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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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tages sich der Einzelberathung entziehen darf, so hat die Herrenhauscommission
sich der Mühe unterziehen müssen, das Gesetz Paragraph für Paragraph mit
Abänderungsvorschlägen zu versehen. Erst wenn über diese sämmtlich im
Einzelnen berathen und abgestimmt ist, kann das Herrenhaus, wie seine Com¬
mission ihm empfiehlt, das ganze Gesetz verwerfen. Die Commission hat nun
Sorge getragen, das Gesetz mit ihren Abänderungsvorschlägen, die von der
Majorität ohne Zweifel angenommen werden, dermaßen zuzurichten, daß bei
der Abstimmung über das Ganze nicht nur die feudalen Herren, die grund¬
sätzlich gegen jede lebendige Kreisverfassung sind, sondern auch die liberalen
Herren, die eine gute Kreisordnung lebhaft herbeiwünschen, nur Ursache haben
werden, dagegen zu stimmen. Unseres Erachtens sollten aber die liberalen
Herren bei der Schlußabstimmung für das ganze Gesetz stimmen, wie schlimm
es immer zugerichtet sei. Die Wiederherstellung aller für eine gedeihliche Re¬
form unerläßlichen Bestimmungen wird Sache des Abgeordnetenhauses sein.
Wenn dann die feudale Majorität des Herrenhauses das Gesetz bei der Rück¬
kehr aus dem Abgeordnetenhaus zum zweiten Mal bis zur Unannehmbarkeir
verunstaltet, dann wird in der gehörigen formell unanfechtbaren Weise die
Unmöglichkeit constatirt sein, mit diesem Herrenhaus zu einer gedeihlichen Re¬
form der Kreisverfassung zu gelangen. Was dann?

Es wird jetzt der Regierung oft zum Borwurf gemacht, daß sie nicht mit
drastischen Mitteln, mit Drohungen eines Pairschubs und dergleichen der feu¬
dalen Majorität des Herrenhauses die Nothwendigkeit zu Gemüth führe, die
Kreisordnung ohne Verunstaltung ihrer reformatorischen Tendenz anzunehmen.
Ein höchst ungeschickter und taktloser Vorwurf! Die Leute, die ihn erheben,
denken sich, daß die Regierung Abstimmungen erpressen soll mit der Hetzpeitsche
in der Hand. Wenn das dem Herrenhaus gegenüber Recht ist, würde man es
dem Abgeordnetenhaus gegenüber im entsprechenden Fall etwa billig finden?
-- und ob die Hetzpeitsche erhoben werden soll, kann doch immer nur die Regie¬
rung entscheiden, und nicht etwa diejenigen, die sie ihr jetzt in die Hand geben
möchten. Wir danken für solche Staatsbürgerschaften und für ein öffentliches
Staatsleben in diesem Styl. Für eine Negierung. die ihrer Würde und ihrer
Pflicht auch nur einigermaßen sich bewußt ist, giebt es in einer Lage, wie die
gegenwärtige, nur Einen Weg. Die Regierung darf öffentlich keine Drohung
erheben. Aber sobald sie die Ueberzeugung gewonnen, daß eine der großen
Staatskörperschaften durch den Aufruf an ihre politische Weisheit und an die
hohen Pflichten ihres Berufs niemals mehr auf einen gedeihlichen Weg zu
leiten ist, muß sie den Entschluß fassen, diese Staatskörperschaft entweder von
der Wurzel umzugestalten oder sie aus dem Staatsleben gänzlich zu eliminiren.
Letzteres scheint uns im vorliegenden Fall das Richtige. Wir hoffen von der


tages sich der Einzelberathung entziehen darf, so hat die Herrenhauscommission
sich der Mühe unterziehen müssen, das Gesetz Paragraph für Paragraph mit
Abänderungsvorschlägen zu versehen. Erst wenn über diese sämmtlich im
Einzelnen berathen und abgestimmt ist, kann das Herrenhaus, wie seine Com¬
mission ihm empfiehlt, das ganze Gesetz verwerfen. Die Commission hat nun
Sorge getragen, das Gesetz mit ihren Abänderungsvorschlägen, die von der
Majorität ohne Zweifel angenommen werden, dermaßen zuzurichten, daß bei
der Abstimmung über das Ganze nicht nur die feudalen Herren, die grund¬
sätzlich gegen jede lebendige Kreisverfassung sind, sondern auch die liberalen
Herren, die eine gute Kreisordnung lebhaft herbeiwünschen, nur Ursache haben
werden, dagegen zu stimmen. Unseres Erachtens sollten aber die liberalen
Herren bei der Schlußabstimmung für das ganze Gesetz stimmen, wie schlimm
es immer zugerichtet sei. Die Wiederherstellung aller für eine gedeihliche Re¬
form unerläßlichen Bestimmungen wird Sache des Abgeordnetenhauses sein.
Wenn dann die feudale Majorität des Herrenhauses das Gesetz bei der Rück¬
kehr aus dem Abgeordnetenhaus zum zweiten Mal bis zur Unannehmbarkeir
verunstaltet, dann wird in der gehörigen formell unanfechtbaren Weise die
Unmöglichkeit constatirt sein, mit diesem Herrenhaus zu einer gedeihlichen Re¬
form der Kreisverfassung zu gelangen. Was dann?

Es wird jetzt der Regierung oft zum Borwurf gemacht, daß sie nicht mit
drastischen Mitteln, mit Drohungen eines Pairschubs und dergleichen der feu¬
dalen Majorität des Herrenhauses die Nothwendigkeit zu Gemüth führe, die
Kreisordnung ohne Verunstaltung ihrer reformatorischen Tendenz anzunehmen.
Ein höchst ungeschickter und taktloser Vorwurf! Die Leute, die ihn erheben,
denken sich, daß die Regierung Abstimmungen erpressen soll mit der Hetzpeitsche
in der Hand. Wenn das dem Herrenhaus gegenüber Recht ist, würde man es
dem Abgeordnetenhaus gegenüber im entsprechenden Fall etwa billig finden?
— und ob die Hetzpeitsche erhoben werden soll, kann doch immer nur die Regie¬
rung entscheiden, und nicht etwa diejenigen, die sie ihr jetzt in die Hand geben
möchten. Wir danken für solche Staatsbürgerschaften und für ein öffentliches
Staatsleben in diesem Styl. Für eine Negierung. die ihrer Würde und ihrer
Pflicht auch nur einigermaßen sich bewußt ist, giebt es in einer Lage, wie die
gegenwärtige, nur Einen Weg. Die Regierung darf öffentlich keine Drohung
erheben. Aber sobald sie die Ueberzeugung gewonnen, daß eine der großen
Staatskörperschaften durch den Aufruf an ihre politische Weisheit und an die
hohen Pflichten ihres Berufs niemals mehr auf einen gedeihlichen Weg zu
leiten ist, muß sie den Entschluß fassen, diese Staatskörperschaft entweder von
der Wurzel umzugestalten oder sie aus dem Staatsleben gänzlich zu eliminiren.
Letzteres scheint uns im vorliegenden Fall das Richtige. Wir hoffen von der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/244>, abgerufen am 22.07.2024.