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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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vernichten. So begann also das Lügensystem schon vor Gambetta, und hat
nicht wenig dazu beigetragen bei den immerwährenden Enttäuschungen die
schon so widerspenstigen Soldaten noch mehr aufzureizen. Immer häufiger
kam es vor, daß sie ihre Vorgesetzten thätlich angriffen, und namentlich für
die Schlacht von Sedan ist es von vielen französischen Officieren constatirt,
daß ihre Leute selbst auf sie geschossen haben.

Die Jndisciplin war indessen nicht überall gleich groß. Oft zeigte sich
an ihrer Stelle eine vielleicht ebenso traurige Indolenz. Der Commandant
David, der bei Beaumont schwer verwundet wurde, schrieb während des Rück¬
zuges der Armee Mac Mensor's von Reims nach Sedan in sein Tagebuch:
"Trotz unserer Niederlage zeigt sich keine Demoralisation bei unseren Soldaten
und hätten sie Brod, so würden sie fröhlich singen. Die guten Leute fühlen
nicht die Gefahr unserer Niederlage für unser Vaterland, -- arme Bauern
ohne Unterricht und Erziehung, in deren Herzen das Wort Baterland keine
Saite erklingen läßt "l"z mot as xatris us Krit vlbror aueurw eorclö oux."
Und dies Wort aus dem Tagebuche eines Todtgeglaubten wurde von allen
französischen Militairschriftstcllern mit voller Beistimmung als besonders
charakteristisch wiederholt.*)

"Das Vorherrschen des Gefühls persönlicher Ehre bildet ehr¬
süchtige Generale, welche den Staatszweck gern bei Seite setzen, sei es zu
Gunsten einer großartigen theatralischen, sei es einer zwecklosen kleinlichen
That; es wirkt lediglich in Momenten der Aufregung und hat im Kampf¬
gewühl selbst sein einziges Wirkungsfeld. -- Das Gefühl für staatliche,
Ehre jedoch, welches die Preußen beseelt, enge verwandt mit Vaterlandsliebe¬
leitet in allen Verhältnissen zur Pflichterfüllung; ihm ist der Kampf eine
Obliegenheit wie alle anderen, und die unscheinbarste Verrichtung wird in ihrer
Ausführung nicht weniger durch dasselbe beeinflußt, als die glänzendste Unter¬
nehmung."**) Diese treffende Characteristik erinnert an das Wort eines alten
französischen Generals aus der ersten Kaiserzeit, welcher oft gegen die Preußen
gefochten hatte und der da sagte: "I,s goläat ü-auhg-is se bat pour sa, gloii-s
et xour uno eioix! I^ö solclat xrussisu se da,t -- xar 1a croix et son
Lörment! pour sou roi > xour 1a gloire et Is bouksur as Lg, Mi'le!" ***)
Diese feste Unterlage fehlt den Franzosen und die windige Phrase: mz
Lvrs pa-s I'Iwmwö. ^ fers ma Mi'le!" vermag sie nicht zu ersetzen. --- Diese




^ v. Meerheimb a. a. O. nach dem Journal ü'un oMvisr as I'Al-nos co Rinn, Der
Commandant David fügt jenen Worten hinzu: Von" Ich vivos 6'um sMvme 6<z rserute-
msnt 6-ins Isiiuol toutes Jos olassks 6g ig, soeivtv us ooneourent ox",Ihm<zue. I^s, 66-
v^lleuev 6v I". nation vomwones aus pro v"ux "im xossvcieut L'iMrauviÜLsent, nwxsunknt
Knuuvs, 6hö oll-tiAos mille-üres.
") Bancalari a. a, O. v. Ölberg a, a. O.

vernichten. So begann also das Lügensystem schon vor Gambetta, und hat
nicht wenig dazu beigetragen bei den immerwährenden Enttäuschungen die
schon so widerspenstigen Soldaten noch mehr aufzureizen. Immer häufiger
kam es vor, daß sie ihre Vorgesetzten thätlich angriffen, und namentlich für
die Schlacht von Sedan ist es von vielen französischen Officieren constatirt,
daß ihre Leute selbst auf sie geschossen haben.

Die Jndisciplin war indessen nicht überall gleich groß. Oft zeigte sich
an ihrer Stelle eine vielleicht ebenso traurige Indolenz. Der Commandant
David, der bei Beaumont schwer verwundet wurde, schrieb während des Rück¬
zuges der Armee Mac Mensor's von Reims nach Sedan in sein Tagebuch:
„Trotz unserer Niederlage zeigt sich keine Demoralisation bei unseren Soldaten
und hätten sie Brod, so würden sie fröhlich singen. Die guten Leute fühlen
nicht die Gefahr unserer Niederlage für unser Vaterland, — arme Bauern
ohne Unterricht und Erziehung, in deren Herzen das Wort Baterland keine
Saite erklingen läßt „l«z mot as xatris us Krit vlbror aueurw eorclö oux."
Und dies Wort aus dem Tagebuche eines Todtgeglaubten wurde von allen
französischen Militairschriftstcllern mit voller Beistimmung als besonders
charakteristisch wiederholt.*)

