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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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liebes und geistig belebendes Ferment öffentlicher Discussionen erwiesen; allein
die Herren Gelehrten haben sich überzeugt, daß sie der practischen Lebens¬
erfahrungen und der Ergänzung und Berührung mit anderen Lebensberufen
dringend bedürfen. Die vorgeschlagenen Resolutionen, welche stark nach der
Studirlampe rochen und englische Erfahrungen unvermittelt und unverdaut
auf deutsche Verhältnisse übertragen wollten, machten einen fremdartigen Ein¬
druck und stießen auf verdienten Widerspruch. Die Uebereinstimmung betraf
eigentlich nur den principiellen Punkt, daß man den Staat als wichtiges
Organ neben und resp, über dem Verkehrsleben anerkennen müsse, was man
auch von Seiten der enragirtesten Freihändler, so viel wir wissen, nie ernst¬
lich in Abrede gestellt hat. Es handelt sich nur um Regel oder Ausnahme.
Die meisten deutschen Volkswirthe haben bisher die Freiheit der Bewegung
und Concurrenz und die Selbstthätigkeit von Individuen und freien Ge¬
nossenschaften als Regel betrachtet und für jede Ausnahme und staatliche
Schranke den Beweis der Nothwendigkeit gefordert. Man möge in Zukunft
sich über das Maß dieser Ausnahmen und staatlichen Bevormundung und
Beglückung in friedlicher Discussion verständigen und sich nicht wieder in
künstliche Gegensätze hineinarbeiten.

Die Eisenacher Conferenz hat den unbestreitbaren Nutzen gehabt, daß
die gelehrten Nationalökonomen hoffentlich nun lebhafteren Antheil an der
Aufklärung des Volkes über wirthschaftliche Fragen nehmen und sich nicht
schämen werden, dabei auch selbst noch etwas hinzuzulernen. Ueber das
Ziel, daß wir in und mit dem Staate Alle glücklich werden wollen, sind
wir Alle einig; aber in Betreff des Weges müssen wir uns verständigen und
bei den Wegen, welche nach Rom führen oder von der Gesetzgebung einge¬
schlagen werden sollen, geht die Schwierigkeit an. Dabei müssen wir vor
Allem bedenken, daß wir nicht über eine Schablone glücklich werden können,
sondern der Verschiedenheit der menschlichen Naturen und ihren Schwächen
ebenso Rechnung tragen müssen, als der UnVollkommenheit des Staates. --

Die sociale Conferenz und der volkswirtschaftliche Congreß mögen im¬
merhin noch einige Jahre unvermittelt neben einander stehen und sich scharf
kritisiren. Das wird beiden Organen gutthun; denn auch der volkswirthschaft-
liche Congreß bedarf der Aufrüttelung und des Zuzugs frischer Kräfte, da¬
mit er nicht glaube, auf früheren Lorbeeren ausruhen zu können und etwa
im nächsten Jahre in Wien sein OaMg, finde. Er muß mehr arbeiten als
auf den letzten Congressen und sollte sich die Herren in Eisenach zum Muster
nehmen, welche bis tief in die Nacht hinein discutirt haben. Den Eisenachern
aber möge die Kritik, welche sie herausgefordert haben, auch gut bekommen.
Sie mögen bedenken, daß die wissenschaftliche Wahrheit keiner Namen und
Autoritäten und Parteien und auch keines Wohlwollens einer Regierung be-


liebes und geistig belebendes Ferment öffentlicher Discussionen erwiesen; allein
die Herren Gelehrten haben sich überzeugt, daß sie der practischen Lebens¬
erfahrungen und der Ergänzung und Berührung mit anderen Lebensberufen
dringend bedürfen. Die vorgeschlagenen Resolutionen, welche stark nach der
Studirlampe rochen und englische Erfahrungen unvermittelt und unverdaut
auf deutsche Verhältnisse übertragen wollten, machten einen fremdartigen Ein¬
druck und stießen auf verdienten Widerspruch. Die Uebereinstimmung betraf
eigentlich nur den principiellen Punkt, daß man den Staat als wichtiges
Organ neben und resp, über dem Verkehrsleben anerkennen müsse, was man
auch von Seiten der enragirtesten Freihändler, so viel wir wissen, nie ernst¬
lich in Abrede gestellt hat. Es handelt sich nur um Regel oder Ausnahme.
Die meisten deutschen Volkswirthe haben bisher die Freiheit der Bewegung
und Concurrenz und die Selbstthätigkeit von Individuen und freien Ge¬
nossenschaften als Regel betrachtet und für jede Ausnahme und staatliche
Schranke den Beweis der Nothwendigkeit gefordert. Man möge in Zukunft
sich über das Maß dieser Ausnahmen und staatlichen Bevormundung und
Beglückung in friedlicher Discussion verständigen und sich nicht wieder in
künstliche Gegensätze hineinarbeiten.

Die Eisenacher Conferenz hat den unbestreitbaren Nutzen gehabt, daß
die gelehrten Nationalökonomen hoffentlich nun lebhafteren Antheil an der
Aufklärung des Volkes über wirthschaftliche Fragen nehmen und sich nicht
schämen werden, dabei auch selbst noch etwas hinzuzulernen. Ueber das
Ziel, daß wir in und mit dem Staate Alle glücklich werden wollen, sind
wir Alle einig; aber in Betreff des Weges müssen wir uns verständigen und
bei den Wegen, welche nach Rom führen oder von der Gesetzgebung einge¬
schlagen werden sollen, geht die Schwierigkeit an. Dabei müssen wir vor
Allem bedenken, daß wir nicht über eine Schablone glücklich werden können,
sondern der Verschiedenheit der menschlichen Naturen und ihren Schwächen
ebenso Rechnung tragen müssen, als der UnVollkommenheit des Staates. —

Die sociale Conferenz und der volkswirtschaftliche Congreß mögen im¬
merhin noch einige Jahre unvermittelt neben einander stehen und sich scharf
kritisiren. Das wird beiden Organen gutthun; denn auch der volkswirthschaft-
liche Congreß bedarf der Aufrüttelung und des Zuzugs frischer Kräfte, da¬
mit er nicht glaube, auf früheren Lorbeeren ausruhen zu können und etwa
im nächsten Jahre in Wien sein OaMg, finde. Er muß mehr arbeiten als
auf den letzten Congressen und sollte sich die Herren in Eisenach zum Muster
nehmen, welche bis tief in die Nacht hinein discutirt haben. Den Eisenachern
aber möge die Kritik, welche sie herausgefordert haben, auch gut bekommen.
Sie mögen bedenken, daß die wissenschaftliche Wahrheit keiner Namen und
Autoritäten und Parteien und auch keines Wohlwollens einer Regierung be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/164>, abgerufen am 30.06.2024.