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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Natürlich Entledigte sich das Mädchen dieser Bürde vor ihrem Pfarrer.
Ebenso natürlich ist, daß dieser ihr den Rath gab, die Höhle von Massavielle
wieder aufzusuchen und zu sehen, ob ihr die leuchtende Dame wieder erscheine.
Bernadette that, wie ihr geheißen, und die Dame kam richtig wieder. Nicht
weniger als achtzehn Mal sah das Mädchen das himmlische Bild und in der
letzten Zeit hatte es auch die Herablassung, mit der kleinen armen Hirtin zu
sprechen. Noch aber wußte diese nicht, mit wem sie sich unterhalten durfte.
"Da endlich, am 25. März, sagte Bernadette auf Anweisung ihres geistlichen
Führers zu der Erscheinung- Madame, wollen Sie mich wohl wissen lassen,
wer Sie sind? Da erhob die lichte Gestalt ihren Blick von dem Kinde,
breitete ihre Arme aus und sprach, indem sie Heller wie je vorher strahlte
und das Auge in die Glorie des Himmels versenkte: Ich bin die unbe¬
fleckte Empfängniß! worauf sie verschwand. Bernadette eilte zu ihrem
Pfarrer und berichtete ihm mit großer Freude, was der Name der leuchten¬
den Frau in der Höhle am Gave sei. Da ging dem Pfarrer und da ging
dem christlichen Volke ein Licht auf. Man begriff, man erkannte. Es war
die heilige Jungfrau, die Mutter Gottes, welche in eigener Person gekommen
war, um das Dogma zu bestätigen, welches der heilige Vater der Christen¬
heit vier Jahre vorher verkündigt hatte."

Natürlich machte die Sache großen Lärm. Es gab viele Gläubige; aber
auch Ungläubige, welche sich nicht scheuten, Bernadetten verfängliche Fragen
zu stellen, bei denen sie sich in Widersprüche verwickelte. Die Geistlichkeit
sorgte daher, daß sie aus der Gegend wegkam, und jetzt befindet sie sich in
einem Kloster bei Nevers. Der Bischof von Tarbes aber setzte eine Com¬
mission nieder, um die Angelegenheit zu untersuchen, und das Ergebniß war,
daß dieser Prälat am 18. Januar 1862 ein "Mandement" erließ, in welchem
er die Geschichte für wahr und die Erscheinung in der Grotte von Massa¬
vielle für echt erklärte, "zumal das Wunder dadurch bezeugt und bekräftigt
worden, daß es andere Wunder im Gefolge gehabt." Ob der würdige Herr
wohl selbst an seine Worte glaubt? Jedenfalls glaubt er, daß man in
Sachen der Religion auch dem neunzehnten Jahrhundert noch starke Dinge
zumuthen kann und dieser Glaube ist leider kein Aberglaube, wenn man auch
keineswegs annehmen darf, die Massen, welche seitdem nach Lourdes gewall-
fahrtet sind, seien allesammt von dem dort geschehenen Wunder überzeugt,
vielmehr hervorgehoben werden muß, daß die Politik namentlich an dem
jetzigen Aufschwung der Pilgerfahrten weit mehr Antheil hat, als die Reli¬
gion, und daß "unsere liebe Frau von Lourdes" für die Unternehmer jener
Fahrten nicht sowohl die Unbefleckt-Empfangene, als die Patronin Alt-Frank¬
reichs, die Patronin des mit den? Ultramontanismus verbündeten Legitimis-
mus ist.


Natürlich Entledigte sich das Mädchen dieser Bürde vor ihrem Pfarrer.
Ebenso natürlich ist, daß dieser ihr den Rath gab, die Höhle von Massavielle
wieder aufzusuchen und zu sehen, ob ihr die leuchtende Dame wieder erscheine.
Bernadette that, wie ihr geheißen, und die Dame kam richtig wieder. Nicht
weniger als achtzehn Mal sah das Mädchen das himmlische Bild und in der
letzten Zeit hatte es auch die Herablassung, mit der kleinen armen Hirtin zu
sprechen. Noch aber wußte diese nicht, mit wem sie sich unterhalten durfte.
„Da endlich, am 25. März, sagte Bernadette auf Anweisung ihres geistlichen
Führers zu der Erscheinung- Madame, wollen Sie mich wohl wissen lassen,
wer Sie sind? Da erhob die lichte Gestalt ihren Blick von dem Kinde,
breitete ihre Arme aus und sprach, indem sie Heller wie je vorher strahlte
und das Auge in die Glorie des Himmels versenkte: Ich bin die unbe¬
fleckte Empfängniß! worauf sie verschwand. Bernadette eilte zu ihrem
Pfarrer und berichtete ihm mit großer Freude, was der Name der leuchten¬
den Frau in der Höhle am Gave sei. Da ging dem Pfarrer und da ging
dem christlichen Volke ein Licht auf. Man begriff, man erkannte. Es war
die heilige Jungfrau, die Mutter Gottes, welche in eigener Person gekommen
war, um das Dogma zu bestätigen, welches der heilige Vater der Christen¬
heit vier Jahre vorher verkündigt hatte."

