Weit besser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/245>, abgerufen am 30.06.2024.