Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einen kühnen Bandenführer. Er ward mit einem Dutzend anderer "Glaubens¬
helden" zusammen gefangen und, während er eine spanische Litanei sang,
erschossen. Das seltsamste Exemplar unter jenen Briganten war ein Räuber¬
mädchen, Maria Olivieri aus Calabrien. Sie beging aus Glaubensfanatis¬
mus nicht weniger als vierzig Mordthaten und unter den Opfern befand sich
ihre eigene Schwester. Als man sie aufknüpfte, war sie 23 Jahre alt und
-- sehr hübsch. Hinter diesen Banditen stand unzweifelhaft die klerikale
Partei, welche mit Feuer und Schwert hauste und die Nsssa nisi LriMnti,
die Brigantenmesse, erfunden hatte, welche direct den Weg zum Himmel öffnete.
Die Patronen, welche von den Geistlichen ausgetheilt wurden, trugen, nach
Fräulein Cobbe, das offizielle päpstliche Siegel, die dreifache Krone und die
Himmelsschlüssel "). Alles geschah "im Interesse der Kirche und des Königs".

In den Jahren 1868 und 1869 versuchte die italienische Regierung Ernst
zu machen. General Pallavicini, welcher sich den Ehrennamen eines
"Brigantenjägers" erworben hat, nahm die Sache in die Hand und erklärte
rund heraus, daß er "den wilden Bestien" ein Ende machen wolle. Wie
schlimm steht es um die öffentliche Sicherheit eines Landes, wenn ein hoch¬
gestellter General in seinen Kundmachungen solche Ausdrücke gebraucht! So
viel an ihm lag, hat General Pallavicini Wort gehalten; freilich betrieb er
die Ausrottung des Brigandaccio nach der Art einer Parforcejagd; Distrikte
wurden mit Militär umstellt, abgetrieben und die "Beute" kurzweg nieder¬
geschossen, damit ein mißgestimmtes Gericht nicht durch ein sanftes Urtheil
wieder verdarb, was der Soldat gut gemacht.

Drei Banditenhäuptlinge, die ihr Handwerk im großen Stile trieben,
machten Pallavicini am meisten zu schaffen. Sie führten alle drei vorzüg¬
liche Namen: Guerra (Krieg), Pace (Frieden) und Fuoco (Feuer). Alle drei
wurden erschossen. Als sie beseitigt waren, glaubte Pallavicini Ruhe zu
haben. Allein es ging wie mit der Hydra -- die abgehauenen Köpfe wuchsen
nach und Signor Carbone trieb sein Räuberwesen so kräftig, wie alle drei
Vorgänger zusammengenommen. Der Aufforderung sich zu ergeben, hatte er
stets ein trotziges Nein entgegengesetzt, obwohl man ihm günstige Bedingungen
geboten hatte. Da kam Pallavicini, umstellte ihn in der Gegend von Mor-
della und ließ ihm keinen Ausweg. Carbone beschloß mit seiner ganzen Bande
sich nun den Behörden zu stellen, was er in folgender Weise ausführte.

Mordella ist ein 8000 Einwohner zählendes Städtchen in den Apenninen,
kaum zehn Meilen von Neapel entfernt. Zur nicht geringen Ueberraschung
der guten Bürger zog eines Tages nun Carbone bis an die Zähne bewaffnet
mit seiner ganzen Schaar in die Stadt, friedlich, ohne ein Kind anzurühren



*) ItAlics. Si'ist iiotos so politios, psopls sua pluess w Ital^. 1,006011. 'I'übuer
ima vowp. 1864.

einen kühnen Bandenführer. Er ward mit einem Dutzend anderer „Glaubens¬
helden" zusammen gefangen und, während er eine spanische Litanei sang,
erschossen. Das seltsamste Exemplar unter jenen Briganten war ein Räuber¬
mädchen, Maria Olivieri aus Calabrien. Sie beging aus Glaubensfanatis¬
mus nicht weniger als vierzig Mordthaten und unter den Opfern befand sich
ihre eigene Schwester. Als man sie aufknüpfte, war sie 23 Jahre alt und
— sehr hübsch. Hinter diesen Banditen stand unzweifelhaft die klerikale
Partei, welche mit Feuer und Schwert hauste und die Nsssa nisi LriMnti,
die Brigantenmesse, erfunden hatte, welche direct den Weg zum Himmel öffnete.
Die Patronen, welche von den Geistlichen ausgetheilt wurden, trugen, nach
Fräulein Cobbe, das offizielle päpstliche Siegel, die dreifache Krone und die
Himmelsschlüssel "). Alles geschah „im Interesse der Kirche und des Königs".

