Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In der Armee Napoleon's III. erscheinen viele der schlimmsten Fehler
der sinkenden Armee des ersten Napoleon in kaum veränderten Formen. Das
Mißverhältniß zwischen den Marschällen und Corpsgeneralen, die Jndis-
ciplin der Soldaten, der Mangel an Sicherheitsdienst auf dem Marsch wie
im Lager traten 1870 gerade ebenso hervor wie 1813. Die Restauration
und das Bürgerkönigthum fristeten ihr Dasein unter dem Schutze der Napo-
leon'schen Veteranen und wußten sich hierdurch vor den Anschlägen des kriegs¬
müden Europa sicher. Die Se. Cyr's, Marmont's, Soult's, Bugeaud's ze.
waren als Heerführer hinlänglich gekannt. Dagegen blieb es dem zweiten
Kaiserreich vorbehalten, seine Existenz der unter der Restaurations- und Juli-
Negierung erzogenen und großgewordenen militärischen Generation der "Afri-
cains" anzuvertrauen und seine Schlachten mit den aus dieser Schule hervor¬
gegangenen Generalen zu schlagen/) Diese kannten sich untereinander genau,
sehr viel genauer als die Welt sie kannte; sie wußten, daß sie zumeist Rou¬
tiniers seien, und einer warf dem andern Mangel an Energie und Initiative,
Abhängigkeit vom Schema und Reglement vor; keiner traute dem andern
wahre Feldherrneigenschaften zu. -- Weil die Marschälle nach alt napoleo¬
nischer Tradition ungern gehorchten und nur unter dem Kaiser stehen wollten,
so wurden nicht getrennte Armeen formirt, sondern alle 8 Corps traten direct
unter des Kaisers Befehl. Dieser aber trug durch seine Characterschwäche
nicht wenig zu den Niederlagen bei. Er, der sich zwanzig Jahre lang als
das allein verantwortliche Staatsoberhaupt benommen hatte, besaß nicht den
Muth, als oberster Kriegsherr das allerdings schwere Joch des Armee-Ober¬
commandanten nach Wörth und Spicheren auch nur vierzehn Tage lang
weiter zu tragen, sondern begab sich seiner souverainen Machtvollkommenheit
zu Gunsten seiner Marschälle, welche nach eigenem Belieben -- Einer auf
den Ruhm des Andern eifersüchtig -- ohne Plan und Uebereinstimmung
handelten und in Führung der ihnen anvertrauten Armeen die höchste Un¬
fähigkeit an den Tag legten. Selbst die Belassung Leboeuf's und Lebrun's
an der Spitze der Operationsleitung hätte, falls die Befehlsgebung in der
Person des Kaisers concentrirt geblieben wäre, niemals jene unheilvollen Fol¬
gen nach sich ziehen können, welche die Theilung der Streitkräfte und des
Kommandos in der That herbeiführte.

Wie die Armee von ihren Führern dachte, zeigen die zahlreichen bekannten
aufgefundenen Briefe von französischen Officieren.

Ein österreichischer Generalstabsofsicier^), welcher die Franzosen während
des Krieges sehr sorgfältig beobachtet hat, sagt: "Vom 6. August angefangen,




-) I, N, Die Schlacht bei Gravelotte. Wien 1871.
Bancolari: Die sronzösische Duce i. I. 1870.

