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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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thörichte Weisheit erklären. Er ist nicht blos ein heftiger Fürsprecher der
Schutzzölle, sondern zeigt sich auch völlig unfähig, den Werth von Thatsachen
und Beweisgründen, welche sich auf den Gegenstand beziehen, richtig zu be¬
urtheilen. Allerdings kann er die ein für alle Mal angenommenen Behaup¬
tungen seiner Partei mit Genauigkeit und in flüssiger Rede wiederholen.
Aber er gestattet, daß man ihn dahin versteht, seine Feindschaft gegen den
Freihandel habe ihre letzte Ursache in dem Nothstande, von dem er Zeuge
war und der ihn mitbetraf, als das plötzliche Einströmen englischer Waaren,
nach dem Kriege von 1812, die heimischen Fabrikanten vom Markte vertrieb.
Als ob es, um diesem vorübergehenden Nothstand abzuhelfen, der Billigkeit
und Gerechtigkeit entsprochen hätte, eine ewige Steuer zu Gunsten der Spin¬
ner, die sich in Newhampshire noch der alten Kunkel, und der Weber, die
sich des großväterlichen Handwebstuhls bedienten, auf jede amerikanische Fa¬
milie zu legen.

Und dabei ist Greeley so unzugänglich für Gründe, so blind gegen Be¬
trachtungen, die auf der Hand liegen, daß er behauptet und dabei bleibt, daß
einmal und zwar beträchtliche Zeit hindurch englische Fabrikerzeugnisse in
den Vereinigten Staaten unter dem Kostenpreise verkauft worden seien, nicht
aus Nothwendigkeit und wegen Ueberfüllung des Marktes, sondern um das
Aufblühen der amerikanischen Manufacturen zu vernichten. Als ob Kauf¬
leute und Fabrikanten sich einen schweren, unmittelbaren und persönlichen
Verlust blos um der Aussicht willen auf einen zukünftigen Vortheil und Ge¬
winn auszusetzen Lust haben könnten, einen Gewinn, den ihnen überdieß ihre
Concurrenten daheim sofort streitig machen würden.

Wäre Greeley selbst Kaufmann oder Fabrikant, so sagt "Saturday Re-
view", dem wir den größeren Theil dieser Betrachtung entnehmen, so würde
sein in der Praxis gewonnenes Wissen ihn vor einer solchen abgeschmackten
Behauptung bewahrt haben. Aber er besitzt eben nicht die allgemeine Bil¬
dung, die ihn in den Stand setzen würde, ohne jene practische Erfahrung die
Unmöglichkeit von so etwas zu entdecken. Seine theoretischen Argumente,
sein allgemeines Raisonnement werden durch diesen äußersten Mangel an
einem weiten Gesichtskreise, durch jenes Haschen nach Grundsätzen, die nur
eine gründliche Ausbildung an die Hand geben kann, verdorben. Aber wenn
er über Dinge schreibt, die er gesehen und gefühlt hat, wenn er aus Erfah¬
rung spricht, so befähigt ihn sein gesunder Menschenverstand fast immer,
den Wust von Vorurtheilen und Irrthümern, die er eingesogen, bei Seite zu
kehren und sein Bericht ist dann im Allgemeinen der Art, daß man ihm ver¬
trauen und aus ihm Nutzen ziehen kann. Der Leser findet in diesen Er¬
innerungen nicht nur ein klares Bild des Mannes selbst, der sie niederschrieb,
sondern auch viele höchst lehrreiche Skizzen des amerikanischen Lebens, wie es


thörichte Weisheit erklären. Er ist nicht blos ein heftiger Fürsprecher der
Schutzzölle, sondern zeigt sich auch völlig unfähig, den Werth von Thatsachen
und Beweisgründen, welche sich auf den Gegenstand beziehen, richtig zu be¬
urtheilen. Allerdings kann er die ein für alle Mal angenommenen Behaup¬
tungen seiner Partei mit Genauigkeit und in flüssiger Rede wiederholen.
Aber er gestattet, daß man ihn dahin versteht, seine Feindschaft gegen den
Freihandel habe ihre letzte Ursache in dem Nothstande, von dem er Zeuge
war und der ihn mitbetraf, als das plötzliche Einströmen englischer Waaren,
nach dem Kriege von 1812, die heimischen Fabrikanten vom Markte vertrieb.
Als ob es, um diesem vorübergehenden Nothstand abzuhelfen, der Billigkeit
und Gerechtigkeit entsprochen hätte, eine ewige Steuer zu Gunsten der Spin¬
ner, die sich in Newhampshire noch der alten Kunkel, und der Weber, die
sich des großväterlichen Handwebstuhls bedienten, auf jede amerikanische Fa¬
milie zu legen.

Und dabei ist Greeley so unzugänglich für Gründe, so blind gegen Be¬
trachtungen, die auf der Hand liegen, daß er behauptet und dabei bleibt, daß
einmal und zwar beträchtliche Zeit hindurch englische Fabrikerzeugnisse in
den Vereinigten Staaten unter dem Kostenpreise verkauft worden seien, nicht
aus Nothwendigkeit und wegen Ueberfüllung des Marktes, sondern um das
Aufblühen der amerikanischen Manufacturen zu vernichten. Als ob Kauf¬
leute und Fabrikanten sich einen schweren, unmittelbaren und persönlichen
Verlust blos um der Aussicht willen auf einen zukünftigen Vortheil und Ge¬
winn auszusetzen Lust haben könnten, einen Gewinn, den ihnen überdieß ihre
Concurrenten daheim sofort streitig machen würden.