Natürlich machte die Sache großen Lärm. Es gab viele Gläubige; aber
auch Ungläubige, welche sich nicht scheuten, Bernadetten verfängliche Fragen
zu stellen, bei denen sie sich in Widersprüche verwickelte. Die Geistlichkeit
sorgte daher, daß sie aus der Gegend wegkam, und jetzt befindet sie sich in
einem Kloster bei Nevers. Der Bischof von Tarbes aber setzte eine Com¬
mission nieder, um die Angelegenheit zu untersuchen, und das Ergebniß war,
daß dieser Prälat am 18. Januar 1862 ein „Mandement" erließ, in welchem
er die Geschichte für wahr und die Erscheinung in der Grotte von Massa¬
vielle für echt erklärte, „zumal das Wunder dadurch bezeugt und bekräftigt
worden, daß es andere Wunder im Gefolge gehabt." Ob der würdige Herr
wohl selbst an seine Worte glaubt? Jedenfalls glaubt er, daß man in
Sachen der Religion auch dem neunzehnten Jahrhundert noch starke Dinge
zumuthen kann und dieser Glaube ist leider kein Aberglaube, wenn man auch
keineswegs annehmen darf, die Massen, welche seitdem nach Lourdes gewall-
fahrtet sind, seien allesammt von dem dort geschehenen Wunder überzeugt,
vielmehr hervorgehoben werden muß, daß die Politik namentlich an dem
jetzigen Aufschwung der Pilgerfahrten weit mehr Antheil hat, als die Reli¬
gion, und daß „unsere liebe Frau von Lourdes" für die Unternehmer jener
Fahrten nicht sowohl die Unbefleckt-Empfangene, als die Patronin Alt-Frank¬
reichs, die Patronin des mit den? Ultramontanismus verbündeten Legitimis-
mus ist.


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[0167] Natürlich Entledigte sich das Mädchen dieser Bürde vor ihrem Pfarrer. Ebenso natürlich ist, daß dieser ihr den Rath gab, die Höhle von Massavielle wieder aufzusuchen und zu sehen, ob ihr die leuchtende Dame wieder erscheine. Bernadette that, wie ihr geheißen, und die Dame kam richtig wieder. Nicht weniger als achtzehn Mal sah das Mädchen das himmlische Bild und in der letzten Zeit hatte es auch die Herablassung, mit der kleinen armen Hirtin zu sprechen. Noch aber wußte diese nicht, mit wem sie sich unterhalten durfte. „Da endlich, am 25. März, sagte Bernadette auf Anweisung ihres geistlichen Führers zu der Erscheinung- Madame, wollen Sie mich wohl wissen lassen, wer Sie sind? Da erhob die lichte Gestalt ihren Blick von dem Kinde, breitete ihre Arme aus und sprach, indem sie Heller wie je vorher strahlte und das Auge in die Glorie des Himmels versenkte: Ich bin die unbe¬ fleckte Empfängniß! worauf sie verschwand. Bernadette eilte zu ihrem Pfarrer und berichtete ihm mit großer Freude, was der Name der leuchten¬ den Frau in der Höhle am Gave sei. Da ging dem Pfarrer und da ging dem christlichen Volke ein Licht auf. Man begriff, man erkannte. Es war die heilige Jungfrau, die Mutter Gottes, welche in eigener Person gekommen war, um das Dogma zu bestätigen, welches der heilige Vater der Christen¬ heit vier Jahre vorher verkündigt hatte." Natürlich machte die Sache großen Lärm. Es gab viele Gläubige; aber auch Ungläubige, welche sich nicht scheuten, Bernadetten verfängliche Fragen zu stellen, bei denen sie sich in Widersprüche verwickelte. Die Geistlichkeit sorgte daher, daß sie aus der Gegend wegkam, und jetzt befindet sie sich in einem Kloster bei Nevers. Der Bischof von Tarbes aber setzte eine Com¬ mission nieder, um die Angelegenheit zu untersuchen, und das Ergebniß war, daß dieser Prälat am 18. Januar 1862 ein „Mandement" erließ, in welchem er die Geschichte für wahr und die Erscheinung in der Grotte von Massa¬ vielle für echt erklärte, „zumal das Wunder dadurch bezeugt und bekräftigt worden, daß es andere Wunder im Gefolge gehabt." Ob der würdige Herr wohl selbst an seine Worte glaubt? Jedenfalls glaubt er, daß man in Sachen der Religion auch dem neunzehnten Jahrhundert noch starke Dinge zumuthen kann und dieser Glaube ist leider kein Aberglaube, wenn man auch keineswegs annehmen darf, die Massen, welche seitdem nach Lourdes gewall- fahrtet sind, seien allesammt von dem dort geschehenen Wunder überzeugt, vielmehr hervorgehoben werden muß, daß die Politik namentlich an dem jetzigen Aufschwung der Pilgerfahrten weit mehr Antheil hat, als die Reli¬ gion, und daß „unsere liebe Frau von Lourdes" für die Unternehmer jener Fahrten nicht sowohl die Unbefleckt-Empfangene, als die Patronin Alt-Frank¬ reichs, die Patronin des mit den? Ultramontanismus verbündeten Legitimis- mus ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/167>, abgerufen am 02.07.2024.