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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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terks nationale vollzog. Der Sturz des Kaisertums! -- Als man den
General Trochu, den kaiserlichen Befehlshaber zu Paris, im Ministercvnseil
fragte, ob er einen Aufstand nöthigenfalls auch mit Gewalt niederhalten werde,
bejahte er dies entschieden und betheuerte der Kaiserin, er werde, wenn es
sein müsse, auch gern sein Leben für das Heil Ihrer Majestät und Ihrer Dy¬
nastie opfern und sich für die bestehende Ordnung auf den Stufen des gesetz¬
gebenden Körpers oder der Tuilerien tödten lassen. *) Und dieser selbe General
war am 4. September Morgens Stadtgouverneur des Kaiserreichs und
Abends Chef der entgegengesetzten Regierung. -- Eine traurige Wieder¬
holung so mancher ähnlichen früheren Vorgänge in der französischen Heeres¬
geschichte, von denen freilich kaum einer von so jäher Plötzlichkeit gewesen ist.
Den Parisern aber schien solch Verhalten schon ganz selbstverständlich. Nicht
ein Wort auch nur der Erklärung, geschweige denn der Entschuldigung hält
Jules Favre in seinem den Ereignissen des 4. September gewidmeten Buche**)
für nöthig, um Trochu's Rolle zu erläutern. Es erscheint ihm ganz in der
Ordnung, daß der vom Kaiser eingesetzte Gouverneur nicht einen Schuß zur
Vertheidigung der bestehenden Regierung abfeuert, sondern seinen Degen den
neuen Gewalthabern zur Verfügung stellt -- natürlich unter der Bedingung,
daß sie ihn zum militärischen Dictator ernennen! -- Kann man sich wundern,
wenn die Truppen solchem Vorbilde folgten!? Die Garde de Paris be¬
nahm sich sogar noch besser als Trochu. Als Schutzwache des letzten Bollwerks
der Regierung im Palasthofe des Lorps löLisIatik aufgestellt, droht sie doch
wenigstens, auf die hereinbrechenden Pöbelhaufen zu schießen; sie thut es zwar
nicht, aber sie verläßt ihren Posten doch noch mit dem Rufe: Vive l'Lmvörizui-!
-- Die Linientruppen verhalten sich aber ganz genau wie Trochu. Der
wüsten Prozession, welche zur Verkündigung der Republik die Straßen durch¬
zieht, begegnet ein eben auf dem Bahnhofe angelangtes Infanterieregiment.
Alle Welt erschrickt; man erwartet Widerstand. Die Soldaten stutzen; man
schleppt Wein herbei, umringt sie, überschüttet sie mit Phrasen, und die Truppe
nimmt die Kolben in die Höhe und sinkt widerstandlos in die Arme des Ge-
sindels. -- Charakteristisch ist die Art, wie die Verkündigung der Republik
bei vielen Mobilgarden aufgenommen wurde. Im Lager von Sathonay
z. B. jagten die Offiziere den Sendboten der neuen Regierung mit Gewalt
aus dem Lager. Aber nun empörten sich die Mobilgarden gegen ihre Offi¬
ziere und verfuhren mit ihnen ebenso wie jene mit dem Regierungscommissär,




") Aussage des Ministers Buffon-Billault in dem Processe Trochu. -- General Trochu hat
die Verantwortlichkeit für den Umsturz der kaiserlichen Regierung später abgelehnt.
^. I'avre- "vouvsrllLmöllt as la üüksiis<z nationale an 4. "spe. ern 31. vol. 1870.

terks nationale vollzog. Der Sturz des Kaisertums! — Als man den
General Trochu, den kaiserlichen Befehlshaber zu Paris, im Ministercvnseil
fragte, ob er einen Aufstand nöthigenfalls auch mit Gewalt niederhalten werde,
bejahte er dies entschieden und betheuerte der Kaiserin, er werde, wenn es
sein müsse, auch gern sein Leben für das Heil Ihrer Majestät und Ihrer Dy¬
nastie opfern und sich für die bestehende Ordnung auf den Stufen des gesetz¬
gebenden Körpers oder der Tuilerien tödten lassen. *) Und dieser selbe General
war am 4. September Morgens Stadtgouverneur des Kaiserreichs und
Abends Chef der entgegengesetzten Regierung. — Eine traurige Wieder¬
holung so mancher ähnlichen früheren Vorgänge in der französischen Heeres¬
geschichte, von denen freilich kaum einer von so jäher Plötzlichkeit gewesen ist.
Den Parisern aber schien solch Verhalten schon ganz selbstverständlich. Nicht
ein Wort auch nur der Erklärung, geschweige denn der Entschuldigung hält
Jules Favre in seinem den Ereignissen des 4. September gewidmeten Buche**)
für nöthig, um Trochu's Rolle zu erläutern. Es erscheint ihm ganz in der
Ordnung, daß der vom Kaiser eingesetzte Gouverneur nicht einen Schuß zur
Vertheidigung der bestehenden Regierung abfeuert, sondern seinen Degen den
neuen Gewalthabern zur Verfügung stellt — natürlich unter der Bedingung,
daß sie ihn zum militärischen Dictator ernennen! — Kann man sich wundern,
wenn die Truppen solchem Vorbilde folgten!? Die Garde de Paris be¬
nahm sich sogar noch besser als Trochu. Als Schutzwache des letzten Bollwerks
der Regierung im Palasthofe des Lorps löLisIatik aufgestellt, droht sie doch
wenigstens, auf die hereinbrechenden Pöbelhaufen zu schießen; sie thut es zwar
nicht, aber sie verläßt ihren Posten doch noch mit dem Rufe: Vive l'Lmvörizui-!
— Die Linientruppen verhalten sich aber ganz genau wie Trochu. Der
wüsten Prozession, welche zur Verkündigung der Republik die Straßen durch¬
zieht, begegnet ein eben auf dem Bahnhofe angelangtes Infanterieregiment.
Alle Welt erschrickt; man erwartet Widerstand. Die Soldaten stutzen; man
schleppt Wein herbei, umringt sie, überschüttet sie mit Phrasen, und die Truppe
nimmt die Kolben in die Höhe und sinkt widerstandlos in die Arme des Ge-
sindels. — Charakteristisch ist die Art, wie die Verkündigung der Republik
bei vielen Mobilgarden aufgenommen wurde. Im Lager von Sathonay
z. B. jagten die Offiziere den Sendboten der neuen Regierung mit Gewalt
aus dem Lager. Aber nun empörten sich die Mobilgarden gegen ihre Offi¬
ziere und verfuhren mit ihnen ebenso wie jene mit dem Regierungscommissär,