Wäre Greeley selbst Kaufmann oder Fabrikant, so sagt „Saturday Re-
view", dem wir den größeren Theil dieser Betrachtung entnehmen, so würde
sein in der Praxis gewonnenes Wissen ihn vor einer solchen abgeschmackten
Behauptung bewahrt haben. Aber er besitzt eben nicht die allgemeine Bil¬
dung, die ihn in den Stand setzen würde, ohne jene practische Erfahrung die
Unmöglichkeit von so etwas zu entdecken. Seine theoretischen Argumente,
sein allgemeines Raisonnement werden durch diesen äußersten Mangel an
einem weiten Gesichtskreise, durch jenes Haschen nach Grundsätzen, die nur
eine gründliche Ausbildung an die Hand geben kann, verdorben. Aber wenn
er über Dinge schreibt, die er gesehen und gefühlt hat, wenn er aus Erfah¬
rung spricht, so befähigt ihn sein gesunder Menschenverstand fast immer,
den Wust von Vorurtheilen und Irrthümern, die er eingesogen, bei Seite zu
kehren und sein Bericht ist dann im Allgemeinen der Art, daß man ihm ver¬
trauen und aus ihm Nutzen ziehen kann. Der Leser findet in diesen Er¬
innerungen nicht nur ein klares Bild des Mannes selbst, der sie niederschrieb,
sondern auch viele höchst lehrreiche Skizzen des amerikanischen Lebens, wie es


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[0175] thörichte Weisheit erklären. Er ist nicht blos ein heftiger Fürsprecher der Schutzzölle, sondern zeigt sich auch völlig unfähig, den Werth von Thatsachen und Beweisgründen, welche sich auf den Gegenstand beziehen, richtig zu be¬ urtheilen. Allerdings kann er die ein für alle Mal angenommenen Behaup¬ tungen seiner Partei mit Genauigkeit und in flüssiger Rede wiederholen. Aber er gestattet, daß man ihn dahin versteht, seine Feindschaft gegen den Freihandel habe ihre letzte Ursache in dem Nothstande, von dem er Zeuge war und der ihn mitbetraf, als das plötzliche Einströmen englischer Waaren, nach dem Kriege von 1812, die heimischen Fabrikanten vom Markte vertrieb. Als ob es, um diesem vorübergehenden Nothstand abzuhelfen, der Billigkeit und Gerechtigkeit entsprochen hätte, eine ewige Steuer zu Gunsten der Spin¬ ner, die sich in Newhampshire noch der alten Kunkel, und der Weber, die sich des großväterlichen Handwebstuhls bedienten, auf jede amerikanische Fa¬ milie zu legen. Und dabei ist Greeley so unzugänglich für Gründe, so blind gegen Be¬ trachtungen, die auf der Hand liegen, daß er behauptet und dabei bleibt, daß einmal und zwar beträchtliche Zeit hindurch englische Fabrikerzeugnisse in den Vereinigten Staaten unter dem Kostenpreise verkauft worden seien, nicht aus Nothwendigkeit und wegen Ueberfüllung des Marktes, sondern um das Aufblühen der amerikanischen Manufacturen zu vernichten. Als ob Kauf¬ leute und Fabrikanten sich einen schweren, unmittelbaren und persönlichen Verlust blos um der Aussicht willen auf einen zukünftigen Vortheil und Ge¬ winn auszusetzen Lust haben könnten, einen Gewinn, den ihnen überdieß ihre Concurrenten daheim sofort streitig machen würden. Wäre Greeley selbst Kaufmann oder Fabrikant, so sagt „Saturday Re- view", dem wir den größeren Theil dieser Betrachtung entnehmen, so würde sein in der Praxis gewonnenes Wissen ihn vor einer solchen abgeschmackten Behauptung bewahrt haben. Aber er besitzt eben nicht die allgemeine Bil¬ dung, die ihn in den Stand setzen würde, ohne jene practische Erfahrung die Unmöglichkeit von so etwas zu entdecken. Seine theoretischen Argumente, sein allgemeines Raisonnement werden durch diesen äußersten Mangel an einem weiten Gesichtskreise, durch jenes Haschen nach Grundsätzen, die nur eine gründliche Ausbildung an die Hand geben kann, verdorben. Aber wenn er über Dinge schreibt, die er gesehen und gefühlt hat, wenn er aus Erfah¬ rung spricht, so befähigt ihn sein gesunder Menschenverstand fast immer, den Wust von Vorurtheilen und Irrthümern, die er eingesogen, bei Seite zu kehren und sein Bericht ist dann im Allgemeinen der Art, daß man ihm ver¬ trauen und aus ihm Nutzen ziehen kann. Der Leser findet in diesen Er¬ innerungen nicht nur ein klares Bild des Mannes selbst, der sie niederschrieb, sondern auch viele höchst lehrreiche Skizzen des amerikanischen Lebens, wie es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/175>, abgerufen am 22.07.2024.