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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wirrung zurück. Offenbar ist die Stadt im schützenden Schatten dieses Boll¬
werks erbaut worden und zwar will man die Entstehung der ersten Häuser
derselben bis ins zehnte Jahrhundert zurückverlegen.

Das Wunder, welches gegenwärtig Heere von frommen Pilgern hier¬
herführt, begab sich nach den mir vorliegenden "Annales de Lourdes", einem
beiläufig recht abgeschmackten Jesuitenmachwerk, im Jahre 1868 und gehört
in den Kreis der jetzt wieder stark blühenden Marialegenden. 18S4 war in
Rom das neue Dogma von der unbefleckten Empfängniß der Mutter Gottes,
d. h. die Lehre, daß sie ohne Zuthun eines Mannes, also auf übernatürliche
Weise, vom heiligen Geiste empfangen habe, definirt und proclamirt wor¬
den. Dasselbe fand keinen rechten Anklang in Frankreich, obwohl es die
Leib- und Lieblingslehre Pius des Neunten war. Selbst Starkgläubige ver¬
hielten sich kühl und vorsichtig dagegen, und so sah man sich genöthigt, ihm
mit einem Wunder unter die Arme zu greifen. Der Pfarrer von Lourdes
hatte die Gefälligkeit, dasselbe mit Hülfe eines blödsinnigen Mädchens von
vierzehn Jahren in Scene zu setzen. Ein Amtsbruder, der Curs von Bartres,
secundirte ihm dabei, indem er Bernadette Soubirous, so hieß die Blödsinnige,
von ihrer Kuhheerde hinweg nach Lourdes schickte, damit sie sich dort vom
Pfarrer auf ihre erste Communion vorbereiten lasse. Was ihr dabei einge¬
lernt worden ist, mag man aus den "Annalen" schließen, die ungefähr Fol¬
gendes berichten:

Am 11. Februar 1838 befanden sich drei Kinder von Lourdes, darunter
Bernadette, an den Ufern der Gave beim Reißersammeln. Nicht fern von
der Stadt, bei der Höhle von Massavielle, fanden sie reichlich, was sie suchten.
Die beiden andern lasen sich ein Bündel zusammen und gingen dann heim.
Bernadette Soubirous aber folgte ihnen mit leeren Händen. Sie hatte nichts
gesammelt. "Wohl aber trug sie Werthvolleres an ihren armen bescheidenen
Heerd." Während ihre Gefährtinnen lachend und sich neckend in der Höhle
umhergesprungen waren, hatte sie eine himmlische Erscheinung gehabt. In
die Grotte eintretend, hatte sie plötzlich ein Geräusch wie das Brausen eines
Sturmwindes vernommen und dann "in einer Oeffnung der Felsen über sich
wie in der Bleiumfasfung, welche die heilige Jungfrau auf Fenstern mit
gothischer Glasmalerei umgibt, eine Dame erblickt, die sie mit mildem Lächeln
anschaute. Diese Dame war von wundersamer Schönheit und strahlte von
Lichtglanz. Das kleine Mädchen zitterte wie vor einem Zauber. Lange be¬
trachtete es die Erscheinung, dann betete es, indem es instinctmäßig merkte,
daß sie vom Himmel stammte, inbrünstig seinen Rosenkranz ab. Nachdem
die Vision endlich verflossen, ging Bernadette nach Hause, auf ihrem Herzen
eine schwere, aber süße Last, ihr Geheimniß, jenes hinreißend holde Bild,
welches sie mit unruhigem Bangen, mit Sehnsucht und Wonne erfüllte."


wirrung zurück. Offenbar ist die Stadt im schützenden Schatten dieses Boll¬
werks erbaut worden und zwar will man die Entstehung der ersten Häuser
derselben bis ins zehnte Jahrhundert zurückverlegen.

Das Wunder, welches gegenwärtig Heere von frommen Pilgern hier¬
herführt, begab sich nach den mir vorliegenden „Annales de Lourdes", einem
beiläufig recht abgeschmackten Jesuitenmachwerk, im Jahre 1868 und gehört
in den Kreis der jetzt wieder stark blühenden Marialegenden. 18S4 war in
Rom das neue Dogma von der unbefleckten Empfängniß der Mutter Gottes,
d. h. die Lehre, daß sie ohne Zuthun eines Mannes, also auf übernatürliche
Weise, vom heiligen Geiste empfangen habe, definirt und proclamirt wor¬
den. Dasselbe fand keinen rechten Anklang in Frankreich, obwohl es die
Leib- und Lieblingslehre Pius des Neunten war. Selbst Starkgläubige ver¬
hielten sich kühl und vorsichtig dagegen, und so sah man sich genöthigt, ihm
mit einem Wunder unter die Arme zu greifen. Der Pfarrer von Lourdes
hatte die Gefälligkeit, dasselbe mit Hülfe eines blödsinnigen Mädchens von
vierzehn Jahren in Scene zu setzen. Ein Amtsbruder, der Curs von Bartres,
secundirte ihm dabei, indem er Bernadette Soubirous, so hieß die Blödsinnige,
von ihrer Kuhheerde hinweg nach Lourdes schickte, damit sie sich dort vom
Pfarrer auf ihre erste Communion vorbereiten lasse. Was ihr dabei einge¬
lernt worden ist, mag man aus den „Annalen" schließen, die ungefähr Fol¬
gendes berichten:

