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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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geprägten Persönlichkeit in einem Lande zufällt, wo Standesrechte nicht
eristiren.

Greeley begann sein Leben als Sohn eines kleinen Farmers in New-
hampshire, der rasch in die noch niedrigere Stellung eines Tagelöhners herab¬
sank. Er ging noch als Knabe in die Welt hinaus und wurde der Drucker¬
junge bei einem Blättchen auf dem Lande, dann Setzer. > Nach jahrelanger
harter Arbeit am Setzkasten und gleich harter, aber wenig besser bezahlter
Arbeit in der Redaction von Parteijournalen und Flugblättern für Wahl¬
campagnen, gründete er endlich die "Newyork Tribune", die sich langsam zu
einem mächtigen Organ seiner Partei und zu einem werthvollen Besitzthum
emporschwang. Er ist ein Mann, der viel gelesen, aber doch immer nur die
Bildung eines Autodidacten hat, von einfachen, um nicht zu sagen, unge¬
hobelten Manieren, simplem Geschmack, ein Sonderling in Tracht und Ge-
bahren, kurz, in seiner Erscheinung, seinen Gewohnheiten, seinen Ideen, nach
seiner Denkart und seinen Borurtheilen einem Bauer von Vermont oder
Ohio so ähnlich, als der Herausgeber eines angesehenen Newyorker Journals
irgend sein kann. Er besitzt ein gutes Theil von dem Ton und Tact des
Farmers und bemüht sich, noch mehr davon an den Tag zu legen. Er spricht
in ihrem trockenen Humor, liebt es, gerade herauszusagen, was er auf dem
Herzen hat, wie sie, verschmäht Spitzfindigkeiten und gesuchte Ausdrücke und
feine Wendungen wie sie. Seine Borliebe für die Landwirthschaft und das
Landleben wird von der bäuerlichen Bevölkerung, die er in der "Tribune"
mit Fleiß und Geschick über die neuesten Entdeckungen und Verbesserungen
auf ihrem Gebiet belehrt, als ein weiterer Beweis für seine einfache Art
und seine Ähnlichkeit mit ihnen betrachtet. Kurz, weil er kein Mann von
feiner Bildung und Sitte ist und sich bemüht, dies noch mehr zu scheinen,
weil er keine ausgebreiteten Kenntnisse, keine politische Gelehrsamkeit besitzt,
hält jene Klasse der amerikanischen Bevölkerung ihn für geeigneter als einen
"Gentleman", einen Gelehrten und Staatsmann wie Adams, den die Partei
Schurz's in Cincinnati nominirt haben wollte, vom Volke der Union zum
Präsidenten derselben erwählt zu werden. Das Ideal eines Bauern soll, so
wollen es die souveränen Bauern, die Politik einer der ersten Nationen der
Welt leiten.

Wenn nun Greeley's Memoiren unsere Meinung von der Tauglichkeit
desselben für die Bekleidung der höchsten Stelle unter den Staatsmännern
Amerikas nicht günstig gestalten, so stellen sie doch seinen persönlichen Cha-
racter vielfach in ein freundliches und angenehm wirkendes Licht. Wir be¬
gegnen hier strenger Moralität ohne irgendwelche Spur von Heuchelei und
Schroffheit, eifrigem, fast leidenschaftlichem Ernst in der Erfassung der Tages¬
fragen, der aber völlig frei von Hohn und Bosheit ist, strammen Festhalten


geprägten Persönlichkeit in einem Lande zufällt, wo Standesrechte nicht
eristiren.

Greeley begann sein Leben als Sohn eines kleinen Farmers in New-
hampshire, der rasch in die noch niedrigere Stellung eines Tagelöhners herab¬
sank. Er ging noch als Knabe in die Welt hinaus und wurde der Drucker¬
junge bei einem Blättchen auf dem Lande, dann Setzer. > Nach jahrelanger
harter Arbeit am Setzkasten und gleich harter, aber wenig besser bezahlter
Arbeit in der Redaction von Parteijournalen und Flugblättern für Wahl¬
campagnen, gründete er endlich die „Newyork Tribune", die sich langsam zu
einem mächtigen Organ seiner Partei und zu einem werthvollen Besitzthum
emporschwang. Er ist ein Mann, der viel gelesen, aber doch immer nur die
Bildung eines Autodidacten hat, von einfachen, um nicht zu sagen, unge¬
hobelten Manieren, simplem Geschmack, ein Sonderling in Tracht und Ge-
bahren, kurz, in seiner Erscheinung, seinen Gewohnheiten, seinen Ideen, nach
seiner Denkart und seinen Borurtheilen einem Bauer von Vermont oder
Ohio so ähnlich, als der Herausgeber eines angesehenen Newyorker Journals
irgend sein kann. Er besitzt ein gutes Theil von dem Ton und Tact des
Farmers und bemüht sich, noch mehr davon an den Tag zu legen. Er spricht
in ihrem trockenen Humor, liebt es, gerade herauszusagen, was er auf dem
Herzen hat, wie sie, verschmäht Spitzfindigkeiten und gesuchte Ausdrücke und
feine Wendungen wie sie. Seine Borliebe für die Landwirthschaft und das
Landleben wird von der bäuerlichen Bevölkerung, die er in der „Tribune"
mit Fleiß und Geschick über die neuesten Entdeckungen und Verbesserungen
auf ihrem Gebiet belehrt, als ein weiterer Beweis für seine einfache Art
und seine Ähnlichkeit mit ihnen betrachtet. Kurz, weil er kein Mann von
feiner Bildung und Sitte ist und sich bemüht, dies noch mehr zu scheinen,
weil er keine ausgebreiteten Kenntnisse, keine politische Gelehrsamkeit besitzt,
hält jene Klasse der amerikanischen Bevölkerung ihn für geeigneter als einen
„Gentleman", einen Gelehrten und Staatsmann wie Adams, den die Partei
Schurz's in Cincinnati nominirt haben wollte, vom Volke der Union zum
Präsidenten derselben erwählt zu werden. Das Ideal eines Bauern soll, so
wollen es die souveränen Bauern, die Politik einer der ersten Nationen der
Welt leiten.

