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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Die Ausführung dieses Planes erforderte vor allen Dingen Ruhe und
Geduld; davon aber hatten die Pariser nichts übrig. Trochu's abwartendes
Verhalten wurde überschüttet mit boshafter Kritik, mit bitteren Bemerkungen
und malitiösen Sticheleien. Man schimpfte ihn den General Trop-in oder
ve xrownäis, und den Chef seines Stabes, Schmitz, hieß man den General
Contre-Ordre, und als Trochu nun gar die Unvorsichtigkeit hatte, in einer seiner
unendlich vielen Proklamationen auszusprechen, daß er nicht abgehen werde
von seinem Plan, daß er sich noch in keinem seiner Urtheile geirrt habe und
daß man dies einst aus seinem, bei dem Notar Herrn Ducloux niedergelegten
Testament ersehen werde -- da brach die Flut des Spottes mit verdoppelter
Schärfe los. Welche freche Selbstüberschätzung, welche übermüthige Fri¬
volität kündigten die damaligen Gassenlieder gegen Trochu im Munde der
Soldaten und Nationalgarten an! Ist da auch nur eine Spur von
Vertrauen in den Führer? eine Spur, der für gute Truppen absolut
nothwendigen Selbstentäußerung und des freimüthigen Sichbescheidens und
Hingebens, durch welche Heere stark sind und siegen?! Unaufhörlich haschte
die Besatzung von Paris nach Phrasen und konnte sich nicht genug darin
thun, "as pa^or 6<z mots."

Unterdessen wurde der Ausfall nach Le Bourget in blutigem Kampfe
zurückgeschlagen und gelangte nach Paris die Nachricht von dem Fall von Metz.
Ihr reihte sich aber auch bald die von Thiers Rundreisen im Auslande an,
und die Hoffnung auf Frieden electrisirte Paris. Grade diesen Zeitpunkt
wählte die Partei der Socialdemocraten, um sich der Gewalt zu bemächtigen.
Der Aufstand vom 31. October zeigte, daß die Hoffnungen der September¬
männer, die Bestie zähmen zu können, indem man sie wärmte und fütterte,
ihr Waffen gab und ihr schmeichelte, falsch gewesen waren. Bretagnische
Mobilgarden, wackere einfache Landleute retteten diesmal noch Paris vor
der Herrschaft der Communisten. -- Nach so furchtbaren Fehlschlagen
und Erschütterungen herrschte in der Hauptstadt die tiefste Niedergeschla¬
genheit, als plötzlich in der Mitte des melancholischen Novembermonats
wie ein Sonnenstrahl durch den Nebel eine "Siegesnachricht" drang. Die
Taubenpost verkündete, daß General d'Aurelles de Paladine die Deutschen
zurückgedrängt und Orleans wieder genommen habe. Lassen denn auch wir
Paris und vergegenwärtigen wir uns, was inzwischen in der Provinz geschehen
war.

Das Gouvernement der nationalen Vertheidigung hatte eine schlimme
Erbschaft übernommen : die Staatskassen und die Magazine leer, die regulären
Armeen kriegsgefangen, das Land in politische Parteien zerspalten, frischer
genialer Männer ganz entbehrend, die feindlichen Heere im Anzüge gegen die
Loire, alle Autorität im Lande geschwunden. Und doch gibt es vielleicht kein


Die Ausführung dieses Planes erforderte vor allen Dingen Ruhe und
Geduld; davon aber hatten die Pariser nichts übrig. Trochu's abwartendes
Verhalten wurde überschüttet mit boshafter Kritik, mit bitteren Bemerkungen
und malitiösen Sticheleien. Man schimpfte ihn den General Trop-in oder
ve xrownäis, und den Chef seines Stabes, Schmitz, hieß man den General
Contre-Ordre, und als Trochu nun gar die Unvorsichtigkeit hatte, in einer seiner
unendlich vielen Proklamationen auszusprechen, daß er nicht abgehen werde
von seinem Plan, daß er sich noch in keinem seiner Urtheile geirrt habe und
daß man dies einst aus seinem, bei dem Notar Herrn Ducloux niedergelegten
Testament ersehen werde — da brach die Flut des Spottes mit verdoppelter
Schärfe los. Welche freche Selbstüberschätzung, welche übermüthige Fri¬
volität kündigten die damaligen Gassenlieder gegen Trochu im Munde der
Soldaten und Nationalgarten an! Ist da auch nur eine Spur von
Vertrauen in den Führer? eine Spur, der für gute Truppen absolut
nothwendigen Selbstentäußerung und des freimüthigen Sichbescheidens und
Hingebens, durch welche Heere stark sind und siegen?! Unaufhörlich haschte
die Besatzung von Paris nach Phrasen und konnte sich nicht genug darin
thun, „as pa^or 6<z mots."