In der Armee Napoleon's III. erscheinen viele der schlimmsten Fehler
der sinkenden Armee des ersten Napoleon in kaum veränderten Formen. Das
Mißverhältniß zwischen den Marschällen und Corpsgeneralen, die Jndis-
ciplin der Soldaten, der Mangel an Sicherheitsdienst auf dem Marsch wie
im Lager traten 1870 gerade ebenso hervor wie 1813. Die Restauration
und das Bürgerkönigthum fristeten ihr Dasein unter dem Schutze der Napo-
leon'schen Veteranen und wußten sich hierdurch vor den Anschlägen des kriegs¬
müden Europa sicher. Die Se. Cyr's, Marmont's, Soult's, Bugeaud's ze.
waren als Heerführer hinlänglich gekannt. Dagegen blieb es dem zweiten
Kaiserreich vorbehalten, seine Existenz der unter der Restaurations- und Juli-
Negierung erzogenen und großgewordenen militärischen Generation der „Afri-
cains" anzuvertrauen und seine Schlachten mit den aus dieser Schule hervor¬
gegangenen Generalen zu schlagen/) Diese kannten sich untereinander genau,
sehr viel genauer als die Welt sie kannte; sie wußten, daß sie zumeist Rou¬
tiniers seien, und einer warf dem andern Mangel an Energie und Initiative,
Abhängigkeit vom Schema und Reglement vor; keiner traute dem andern
wahre Feldherrneigenschaften zu. — Weil die Marschälle nach alt napoleo¬
nischer Tradition ungern gehorchten und nur unter dem Kaiser stehen wollten,
so wurden nicht getrennte Armeen formirt, sondern alle 8 Corps traten direct
unter des Kaisers Befehl. Dieser aber trug durch seine Characterschwäche
nicht wenig zu den Niederlagen bei. Er, der sich zwanzig Jahre lang als
das allein verantwortliche Staatsoberhaupt benommen hatte, besaß nicht den
Muth, als oberster Kriegsherr das allerdings schwere Joch des Armee-Ober¬
commandanten nach Wörth und Spicheren auch nur vierzehn Tage lang
weiter zu tragen, sondern begab sich seiner souverainen Machtvollkommenheit
zu Gunsten seiner Marschälle, welche nach eigenem Belieben — Einer auf
den Ruhm des Andern eifersüchtig — ohne Plan und Uebereinstimmung
handelten und in Führung der ihnen anvertrauten Armeen die höchste Un¬
fähigkeit an den Tag legten. Selbst die Belassung Leboeuf's und Lebrun's
an der Spitze der Operationsleitung hätte, falls die Befehlsgebung in der
Person des Kaisers concentrirt geblieben wäre, niemals jene unheilvollen Fol¬
gen nach sich ziehen können, welche die Theilung der Streitkräfte und des
Kommandos in der That herbeiführte.

Wie die Armee von ihren Führern dachte, zeigen die zahlreichen bekannten
aufgefundenen Briefe von französischen Officieren.

Ein österreichischer Generalstabsofsicier^), welcher die Franzosen während
des Krieges sehr sorgfältig beobachtet hat, sagt: „Vom 6. August angefangen,