Wenn nun Greeley's Memoiren unsere Meinung von der Tauglichkeit
desselben für die Bekleidung der höchsten Stelle unter den Staatsmännern
Amerikas nicht günstig gestalten, so stellen sie doch seinen persönlichen Cha-
racter vielfach in ein freundliches und angenehm wirkendes Licht. Wir be¬
gegnen hier strenger Moralität ohne irgendwelche Spur von Heuchelei und
Schroffheit, eifrigem, fast leidenschaftlichem Ernst in der Erfassung der Tages¬
fragen, der aber völlig frei von Hohn und Bosheit ist, strammen Festhalten


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[0173] geprägten Persönlichkeit in einem Lande zufällt, wo Standesrechte nicht eristiren. Greeley begann sein Leben als Sohn eines kleinen Farmers in New- hampshire, der rasch in die noch niedrigere Stellung eines Tagelöhners herab¬ sank. Er ging noch als Knabe in die Welt hinaus und wurde der Drucker¬ junge bei einem Blättchen auf dem Lande, dann Setzer. > Nach jahrelanger harter Arbeit am Setzkasten und gleich harter, aber wenig besser bezahlter Arbeit in der Redaction von Parteijournalen und Flugblättern für Wahl¬ campagnen, gründete er endlich die „Newyork Tribune", die sich langsam zu einem mächtigen Organ seiner Partei und zu einem werthvollen Besitzthum emporschwang. Er ist ein Mann, der viel gelesen, aber doch immer nur die Bildung eines Autodidacten hat, von einfachen, um nicht zu sagen, unge¬ hobelten Manieren, simplem Geschmack, ein Sonderling in Tracht und Ge- bahren, kurz, in seiner Erscheinung, seinen Gewohnheiten, seinen Ideen, nach seiner Denkart und seinen Borurtheilen einem Bauer von Vermont oder Ohio so ähnlich, als der Herausgeber eines angesehenen Newyorker Journals irgend sein kann. Er besitzt ein gutes Theil von dem Ton und Tact des Farmers und bemüht sich, noch mehr davon an den Tag zu legen. Er spricht in ihrem trockenen Humor, liebt es, gerade herauszusagen, was er auf dem Herzen hat, wie sie, verschmäht Spitzfindigkeiten und gesuchte Ausdrücke und feine Wendungen wie sie. Seine Borliebe für die Landwirthschaft und das Landleben wird von der bäuerlichen Bevölkerung, die er in der „Tribune" mit Fleiß und Geschick über die neuesten Entdeckungen und Verbesserungen auf ihrem Gebiet belehrt, als ein weiterer Beweis für seine einfache Art und seine Ähnlichkeit mit ihnen betrachtet. Kurz, weil er kein Mann von feiner Bildung und Sitte ist und sich bemüht, dies noch mehr zu scheinen, weil er keine ausgebreiteten Kenntnisse, keine politische Gelehrsamkeit besitzt, hält jene Klasse der amerikanischen Bevölkerung ihn für geeigneter als einen „Gentleman", einen Gelehrten und Staatsmann wie Adams, den die Partei Schurz's in Cincinnati nominirt haben wollte, vom Volke der Union zum Präsidenten derselben erwählt zu werden. Das Ideal eines Bauern soll, so wollen es die souveränen Bauern, die Politik einer der ersten Nationen der Welt leiten. Wenn nun Greeley's Memoiren unsere Meinung von der Tauglichkeit desselben für die Bekleidung der höchsten Stelle unter den Staatsmännern Amerikas nicht günstig gestalten, so stellen sie doch seinen persönlichen Cha- racter vielfach in ein freundliches und angenehm wirkendes Licht. Wir be¬ gegnen hier strenger Moralität ohne irgendwelche Spur von Heuchelei und Schroffheit, eifrigem, fast leidenschaftlichem Ernst in der Erfassung der Tages¬ fragen, der aber völlig frei von Hohn und Bosheit ist, strammen Festhalten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/173>, abgerufen am 22.07.2024.