In den Jahren 1868 und 1869 versuchte die italienische Regierung Ernst
zu machen. General Pallavicini, welcher sich den Ehrennamen eines
„Brigantenjägers" erworben hat, nahm die Sache in die Hand und erklärte
rund heraus, daß er „den wilden Bestien" ein Ende machen wolle. Wie
schlimm steht es um die öffentliche Sicherheit eines Landes, wenn ein hoch¬
gestellter General in seinen Kundmachungen solche Ausdrücke gebraucht! So
viel an ihm lag, hat General Pallavicini Wort gehalten; freilich betrieb er
die Ausrottung des Brigandaccio nach der Art einer Parforcejagd; Distrikte
wurden mit Militär umstellt, abgetrieben und die „Beute" kurzweg nieder¬
geschossen, damit ein mißgestimmtes Gericht nicht durch ein sanftes Urtheil
wieder verdarb, was der Soldat gut gemacht.

Drei Banditenhäuptlinge, die ihr Handwerk im großen Stile trieben,
machten Pallavicini am meisten zu schaffen. Sie führten alle drei vorzüg¬
liche Namen: Guerra (Krieg), Pace (Frieden) und Fuoco (Feuer). Alle drei
wurden erschossen. Als sie beseitigt waren, glaubte Pallavicini Ruhe zu
haben. Allein es ging wie mit der Hydra — die abgehauenen Köpfe wuchsen
nach und Signor Carbone trieb sein Räuberwesen so kräftig, wie alle drei
Vorgänger zusammengenommen. Der Aufforderung sich zu ergeben, hatte er
stets ein trotziges Nein entgegengesetzt, obwohl man ihm günstige Bedingungen
geboten hatte. Da kam Pallavicini, umstellte ihn in der Gegend von Mor-
della und ließ ihm keinen Ausweg. Carbone beschloß mit seiner ganzen Bande
sich nun den Behörden zu stellen, was er in folgender Weise ausführte.

Mordella ist ein 8000 Einwohner zählendes Städtchen in den Apenninen,
kaum zehn Meilen von Neapel entfernt. Zur nicht geringen Ueberraschung
der guten Bürger zog eines Tages nun Carbone bis an die Zähne bewaffnet
mit seiner ganzen Schaar in die Stadt, friedlich, ohne ein Kind anzurühren