-) I, N, Die Schlacht bei Gravelotte. Wien 1871.
Bancolari: Die sronzösische Duce i. I. 1870.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128638"/>
            <p xml:id="ID_531"> In der Armee Napoleon's III. erscheinen viele der schlimmsten Fehler<lb/>
der sinkenden Armee des ersten Napoleon in kaum veränderten Formen. Das<lb/>
Mißverhältniß zwischen den Marschällen und Corpsgeneralen, die Jndis-<lb/>
ciplin der Soldaten, der Mangel an Sicherheitsdienst auf dem Marsch wie<lb/>
im Lager traten 1870 gerade ebenso hervor wie 1813. Die Restauration<lb/>
und das Bürgerkönigthum fristeten ihr Dasein unter dem Schutze der Napo-<lb/>
leon'schen Veteranen und wußten sich hierdurch vor den Anschlägen des kriegs¬<lb/>
müden Europa sicher. Die Se. Cyr's, Marmont's, Soult's, Bugeaud's ze.<lb/>
waren als Heerführer hinlänglich gekannt. Dagegen blieb es dem zweiten<lb/>
Kaiserreich vorbehalten, seine Existenz der unter der Restaurations- und Juli-<lb/>
Negierung erzogenen und großgewordenen militärischen Generation der &#x201E;Afri-<lb/>
cains" anzuvertrauen und seine Schlachten mit den aus dieser Schule hervor¬<lb/>
gegangenen Generalen zu schlagen/) Diese kannten sich untereinander genau,<lb/>
sehr viel genauer als die Welt sie kannte; sie wußten, daß sie zumeist Rou¬<lb/>
tiniers seien, und einer warf dem andern Mangel an Energie und Initiative,<lb/>
Abhängigkeit vom Schema und Reglement vor; keiner traute dem andern<lb/>
wahre Feldherrneigenschaften zu. &#x2014; Weil die Marschälle nach alt napoleo¬<lb/>
nischer Tradition ungern gehorchten und nur unter dem Kaiser stehen wollten,<lb/>
so wurden nicht getrennte Armeen formirt, sondern alle 8 Corps traten direct<lb/>
unter des Kaisers Befehl. Dieser aber trug durch seine Characterschwäche<lb/>
nicht wenig zu den Niederlagen bei. Er, der sich zwanzig Jahre lang als<lb/>
das allein verantwortliche Staatsoberhaupt benommen hatte, besaß nicht den<lb/>
Muth, als oberster Kriegsherr das allerdings schwere Joch des Armee-Ober¬<lb/>
commandanten nach Wörth und Spicheren auch nur vierzehn Tage lang<lb/>
weiter zu tragen, sondern begab sich seiner souverainen Machtvollkommenheit<lb/>
zu Gunsten seiner Marschälle, welche nach eigenem Belieben &#x2014; Einer auf<lb/>
den Ruhm des Andern eifersüchtig &#x2014; ohne Plan und Uebereinstimmung<lb/>
handelten und in Führung der ihnen anvertrauten Armeen die höchste Un¬<lb/>
fähigkeit an den Tag legten. Selbst die Belassung Leboeuf's und Lebrun's<lb/>
an der Spitze der Operationsleitung hätte, falls die Befehlsgebung in der<lb/>
Person des Kaisers concentrirt geblieben wäre, niemals jene unheilvollen Fol¬<lb/>
gen nach sich ziehen können, welche die Theilung der Streitkräfte und des<lb/>
Kommandos in der That herbeiführte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_532"> Wie die Armee von ihren Führern dachte, zeigen die zahlreichen bekannten<lb/>
aufgefundenen Briefe von französischen Officieren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_533" next="#ID_534"> Ein österreichischer Generalstabsofsicier^), welcher die Franzosen während<lb/>
des Krieges sehr sorgfältig beobachtet hat, sagt: &#x201E;Vom 6. August angefangen,</p><lb/>
            <note xml:id="FID_102" place="foot"> -) I, N, Die Schlacht bei Gravelotte.  Wien 1871.</note><lb/>
            <note xml:id="FID_103" place="foot"> Bancolari: Die sronzösische Duce i. I. 1870.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0184] In der Armee Napoleon's III. erscheinen viele der schlimmsten Fehler der sinkenden Armee des ersten Napoleon in kaum veränderten Formen. Das Mißverhältniß zwischen den Marschällen und Corpsgeneralen, die Jndis- ciplin der Soldaten, der Mangel an Sicherheitsdienst auf dem Marsch wie im Lager traten 1870 gerade ebenso hervor wie 1813. Die Restauration und das Bürgerkönigthum fristeten ihr Dasein unter dem Schutze der Napo- leon'schen Veteranen und wußten sich hierdurch vor den Anschlägen des kriegs¬ müden Europa sicher. Die Se. Cyr's, Marmont's, Soult's, Bugeaud's ze. waren als Heerführer hinlänglich gekannt. Dagegen blieb es dem zweiten Kaiserreich vorbehalten, seine Existenz der unter der Restaurations- und Juli- Negierung erzogenen und großgewordenen militärischen Generation der „Afri- cains" anzuvertrauen und seine Schlachten mit den aus dieser Schule hervor¬ gegangenen Generalen zu schlagen/) Diese kannten sich untereinander genau, sehr viel genauer als die Welt sie kannte; sie wußten, daß sie zumeist Rou¬ tiniers seien, und einer warf dem andern Mangel an Energie und Initiative, Abhängigkeit vom Schema und Reglement vor; keiner traute dem andern wahre Feldherrneigenschaften zu. — Weil die Marschälle nach alt napoleo¬ nischer Tradition ungern gehorchten und nur unter dem Kaiser stehen wollten, so wurden nicht getrennte Armeen formirt, sondern alle 8 Corps traten direct unter des Kaisers Befehl. Dieser aber trug durch seine Characterschwäche nicht wenig zu den Niederlagen bei. Er, der sich zwanzig Jahre lang als das allein verantwortliche Staatsoberhaupt benommen hatte, besaß nicht den Muth, als oberster Kriegsherr das allerdings schwere Joch des Armee-Ober¬ commandanten nach Wörth und Spicheren auch nur vierzehn Tage lang weiter zu tragen, sondern begab sich seiner souverainen Machtvollkommenheit zu Gunsten seiner Marschälle, welche nach eigenem Belieben — Einer auf den Ruhm des Andern eifersüchtig — ohne Plan und Uebereinstimmung handelten und in Führung der ihnen anvertrauten Armeen die höchste Un¬ fähigkeit an den Tag legten. Selbst die Belassung Leboeuf's und Lebrun's an der Spitze der Operationsleitung hätte, falls die Befehlsgebung in der Person des Kaisers concentrirt geblieben wäre, niemals jene unheilvollen Fol¬ gen nach sich ziehen können, welche die Theilung der Streitkräfte und des Kommandos in der That herbeiführte. Wie die Armee von ihren Führern dachte, zeigen die zahlreichen bekannten aufgefundenen Briefe von französischen Officieren. Ein österreichischer Generalstabsofsicier^), welcher die Franzosen während des Krieges sehr sorgfältig beobachtet hat, sagt: „Vom 6. August angefangen, -) I, N, Die Schlacht bei Gravelotte. Wien 1871. Bancolari: Die sronzösische Duce i. I. 1870.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/184
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/184>, abgerufen am 22.07.2024.