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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Namen unter die Erklärung setzte, reichte ihm Dahlmann die Rechte und sagte:
"Sie sind mein Freund -- Sie haben die nöthige Herzenshärtigkeit er¬
wiesen." --

Es ist bekannt, mit wie geringen Hoffnungen die preußische Partei ein
Jahr später das Erfurter Parlament beschickte, und wie gegründet sich dieses
Mißtrauen erwies. Indessen, seitdem die Partei am 28. Juni 1849 in Gotha
beschlossen hatte, auch die Unionsverfassung anzuerkennen, war es Pflicht der
Parteigenossen, dafür zu wirken und einzutreten. So folgte denn auch Sim-
son der an ihn ergangenen Wahl in das Erfurter Volkshaus, und wurde
auch hier, nach der Eröffnung der Versammlung am 20. März 1850 zum
Präsidenten des Volkshauses erwählt. Einer der Schriftführer war Otto von
Bismarck-Schönhausen. Dieses amtliche Verhältniß Simson's zu dem heutigen
deutschen Reichskanzler führte zu einem für die damalige politische Denkweise
des jungen Bismarck höchst charakteristischen Conflict. Auf der Journalisten¬
tribüne des Volkshauses befanden sich zwei Reporter, welche an einflußreiche
Zeitungen ihre Berichte in einem sehr prononcirt antiösterreichischen Sinne
schrieben. Der eine von ihnen ist heute als politischer Schriftsteller und
Reichtagsabgeordneter sehr bekannt. Bismarck ließ an Beide -- mit der Unter¬
schrift "das Schriftführeramt des Volkshauses zu Erfurt, von Bismarck" --
Schreiben ergehen, in welchen er ihnen anzeigte, daß ihnen .die Sitze auf der
Journalistentribüne sofort entzogen würden, wenn sie nicht augenblicklich die
verwerflichen Angriffe auf Oesterreich in ihren Berichten einstellten. Der eine
der vergewaltigten Reporter, der heutige Reichstagsabgeordnete, beantwortete
das Schreiben Bismarck's mit einem überaus höhnischen und in der Form
ungehörigen Briefe. Der andere aber wandte sich an Simson mit der
Frage, ob der junge Schriftführer wirklich im Namen des Schriftführer¬
amtes die Aufforderung an ihn zu richten berechtigt gewesen sei. Bei
Beginn der nächsten Sitzung forderte Bismarck mit Ungestüm vom Präsiden¬
ten Satisfaction wegen der Antwort des Reporters. Simson sagte ihm diese
zu, bestellte ihn aber gleichzeitig Abends 8 Uhr in das Präsidentenzimmer,
um beiderseits die Satisfaction zu vereinbaren, welche Bismarck dem andern
Berichterstatter schuldig sei. Bismarck erschien zur bestimmten Stunde, aber
nur um jede Verbindlichkeit einer Satisfaction gegen den Federfuchser ent¬
schieden zu bestreiten. "Da saßen wir denn bis zwei Uhr Nachts" erzählte
uns Simson, "und tauschten unsere Gedanken aus, daß die Wände dröhnten.
Sie müssen sich den gewaltigen Mann zwanzig Jahr jünger denken. Und
am Ende gab Bismarck doch Satisfaction, und ich ihm auch, indem ich seinem
Beleidiger den Sitz wirklich entzog. Der andere Reporter behielt natürlich den
seinen."

Am 29. April bereits waren die Arbeiten des Erfurter Parlaments voll-


Namen unter die Erklärung setzte, reichte ihm Dahlmann die Rechte und sagte:
„Sie sind mein Freund — Sie haben die nöthige Herzenshärtigkeit er¬
wiesen." —

Es ist bekannt, mit wie geringen Hoffnungen die preußische Partei ein
Jahr später das Erfurter Parlament beschickte, und wie gegründet sich dieses
Mißtrauen erwies. Indessen, seitdem die Partei am 28. Juni 1849 in Gotha
beschlossen hatte, auch die Unionsverfassung anzuerkennen, war es Pflicht der
Parteigenossen, dafür zu wirken und einzutreten. So folgte denn auch Sim-
son der an ihn ergangenen Wahl in das Erfurter Volkshaus, und wurde
auch hier, nach der Eröffnung der Versammlung am 20. März 1850 zum
Präsidenten des Volkshauses erwählt. Einer der Schriftführer war Otto von
Bismarck-Schönhausen. Dieses amtliche Verhältniß Simson's zu dem heutigen
deutschen Reichskanzler führte zu einem für die damalige politische Denkweise
des jungen Bismarck höchst charakteristischen Conflict. Auf der Journalisten¬
tribüne des Volkshauses befanden sich zwei Reporter, welche an einflußreiche
Zeitungen ihre Berichte in einem sehr prononcirt antiösterreichischen Sinne
schrieben. Der eine von ihnen ist heute als politischer Schriftsteller und
Reichtagsabgeordneter sehr bekannt. Bismarck ließ an Beide — mit der Unter¬
schrift „das Schriftführeramt des Volkshauses zu Erfurt, von Bismarck" —
Schreiben ergehen, in welchen er ihnen anzeigte, daß ihnen .die Sitze auf der
Journalistentribüne sofort entzogen würden, wenn sie nicht augenblicklich die
verwerflichen Angriffe auf Oesterreich in ihren Berichten einstellten. Der eine
der vergewaltigten Reporter, der heutige Reichstagsabgeordnete, beantwortete
das Schreiben Bismarck's mit einem überaus höhnischen und in der Form
ungehörigen Briefe. Der andere aber wandte sich an Simson mit der
Frage, ob der junge Schriftführer wirklich im Namen des Schriftführer¬
amtes die Aufforderung an ihn zu richten berechtigt gewesen sei. Bei
Beginn der nächsten Sitzung forderte Bismarck mit Ungestüm vom Präsiden¬
ten Satisfaction wegen der Antwort des Reporters. Simson sagte ihm diese
zu, bestellte ihn aber gleichzeitig Abends 8 Uhr in das Präsidentenzimmer,
um beiderseits die Satisfaction zu vereinbaren, welche Bismarck dem andern
Berichterstatter schuldig sei. Bismarck erschien zur bestimmten Stunde, aber
nur um jede Verbindlichkeit einer Satisfaction gegen den Federfuchser ent¬
schieden zu bestreiten. „Da saßen wir denn bis zwei Uhr Nachts" erzählte
uns Simson, »und tauschten unsere Gedanken aus, daß die Wände dröhnten.
Sie müssen sich den gewaltigen Mann zwanzig Jahr jünger denken. Und
am Ende gab Bismarck doch Satisfaction, und ich ihm auch, indem ich seinem
Beleidiger den Sitz wirklich entzog. Der andere Reporter behielt natürlich den
seinen."

Am 29. April bereits waren die Arbeiten des Erfurter Parlaments voll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/21>, abgerufen am 03.07.2024.