*) ItAlics. Si'ist iiotos so politios, psopls sua pluess w Ital^. 1,006011. 'I'übuer
ima vowp. 1864.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128652"/>
          <p xml:id="ID_574" prev="#ID_573"> einen kühnen Bandenführer. Er ward mit einem Dutzend anderer &#x201E;Glaubens¬<lb/>
helden" zusammen gefangen und, während er eine spanische Litanei sang,<lb/>
erschossen. Das seltsamste Exemplar unter jenen Briganten war ein Räuber¬<lb/>
mädchen, Maria Olivieri aus Calabrien. Sie beging aus Glaubensfanatis¬<lb/>
mus nicht weniger als vierzig Mordthaten und unter den Opfern befand sich<lb/>
ihre eigene Schwester. Als man sie aufknüpfte, war sie 23 Jahre alt und<lb/>
&#x2014; sehr hübsch. Hinter diesen Banditen stand unzweifelhaft die klerikale<lb/>
Partei, welche mit Feuer und Schwert hauste und die Nsssa nisi LriMnti,<lb/>
die Brigantenmesse, erfunden hatte, welche direct den Weg zum Himmel öffnete.<lb/>
Die Patronen, welche von den Geistlichen ausgetheilt wurden, trugen, nach<lb/>
Fräulein Cobbe, das offizielle päpstliche Siegel, die dreifache Krone und die<lb/>
Himmelsschlüssel "). Alles geschah &#x201E;im Interesse der Kirche und des Königs".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_575"> In den Jahren 1868 und 1869 versuchte die italienische Regierung Ernst<lb/>
zu machen. General Pallavicini, welcher sich den Ehrennamen eines<lb/>
&#x201E;Brigantenjägers" erworben hat, nahm die Sache in die Hand und erklärte<lb/>
rund heraus, daß er &#x201E;den wilden Bestien" ein Ende machen wolle. Wie<lb/>
schlimm steht es um die öffentliche Sicherheit eines Landes, wenn ein hoch¬<lb/>
gestellter General in seinen Kundmachungen solche Ausdrücke gebraucht! So<lb/>
viel an ihm lag, hat General Pallavicini Wort gehalten; freilich betrieb er<lb/>
die Ausrottung des Brigandaccio nach der Art einer Parforcejagd; Distrikte<lb/>
wurden mit Militär umstellt, abgetrieben und die &#x201E;Beute" kurzweg nieder¬<lb/>
geschossen, damit ein mißgestimmtes Gericht nicht durch ein sanftes Urtheil<lb/>
wieder verdarb, was der Soldat gut gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_576"> Drei Banditenhäuptlinge, die ihr Handwerk im großen Stile trieben,<lb/>
machten Pallavicini am meisten zu schaffen. Sie führten alle drei vorzüg¬<lb/>
liche Namen: Guerra (Krieg), Pace (Frieden) und Fuoco (Feuer). Alle drei<lb/>
wurden erschossen. Als sie beseitigt waren, glaubte Pallavicini Ruhe zu<lb/>
haben. Allein es ging wie mit der Hydra &#x2014; die abgehauenen Köpfe wuchsen<lb/>
nach und Signor Carbone trieb sein Räuberwesen so kräftig, wie alle drei<lb/>
Vorgänger zusammengenommen. Der Aufforderung sich zu ergeben, hatte er<lb/>
stets ein trotziges Nein entgegengesetzt, obwohl man ihm günstige Bedingungen<lb/>
geboten hatte. Da kam Pallavicini, umstellte ihn in der Gegend von Mor-<lb/>
della und ließ ihm keinen Ausweg. Carbone beschloß mit seiner ganzen Bande<lb/>
sich nun den Behörden zu stellen, was er in folgender Weise ausführte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_577" next="#ID_578"> Mordella ist ein 8000 Einwohner zählendes Städtchen in den Apenninen,<lb/>
kaum zehn Meilen von Neapel entfernt. Zur nicht geringen Ueberraschung<lb/>
der guten Bürger zog eines Tages nun Carbone bis an die Zähne bewaffnet<lb/>
mit seiner ganzen Schaar in die Stadt, friedlich, ohne ein Kind anzurühren</p><lb/>
          <note xml:id="FID_118" place="foot"> *) ItAlics. Si'ist iiotos so politios, psopls sua pluess w Ital^. 1,006011. 'I'übuer<lb/>
ima vowp. 1864.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0198] einen kühnen Bandenführer. Er ward mit einem Dutzend anderer „Glaubens¬ helden" zusammen gefangen und, während er eine spanische Litanei sang, erschossen. Das seltsamste Exemplar unter jenen Briganten war ein Räuber¬ mädchen, Maria Olivieri aus Calabrien. Sie beging aus Glaubensfanatis¬ mus nicht weniger als vierzig Mordthaten und unter den Opfern befand sich ihre eigene Schwester. Als man sie aufknüpfte, war sie 23 Jahre alt und — sehr hübsch. Hinter diesen Banditen stand unzweifelhaft die klerikale Partei, welche mit Feuer und Schwert hauste und die Nsssa nisi LriMnti, die Brigantenmesse, erfunden hatte, welche direct den Weg zum Himmel öffnete. Die Patronen, welche von den Geistlichen ausgetheilt wurden, trugen, nach Fräulein Cobbe, das offizielle päpstliche Siegel, die dreifache Krone und die Himmelsschlüssel "). Alles geschah „im Interesse der Kirche und des Königs". In den Jahren 1868 und 1869 versuchte die italienische Regierung Ernst zu machen. General Pallavicini, welcher sich den Ehrennamen eines „Brigantenjägers" erworben hat, nahm die Sache in die Hand und erklärte rund heraus, daß er „den wilden Bestien" ein Ende machen wolle. Wie schlimm steht es um die öffentliche Sicherheit eines Landes, wenn ein hoch¬ gestellter General in seinen Kundmachungen solche Ausdrücke gebraucht! So viel an ihm lag, hat General Pallavicini Wort gehalten; freilich betrieb er die Ausrottung des Brigandaccio nach der Art einer Parforcejagd; Distrikte wurden mit Militär umstellt, abgetrieben und die „Beute" kurzweg nieder¬ geschossen, damit ein mißgestimmtes Gericht nicht durch ein sanftes Urtheil wieder verdarb, was der Soldat gut gemacht. Drei Banditenhäuptlinge, die ihr Handwerk im großen Stile trieben, machten Pallavicini am meisten zu schaffen. Sie führten alle drei vorzüg¬ liche Namen: Guerra (Krieg), Pace (Frieden) und Fuoco (Feuer). Alle drei wurden erschossen. Als sie beseitigt waren, glaubte Pallavicini Ruhe zu haben. Allein es ging wie mit der Hydra — die abgehauenen Köpfe wuchsen nach und Signor Carbone trieb sein Räuberwesen so kräftig, wie alle drei Vorgänger zusammengenommen. Der Aufforderung sich zu ergeben, hatte er stets ein trotziges Nein entgegengesetzt, obwohl man ihm günstige Bedingungen geboten hatte. Da kam Pallavicini, umstellte ihn in der Gegend von Mor- della und ließ ihm keinen Ausweg. Carbone beschloß mit seiner ganzen Bande sich nun den Behörden zu stellen, was er in folgender Weise ausführte. Mordella ist ein 8000 Einwohner zählendes Städtchen in den Apenninen, kaum zehn Meilen von Neapel entfernt. Zur nicht geringen Ueberraschung der guten Bürger zog eines Tages nun Carbone bis an die Zähne bewaffnet mit seiner ganzen Schaar in die Stadt, friedlich, ohne ein Kind anzurühren *) ItAlics. Si'ist iiotos so politios, psopls sua pluess w Ital^. 1,006011. 'I'übuer ima vowp. 1864.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/198
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/198>, abgerufen am 03.07.2024.