") Aussage des Ministers Buffon-Billault in dem Processe Trochu. — General Trochu hat
die Verantwortlichkeit für den Umsturz der kaiserlichen Regierung später abgelehnt.
^. I'avre- „vouvsrllLmöllt as la üüksiis<z nationale an 4. «spe. ern 31. vol. 1870.
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[0218] terks nationale vollzog. Der Sturz des Kaisertums! — Als man den General Trochu, den kaiserlichen Befehlshaber zu Paris, im Ministercvnseil fragte, ob er einen Aufstand nöthigenfalls auch mit Gewalt niederhalten werde, bejahte er dies entschieden und betheuerte der Kaiserin, er werde, wenn es sein müsse, auch gern sein Leben für das Heil Ihrer Majestät und Ihrer Dy¬ nastie opfern und sich für die bestehende Ordnung auf den Stufen des gesetz¬ gebenden Körpers oder der Tuilerien tödten lassen. *) Und dieser selbe General war am 4. September Morgens Stadtgouverneur des Kaiserreichs und Abends Chef der entgegengesetzten Regierung. — Eine traurige Wieder¬ holung so mancher ähnlichen früheren Vorgänge in der französischen Heeres¬ geschichte, von denen freilich kaum einer von so jäher Plötzlichkeit gewesen ist. Den Parisern aber schien solch Verhalten schon ganz selbstverständlich. Nicht ein Wort auch nur der Erklärung, geschweige denn der Entschuldigung hält Jules Favre in seinem den Ereignissen des 4. September gewidmeten Buche**) für nöthig, um Trochu's Rolle zu erläutern. Es erscheint ihm ganz in der Ordnung, daß der vom Kaiser eingesetzte Gouverneur nicht einen Schuß zur Vertheidigung der bestehenden Regierung abfeuert, sondern seinen Degen den neuen Gewalthabern zur Verfügung stellt — natürlich unter der Bedingung, daß sie ihn zum militärischen Dictator ernennen! — Kann man sich wundern, wenn die Truppen solchem Vorbilde folgten!? Die Garde de Paris be¬ nahm sich sogar noch besser als Trochu. Als Schutzwache des letzten Bollwerks der Regierung im Palasthofe des Lorps löLisIatik aufgestellt, droht sie doch wenigstens, auf die hereinbrechenden Pöbelhaufen zu schießen; sie thut es zwar nicht, aber sie verläßt ihren Posten doch noch mit dem Rufe: Vive l'Lmvörizui-! — Die Linientruppen verhalten sich aber ganz genau wie Trochu. Der wüsten Prozession, welche zur Verkündigung der Republik die Straßen durch¬ zieht, begegnet ein eben auf dem Bahnhofe angelangtes Infanterieregiment. Alle Welt erschrickt; man erwartet Widerstand. Die Soldaten stutzen; man schleppt Wein herbei, umringt sie, überschüttet sie mit Phrasen, und die Truppe nimmt die Kolben in die Höhe und sinkt widerstandlos in die Arme des Ge- sindels. — Charakteristisch ist die Art, wie die Verkündigung der Republik bei vielen Mobilgarden aufgenommen wurde. Im Lager von Sathonay z. B. jagten die Offiziere den Sendboten der neuen Regierung mit Gewalt aus dem Lager. Aber nun empörten sich die Mobilgarden gegen ihre Offi¬ ziere und verfuhren mit ihnen ebenso wie jene mit dem Regierungscommissär, ") Aussage des Ministers Buffon-Billault in dem Processe Trochu. — General Trochu hat die Verantwortlichkeit für den Umsturz der kaiserlichen Regierung später abgelehnt. ^. I'avre- „vouvsrllLmöllt as la üüksiis<z nationale an 4. «spe. ern 31. vol. 1870.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/218>, abgerufen am 04.07.2024.