„Das Vorherrschen des Gefühls persönlicher Ehre bildet ehr¬
süchtige Generale, welche den Staatszweck gern bei Seite setzen, sei es zu
Gunsten einer großartigen theatralischen, sei es einer zwecklosen kleinlichen
That; es wirkt lediglich in Momenten der Aufregung und hat im Kampf¬
gewühl selbst sein einziges Wirkungsfeld. — Das Gefühl für staatliche,
Ehre jedoch, welches die Preußen beseelt, enge verwandt mit Vaterlandsliebe¬
leitet in allen Verhältnissen zur Pflichterfüllung; ihm ist der Kampf eine
Obliegenheit wie alle anderen, und die unscheinbarste Verrichtung wird in ihrer
Ausführung nicht weniger durch dasselbe beeinflußt, als die glänzendste Unter¬
nehmung."**) Diese treffende Characteristik erinnert an das Wort eines alten
französischen Generals aus der ersten Kaiserzeit, welcher oft gegen die Preußen
gefochten hatte und der da sagte: „I,s goläat ü-auhg-is se bat pour sa, gloii-s
et xour uno eioix! I^ö solclat xrussisu se da,t — xar 1a croix et son
Lörment! pour sou roi > xour 1a gloire et Is bouksur as Lg, Mi'le!" ***)
Diese feste Unterlage fehlt den Franzosen und die windige Phrase: mz
Lvrs pa-s I'Iwmwö. ^ fers ma Mi'le!" vermag sie nicht zu ersetzen. -— Diese




^ v. Meerheimb a. a. O. nach dem Journal ü'un oMvisr as I'Al-nos co Rinn, Der
Commandant David fügt jenen Worten hinzu: Von» Ich vivos 6'um sMvme 6<z rserute-
msnt 6-ins Isiiuol toutes Jos olassks 6g ig, soeivtv us ooneourent ox»,Ihm<zue. I^s, 66-
v^lleuev 6v I«. nation vomwones aus pro v«ux «im xossvcieut L'iMrauviÜLsent, nwxsunknt
Knuuvs, 6hö oll-tiAos mille-üres.
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[0187] vernichten. So begann also das Lügensystem schon vor Gambetta, und hat nicht wenig dazu beigetragen bei den immerwährenden Enttäuschungen die schon so widerspenstigen Soldaten noch mehr aufzureizen. Immer häufiger kam es vor, daß sie ihre Vorgesetzten thätlich angriffen, und namentlich für die Schlacht von Sedan ist es von vielen französischen Officieren constatirt, daß ihre Leute selbst auf sie geschossen haben. Die Jndisciplin war indessen nicht überall gleich groß. Oft zeigte sich an ihrer Stelle eine vielleicht ebenso traurige Indolenz. Der Commandant David, der bei Beaumont schwer verwundet wurde, schrieb während des Rück¬ zuges der Armee Mac Mensor's von Reims nach Sedan in sein Tagebuch: „Trotz unserer Niederlage zeigt sich keine Demoralisation bei unseren Soldaten und hätten sie Brod, so würden sie fröhlich singen. Die guten Leute fühlen nicht die Gefahr unserer Niederlage für unser Vaterland, — arme Bauern ohne Unterricht und Erziehung, in deren Herzen das Wort Baterland keine Saite erklingen läßt „l«z mot as xatris us Krit vlbror aueurw eorclö oux." Und dies Wort aus dem Tagebuche eines Todtgeglaubten wurde von allen französischen Militairschriftstcllern mit voller Beistimmung als besonders charakteristisch wiederholt.*) „Das Vorherrschen des Gefühls persönlicher Ehre bildet ehr¬ süchtige Generale, welche den Staatszweck gern bei Seite setzen, sei es zu Gunsten einer großartigen theatralischen, sei es einer zwecklosen kleinlichen That; es wirkt lediglich in Momenten der Aufregung und hat im Kampf¬ gewühl selbst sein einziges Wirkungsfeld. — Das Gefühl für staatliche, Ehre jedoch, welches die Preußen beseelt, enge verwandt mit Vaterlandsliebe¬ leitet in allen Verhältnissen zur Pflichterfüllung; ihm ist der Kampf eine Obliegenheit wie alle anderen, und die unscheinbarste Verrichtung wird in ihrer Ausführung nicht weniger durch dasselbe beeinflußt, als die glänzendste Unter¬ nehmung."**) Diese treffende Characteristik erinnert an das Wort eines alten französischen Generals aus der ersten Kaiserzeit, welcher oft gegen die Preußen gefochten hatte und der da sagte: „I,s goläat ü-auhg-is se bat pour sa, gloii-s et xour uno eioix! I^ö solclat xrussisu se da,t — xar 1a croix et son Lörment! pour sou roi > xour 1a gloire et Is bouksur as Lg, Mi'le!" ***) Diese feste Unterlage fehlt den Franzosen und die windige Phrase: mz Lvrs pa-s I'Iwmwö. ^ fers ma Mi'le!" vermag sie nicht zu ersetzen. -— Diese ^ v. Meerheimb a. a. O. nach dem Journal ü'un oMvisr as I'Al-nos co Rinn, Der Commandant David fügt jenen Worten hinzu: Von» Ich vivos 6'um sMvme 6<z rserute- msnt 6-ins Isiiuol toutes Jos olassks 6g ig, soeivtv us ooneourent ox»,Ihm<zue. I^s, 66- v^lleuev 6v I«. nation vomwones aus pro v«ux «im xossvcieut L'iMrauviÜLsent, nwxsunknt Knuuvs, 6hö oll-tiAos mille-üres. ") Bancalari a. a, O. v. Ölberg a, a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/187>, abgerufen am 22.07.2024.