Am 11. Februar 1838 befanden sich drei Kinder von Lourdes, darunter
Bernadette, an den Ufern der Gave beim Reißersammeln. Nicht fern von
der Stadt, bei der Höhle von Massavielle, fanden sie reichlich, was sie suchten.
Die beiden andern lasen sich ein Bündel zusammen und gingen dann heim.
Bernadette Soubirous aber folgte ihnen mit leeren Händen. Sie hatte nichts
gesammelt. „Wohl aber trug sie Werthvolleres an ihren armen bescheidenen
Heerd." Während ihre Gefährtinnen lachend und sich neckend in der Höhle
umhergesprungen waren, hatte sie eine himmlische Erscheinung gehabt. In
die Grotte eintretend, hatte sie plötzlich ein Geräusch wie das Brausen eines
Sturmwindes vernommen und dann „in einer Oeffnung der Felsen über sich
wie in der Bleiumfasfung, welche die heilige Jungfrau auf Fenstern mit
gothischer Glasmalerei umgibt, eine Dame erblickt, die sie mit mildem Lächeln
anschaute. Diese Dame war von wundersamer Schönheit und strahlte von
Lichtglanz. Das kleine Mädchen zitterte wie vor einem Zauber. Lange be¬
trachtete es die Erscheinung, dann betete es, indem es instinctmäßig merkte,
daß sie vom Himmel stammte, inbrünstig seinen Rosenkranz ab. Nachdem
die Vision endlich verflossen, ging Bernadette nach Hause, auf ihrem Herzen
eine schwere, aber süße Last, ihr Geheimniß, jenes hinreißend holde Bild,
welches sie mit unruhigem Bangen, mit Sehnsucht und Wonne erfüllte."


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[0166] wirrung zurück. Offenbar ist die Stadt im schützenden Schatten dieses Boll¬ werks erbaut worden und zwar will man die Entstehung der ersten Häuser derselben bis ins zehnte Jahrhundert zurückverlegen. Das Wunder, welches gegenwärtig Heere von frommen Pilgern hier¬ herführt, begab sich nach den mir vorliegenden „Annales de Lourdes", einem beiläufig recht abgeschmackten Jesuitenmachwerk, im Jahre 1868 und gehört in den Kreis der jetzt wieder stark blühenden Marialegenden. 18S4 war in Rom das neue Dogma von der unbefleckten Empfängniß der Mutter Gottes, d. h. die Lehre, daß sie ohne Zuthun eines Mannes, also auf übernatürliche Weise, vom heiligen Geiste empfangen habe, definirt und proclamirt wor¬ den. Dasselbe fand keinen rechten Anklang in Frankreich, obwohl es die Leib- und Lieblingslehre Pius des Neunten war. Selbst Starkgläubige ver¬ hielten sich kühl und vorsichtig dagegen, und so sah man sich genöthigt, ihm mit einem Wunder unter die Arme zu greifen. Der Pfarrer von Lourdes hatte die Gefälligkeit, dasselbe mit Hülfe eines blödsinnigen Mädchens von vierzehn Jahren in Scene zu setzen. Ein Amtsbruder, der Curs von Bartres, secundirte ihm dabei, indem er Bernadette Soubirous, so hieß die Blödsinnige, von ihrer Kuhheerde hinweg nach Lourdes schickte, damit sie sich dort vom Pfarrer auf ihre erste Communion vorbereiten lasse. Was ihr dabei einge¬ lernt worden ist, mag man aus den „Annalen" schließen, die ungefähr Fol¬ gendes berichten: Am 11. Februar 1838 befanden sich drei Kinder von Lourdes, darunter Bernadette, an den Ufern der Gave beim Reißersammeln. Nicht fern von der Stadt, bei der Höhle von Massavielle, fanden sie reichlich, was sie suchten. Die beiden andern lasen sich ein Bündel zusammen und gingen dann heim. Bernadette Soubirous aber folgte ihnen mit leeren Händen. Sie hatte nichts gesammelt. „Wohl aber trug sie Werthvolleres an ihren armen bescheidenen Heerd." Während ihre Gefährtinnen lachend und sich neckend in der Höhle umhergesprungen waren, hatte sie eine himmlische Erscheinung gehabt. In die Grotte eintretend, hatte sie plötzlich ein Geräusch wie das Brausen eines Sturmwindes vernommen und dann „in einer Oeffnung der Felsen über sich wie in der Bleiumfasfung, welche die heilige Jungfrau auf Fenstern mit gothischer Glasmalerei umgibt, eine Dame erblickt, die sie mit mildem Lächeln anschaute. Diese Dame war von wundersamer Schönheit und strahlte von Lichtglanz. Das kleine Mädchen zitterte wie vor einem Zauber. Lange be¬ trachtete es die Erscheinung, dann betete es, indem es instinctmäßig merkte, daß sie vom Himmel stammte, inbrünstig seinen Rosenkranz ab. Nachdem die Vision endlich verflossen, ging Bernadette nach Hause, auf ihrem Herzen eine schwere, aber süße Last, ihr Geheimniß, jenes hinreißend holde Bild, welches sie mit unruhigem Bangen, mit Sehnsucht und Wonne erfüllte."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/166>, abgerufen am 30.06.2024.