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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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gerathen sei, weil er bei einem erwarteten Volksaufstand im Trüben zu fischen
geglaubt, wären die Physiognomien dieser Jünger nicht so, daß wir ihnen
ansehen und also auch Judas ihnen ansehen mußte, daß sie niemals einer
Gewaltsamkeit fähig waren. Der Friede des Evangeliums liegt auf ihnen,
und der Petrus der evangelischen Erzählung, wenn er anders unter ihnen ist,
erscheint hier nur in der Erschütterung wilder Trauer. Und wenn dieser
Judas sich zu diesem Meister und zu diesen Jüngern hätte verirren können,
so begreift man doch nicht, wie diese ihn einen Tag unter sich haben dulden
mögen. Von dem Judas Leonardo's sagt Goethe, daß er von keineswegs
häßlicher Bildung sei, wie denn der gute Geschmack in der Nähe so reiner
und redlicher Menschen kein eigentliches Ungeheuer dulden könne. Diese
Grenze des guten Geschmacks und der innern Wahrheit ist hier nicht innege¬
halten, obwohl dieses Ungeheuer für die Erfahrungen aller Zeiten durchaus
nichts Ungewöhnliches an sich hat.

Es ist eine Bauernstube, in die uns das Gemälde versetzt, die Wand
braunes Holzgetäfel zum Zeichen des Festes mit einer Guirlande verziert, um
den Tisch hölzerne Sessel ohne Lehnen, die Modelle der Köpfe mögen die
keltischer oder esthnischer Bauern gewesen sein. Aber mit dem Zug des innern
Lebens, der ihnen geliehen, sind sie wahre Typen der Sanftmüthigen des
Evangeliums, denen das Erdreich zu Theil werden soll.

Auf Leonardo's Bild erstreckt sich die Tafel in beträchtliche Länge, weil
die Speisenden nur auf der Seite sitzen, von welcher sie dem Beschauer das
Gesicht zukehren. Auf unserem Bilde erscheinen die Speisenden weit enger
zusammengedrängt, einige kehren dem Beschauer den Rücken zu, wobei dem¬
selben durch zwanglos herbeigeführte Seitenbewegungen doch das Antlitz nicht
entzogen wird. Im Ganzen erscheinen durch diese Enge des Bildes die Jünger
nur um so mehr als die Trabanten, die mit dem Sinn immerfort auf ihren
Planeten gerichtet sind. --

Die Wegführung der Juden in die babylonische Gefangenschaft von dem
Altmeister Bendemann ist den Dimensionen nach das größte Bild der Aus¬
stellung. Der Muth, eine solche Fläche mit bedeutenden Figuren, die unter
sich durch ein großes Begebniß verbunden sind, zu beleben, hat an sich schon
etwas den Beschauer Erhebendes. Und hier ist Alles edel gedacht und durch¬
geführt, der Fluß der Linien, welche die Gruppen begrenzen, wie die Characte-
ristik der einzelnen Gestalten. Aber die Malerei solcher Gegenstände bleibt
symbolisch, eine berechtigte, aber nicht die höchste Art der Malerei. Wir nennen
symbolisch hier nicht diejenige Kunst, welche ganz fremdartige Dinge zum
Zeichen von Vorstellungen macht, mit denen die ersteren durch viele künstlich
gesuchte Mittelglieder zusammenhängen. Symbolisch ist auch schon diejenige
Kunst, welche, außer Stande, das was sie geben will, ganz zu geben, sich


gerathen sei, weil er bei einem erwarteten Volksaufstand im Trüben zu fischen
geglaubt, wären die Physiognomien dieser Jünger nicht so, daß wir ihnen
ansehen und also auch Judas ihnen ansehen mußte, daß sie niemals einer
Gewaltsamkeit fähig waren. Der Friede des Evangeliums liegt auf ihnen,
und der Petrus der evangelischen Erzählung, wenn er anders unter ihnen ist,
erscheint hier nur in der Erschütterung wilder Trauer. Und wenn dieser
Judas sich zu diesem Meister und zu diesen Jüngern hätte verirren können,
so begreift man doch nicht, wie diese ihn einen Tag unter sich haben dulden
mögen. Von dem Judas Leonardo's sagt Goethe, daß er von keineswegs
häßlicher Bildung sei, wie denn der gute Geschmack in der Nähe so reiner
und redlicher Menschen kein eigentliches Ungeheuer dulden könne. Diese
Grenze des guten Geschmacks und der innern Wahrheit ist hier nicht innege¬
halten, obwohl dieses Ungeheuer für die Erfahrungen aller Zeiten durchaus
nichts Ungewöhnliches an sich hat.

Es ist eine Bauernstube, in die uns das Gemälde versetzt, die Wand
braunes Holzgetäfel zum Zeichen des Festes mit einer Guirlande verziert, um
den Tisch hölzerne Sessel ohne Lehnen, die Modelle der Köpfe mögen die
keltischer oder esthnischer Bauern gewesen sein. Aber mit dem Zug des innern
Lebens, der ihnen geliehen, sind sie wahre Typen der Sanftmüthigen des
Evangeliums, denen das Erdreich zu Theil werden soll.

Auf Leonardo's Bild erstreckt sich die Tafel in beträchtliche Länge, weil
die Speisenden nur auf der Seite sitzen, von welcher sie dem Beschauer das
Gesicht zukehren. Auf unserem Bilde erscheinen die Speisenden weit enger
zusammengedrängt, einige kehren dem Beschauer den Rücken zu, wobei dem¬
selben durch zwanglos herbeigeführte Seitenbewegungen doch das Antlitz nicht
entzogen wird. Im Ganzen erscheinen durch diese Enge des Bildes die Jünger
nur um so mehr als die Trabanten, die mit dem Sinn immerfort auf ihren
Planeten gerichtet sind. —

Die Wegführung der Juden in die babylonische Gefangenschaft von dem
Altmeister Bendemann ist den Dimensionen nach das größte Bild der Aus¬
stellung. Der Muth, eine solche Fläche mit bedeutenden Figuren, die unter
sich durch ein großes Begebniß verbunden sind, zu beleben, hat an sich schon
etwas den Beschauer Erhebendes. Und hier ist Alles edel gedacht und durch¬
geführt, der Fluß der Linien, welche die Gruppen begrenzen, wie die Characte-
ristik der einzelnen Gestalten. Aber die Malerei solcher Gegenstände bleibt
symbolisch, eine berechtigte, aber nicht die höchste Art der Malerei. Wir nennen
symbolisch hier nicht diejenige Kunst, welche ganz fremdartige Dinge zum
Zeichen von Vorstellungen macht, mit denen die ersteren durch viele künstlich
gesuchte Mittelglieder zusammenhängen. Symbolisch ist auch schon diejenige
Kunst, welche, außer Stande, das was sie geben will, ganz zu geben, sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/205>, abgerufen am 04.07.2024.