Unterdessen wurde der Ausfall nach Le Bourget in blutigem Kampfe
zurückgeschlagen und gelangte nach Paris die Nachricht von dem Fall von Metz.
Ihr reihte sich aber auch bald die von Thiers Rundreisen im Auslande an,
und die Hoffnung auf Frieden electrisirte Paris. Grade diesen Zeitpunkt
wählte die Partei der Socialdemocraten, um sich der Gewalt zu bemächtigen.
Der Aufstand vom 31. October zeigte, daß die Hoffnungen der September¬
männer, die Bestie zähmen zu können, indem man sie wärmte und fütterte,
ihr Waffen gab und ihr schmeichelte, falsch gewesen waren. Bretagnische
Mobilgarden, wackere einfache Landleute retteten diesmal noch Paris vor
der Herrschaft der Communisten. — Nach so furchtbaren Fehlschlagen
und Erschütterungen herrschte in der Hauptstadt die tiefste Niedergeschla¬
genheit, als plötzlich in der Mitte des melancholischen Novembermonats
wie ein Sonnenstrahl durch den Nebel eine „Siegesnachricht" drang. Die
Taubenpost verkündete, daß General d'Aurelles de Paladine die Deutschen
zurückgedrängt und Orleans wieder genommen habe. Lassen denn auch wir
Paris und vergegenwärtigen wir uns, was inzwischen in der Provinz geschehen
war.

Das Gouvernement der nationalen Vertheidigung hatte eine schlimme
Erbschaft übernommen : die Staatskassen und die Magazine leer, die regulären
Armeen kriegsgefangen, das Land in politische Parteien zerspalten, frischer
genialer Männer ganz entbehrend, die feindlichen Heere im Anzüge gegen die
Loire, alle Autorität im Lande geschwunden. Und doch gibt es vielleicht kein


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[0226] Die Ausführung dieses Planes erforderte vor allen Dingen Ruhe und Geduld; davon aber hatten die Pariser nichts übrig. Trochu's abwartendes Verhalten wurde überschüttet mit boshafter Kritik, mit bitteren Bemerkungen und malitiösen Sticheleien. Man schimpfte ihn den General Trop-in oder ve xrownäis, und den Chef seines Stabes, Schmitz, hieß man den General Contre-Ordre, und als Trochu nun gar die Unvorsichtigkeit hatte, in einer seiner unendlich vielen Proklamationen auszusprechen, daß er nicht abgehen werde von seinem Plan, daß er sich noch in keinem seiner Urtheile geirrt habe und daß man dies einst aus seinem, bei dem Notar Herrn Ducloux niedergelegten Testament ersehen werde — da brach die Flut des Spottes mit verdoppelter Schärfe los. Welche freche Selbstüberschätzung, welche übermüthige Fri¬ volität kündigten die damaligen Gassenlieder gegen Trochu im Munde der Soldaten und Nationalgarten an! Ist da auch nur eine Spur von Vertrauen in den Führer? eine Spur, der für gute Truppen absolut nothwendigen Selbstentäußerung und des freimüthigen Sichbescheidens und Hingebens, durch welche Heere stark sind und siegen?! Unaufhörlich haschte die Besatzung von Paris nach Phrasen und konnte sich nicht genug darin thun, „as pa^or 6<z mots." Unterdessen wurde der Ausfall nach Le Bourget in blutigem Kampfe zurückgeschlagen und gelangte nach Paris die Nachricht von dem Fall von Metz. Ihr reihte sich aber auch bald die von Thiers Rundreisen im Auslande an, und die Hoffnung auf Frieden electrisirte Paris. Grade diesen Zeitpunkt wählte die Partei der Socialdemocraten, um sich der Gewalt zu bemächtigen. Der Aufstand vom 31. October zeigte, daß die Hoffnungen der September¬ männer, die Bestie zähmen zu können, indem man sie wärmte und fütterte, ihr Waffen gab und ihr schmeichelte, falsch gewesen waren. Bretagnische Mobilgarden, wackere einfache Landleute retteten diesmal noch Paris vor der Herrschaft der Communisten. — Nach so furchtbaren Fehlschlagen und Erschütterungen herrschte in der Hauptstadt die tiefste Niedergeschla¬ genheit, als plötzlich in der Mitte des melancholischen Novembermonats wie ein Sonnenstrahl durch den Nebel eine „Siegesnachricht" drang. Die Taubenpost verkündete, daß General d'Aurelles de Paladine die Deutschen zurückgedrängt und Orleans wieder genommen habe. Lassen denn auch wir Paris und vergegenwärtigen wir uns, was inzwischen in der Provinz geschehen war. Das Gouvernement der nationalen Vertheidigung hatte eine schlimme Erbschaft übernommen : die Staatskassen und die Magazine leer, die regulären Armeen kriegsgefangen, das Land in politische Parteien zerspalten, frischer genialer Männer ganz entbehrend, die feindlichen Heere im Anzüge gegen die Loire, alle Autorität im Lande geschwunden. Und doch gibt es vielleicht kein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/226>, abgerufen am 22.07.2024.