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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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und in dem allgemeinen Tumulte trat ein Theil der Mannschaft die eilige
und geheime Reise in die geliebte Heimath an. *)

Am 6. September richtete der neue Kriegsminister Leflö, derselbe Ge¬
neral, welcher bei dem Staatsstreiche Louis Napoleon's als Qucistor der
Nationalversammlung arretirt worden war, eine Ansprache an die Armee,
welche den Zweck hatte, den imperialistischen Theil derselben in das revolutio¬
näre Lager herüberzuziehn. Darin hieß es: "Wenn ein General sein Kom¬
mando schlecht geführt hat, nimmt man es ihm; wenn eine Regierung durch
ihre Fehler das Heil des Vaterlandes gefährdet, setzt man sie ab: das hat
Frankreich jetzt gethan . . . Wir haben die Gewalt nicht usurpirt, sondern
nur den Kampf in unsre Hand genommen . . . Heut wie vor achtzig Jahren
bedeutet der Name "Republik" innige Einheit der Armee und des Volkes zur
Befreiung des Vaterlandes!"**)

Vor Allem kam es auf die Vertheidigung von Paris an. Von
hier mußte der Impuls zu fernerem Widerstande ausgehen; hinter den Wällen
der Hauptstadt konnte man hoffen, die vorhandenen lockeren Truppenforma¬
tionen zu einem festeren Gefüge zu bilden und ihre noch mangelhafte Aus¬
rüstung mit den reichen Hilfsmitteln der Weltstadt zu vervollständigen; end¬
lich war es allein durch eine nachhaltige Vertheidigung von Paris möglich,
die nothwendige Zeit zur Organisation neuer Streitkräfte im Lande zu ge¬
winnen, welche erst Paris und Metz entsetzen und dann mit den entfesselten
Kräften der Nation den verhaßten Feind über die Grenze werfen sollten.***)

Die Negierung der nationalen Vertheidigung war nicht in Zweifel dar¬
über, daß die deutschen Armeen direct auf die Hauptstadt losmarschiren und
schnell vor ihren Thoren erscheinen würden. -- Unmittelbar vor' der Ein¬
schließung hielt am 13. Sept. Trochu eine große Revue über die Pariser
Streitkräfte ab, um die Bevölkerung durch Schaustellung der geschaffenen
Kräfte zu ermuthigen. Es war eine der größten Paraden, welche die Welt
je gesehen hat.1-)






*) C. Avant a. ->. O.
") Lese" legte übrigens sein Portefeuille bald nieder und wurde Generalsecretär des Kriegs¬
ministeriums, an dessen Spitze in Paris Trochu persönlich, in Tours erst Cremieux
und dann der Admiral Fourichon trat; denn in den Tagen, welche bis zur Einschließung von
Paris noch blieben, wurde jene Zweitheilung der Regierung durchgeführt, welche durch den
doppelten Zweck- die Hauptstadt im Zaume zu halten und im Reiche den Krieg zu nähren,
geboten war.
W. Blume, Major im Großen Gcnemlstabe: Die Operationen der deutschen Heere
von der Schlacht bei Sedan bis zum Ende des Krieges. Berlin. Mittler und Sohn 1372.
5) Zu beiden Seiten der Boulevards waren in doppelter Reihe vom Triumphbogen in der
Avenue des Elisees bis zum Vastilleplalz sämmtliche Mobilgarden und Nationalgnrden, mehr
als eine Viertel-Million Bewaffnete, theils in doppelten Reihen, theils (auf den Plätzen) in
Colonnen, aufgestellt, während auf dem Marsfelde 65,000 Mann Linientruppen standen und

und in dem allgemeinen Tumulte trat ein Theil der Mannschaft die eilige
und geheime Reise in die geliebte Heimath an. *)

Am 6. September richtete der neue Kriegsminister Leflö, derselbe Ge¬
neral, welcher bei dem Staatsstreiche Louis Napoleon's als Qucistor der
Nationalversammlung arretirt worden war, eine Ansprache an die Armee,
welche den Zweck hatte, den imperialistischen Theil derselben in das revolutio¬
näre Lager herüberzuziehn. Darin hieß es: „Wenn ein General sein Kom¬
mando schlecht geführt hat, nimmt man es ihm; wenn eine Regierung durch
ihre Fehler das Heil des Vaterlandes gefährdet, setzt man sie ab: das hat
Frankreich jetzt gethan . . . Wir haben die Gewalt nicht usurpirt, sondern
nur den Kampf in unsre Hand genommen . . . Heut wie vor achtzig Jahren
bedeutet der Name „Republik" innige Einheit der Armee und des Volkes zur
Befreiung des Vaterlandes!"**)

Vor Allem kam es auf die Vertheidigung von Paris an. Von
hier mußte der Impuls zu fernerem Widerstande ausgehen; hinter den Wällen
der Hauptstadt konnte man hoffen, die vorhandenen lockeren Truppenforma¬
tionen zu einem festeren Gefüge zu bilden und ihre noch mangelhafte Aus¬
rüstung mit den reichen Hilfsmitteln der Weltstadt zu vervollständigen; end¬
lich war es allein durch eine nachhaltige Vertheidigung von Paris möglich,
die nothwendige Zeit zur Organisation neuer Streitkräfte im Lande zu ge¬
winnen, welche erst Paris und Metz entsetzen und dann mit den entfesselten
Kräften der Nation den verhaßten Feind über die Grenze werfen sollten.***)

Die Negierung der nationalen Vertheidigung war nicht in Zweifel dar¬
über, daß die deutschen Armeen direct auf die Hauptstadt losmarschiren und
schnell vor ihren Thoren erscheinen würden. — Unmittelbar vor' der Ein¬
schließung hielt am 13. Sept. Trochu eine große Revue über die Pariser
Streitkräfte ab, um die Bevölkerung durch Schaustellung der geschaffenen
Kräfte zu ermuthigen. Es war eine der größten Paraden, welche die Welt
je gesehen hat.1-)






*) C. Avant a. ->. O.
") Lese» legte übrigens sein Portefeuille bald nieder und wurde Generalsecretär des Kriegs¬
ministeriums, an dessen Spitze in Paris Trochu persönlich, in Tours erst Cremieux
und dann der Admiral Fourichon trat; denn in den Tagen, welche bis zur Einschließung von
Paris noch blieben, wurde jene Zweitheilung der Regierung durchgeführt, welche durch den
doppelten Zweck- die Hauptstadt im Zaume zu halten und im Reiche den Krieg zu nähren,
geboten war.
W. Blume, Major im Großen Gcnemlstabe: Die Operationen der deutschen Heere
von der Schlacht bei Sedan bis zum Ende des Krieges. Berlin. Mittler und Sohn 1372.
5) Zu beiden Seiten der Boulevards waren in doppelter Reihe vom Triumphbogen in der
Avenue des Elisees bis zum Vastilleplalz sämmtliche Mobilgarden und Nationalgnrden, mehr
als eine Viertel-Million Bewaffnete, theils in doppelten Reihen, theils (auf den Plätzen) in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/219>, abgerufen am 25.07.2024.