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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Neue fest und lieferten Garibaldi das Gefecht von Mendana, bei welchem
zum ersten Male die Chassepots ihre "Wunder thaten".

Als im gesetzgebenden Körper am 19. Dezember 1867 die Debatten über
das Wehrgesetz wieder aufgenommen wurden, regnete es Amendements. Mehr
als hundert wurden eingebracht, und der größte Theil von ihnen ging auch
durch. Gleich in einer der ersten Sitzungen wurde von der äußersten Linken
die allgemeine Wehrpflicht verlangt, und Marschall Niet nahm diesen
Gedanken auf, freilich aber nur, um ihn für Frankreich zu verwerfen. "In
Preußen sei dies Gesetz allerdings den französischen Revolutionsheeren nach¬
geahmt und zu einer gewaltigen Kriegsmaschine gebildet worden; diese Wehr¬
verfassung sei aber die drückendste der Welt und werde in dieser Ausdehnung
auch schwerlich lange beibehalten.werden können. Die Bedingungen, unter denen
Preußen seine Wehrkraft organisirt habe, seien in Frankreich nicht vorhanden;
wenn man hier die allgemeine Volksbewaffnung einführen wolle, so müsse
man gleichzeitig auf "den militärischen Geist und die Disciplin verzichten".
Wie dürfe man es aber dann wagen, mit solchen Massen eines Tages gegen
eine Nation zu marschiren, welche von langer Hand her geschickt organisirt
sei und in welcher der militärische Geist in einem Grade herrsche, wie Frank¬
reich ihn nie erreichen werde!" -- -- Die Organisation, welche er, der
Minister, vorschlage, genüge, um Frankreich vor einem Angriffe zu schützen;
durch sie werde der Friede gesichert werden.

Wurde aber die allgemeine Dienstpflicht nicht eingeführt, so wurde
doch die Exoneration verworfen, Stellvertretung und Num¬
mertausch für den Heeresdienst dagegen beibehalten. In diesem
Punkte gingen die Beschlüsse des gesetzgebenden Körpers also über Niet's
Borlage hinaus. Besondere Bedeutung hatte ferner ein Antrag, welcher statt
neunjähriger nur achtjährige Dienstzeit und für den Dienstpflichtigen das Recht
verlangte, sich nach Ablauf der ersten sechs Jahre zu verheirathen. Rouher
rechnete der Deputation vor, daß durch Annahme dieses Vorschlages der pro-
jectirten Landarmee 60,000, der Marine 24,000 Mann entzogen würden und
somit die Effectivstärke auch nach Erlaß des neuen Gesetzes nicht viel bedeu¬
tender sein würde als bisher. So wurde denn in der Sitzung vom 27. De¬
zember der Antrag auf achtjährige Dienstzeit mit 177 gegen 81 Stimmen
verworfen, und die neunjährige Dienstzeit, die Hauptbestimmung des
Entwurfs, angenommen. Dagegen wurde folgenden Tags die zweite Hälfte
des Amendements, welcher das Heirathen nach sechsjähriger Dienst¬
zeit betraf, mit 237 gegen 11 Stimmen votirt, obwohl Niet den Antrag
lebhaft bekämpfte. -- Für die Mobilgarde wurde in der Sitzung vom
2. Januar 1868 die Stellvertretung verworfen, eine demokratische
Maßregel, mit welcher sich die Oppositionsblätter sehr einverstanden erklärten;


Neue fest und lieferten Garibaldi das Gefecht von Mendana, bei welchem
zum ersten Male die Chassepots ihre „Wunder thaten".

Als im gesetzgebenden Körper am 19. Dezember 1867 die Debatten über
das Wehrgesetz wieder aufgenommen wurden, regnete es Amendements. Mehr
als hundert wurden eingebracht, und der größte Theil von ihnen ging auch
durch. Gleich in einer der ersten Sitzungen wurde von der äußersten Linken
die allgemeine Wehrpflicht verlangt, und Marschall Niet nahm diesen
Gedanken auf, freilich aber nur, um ihn für Frankreich zu verwerfen. „In
Preußen sei dies Gesetz allerdings den französischen Revolutionsheeren nach¬
geahmt und zu einer gewaltigen Kriegsmaschine gebildet worden; diese Wehr¬
verfassung sei aber die drückendste der Welt und werde in dieser Ausdehnung
auch schwerlich lange beibehalten.werden können. Die Bedingungen, unter denen
Preußen seine Wehrkraft organisirt habe, seien in Frankreich nicht vorhanden;
wenn man hier die allgemeine Volksbewaffnung einführen wolle, so müsse
man gleichzeitig auf „den militärischen Geist und die Disciplin verzichten".
Wie dürfe man es aber dann wagen, mit solchen Massen eines Tages gegen
eine Nation zu marschiren, welche von langer Hand her geschickt organisirt
sei und in welcher der militärische Geist in einem Grade herrsche, wie Frank¬
reich ihn nie erreichen werde!" — — Die Organisation, welche er, der
Minister, vorschlage, genüge, um Frankreich vor einem Angriffe zu schützen;
durch sie werde der Friede gesichert werden.

Wurde aber die allgemeine Dienstpflicht nicht eingeführt, so wurde
doch die Exoneration verworfen, Stellvertretung und Num¬
mertausch für den Heeresdienst dagegen beibehalten. In diesem
Punkte gingen die Beschlüsse des gesetzgebenden Körpers also über Niet's
Borlage hinaus. Besondere Bedeutung hatte ferner ein Antrag, welcher statt
neunjähriger nur achtjährige Dienstzeit und für den Dienstpflichtigen das Recht
verlangte, sich nach Ablauf der ersten sechs Jahre zu verheirathen. Rouher
rechnete der Deputation vor, daß durch Annahme dieses Vorschlages der pro-
jectirten Landarmee 60,000, der Marine 24,000 Mann entzogen würden und
somit die Effectivstärke auch nach Erlaß des neuen Gesetzes nicht viel bedeu¬
tender sein würde als bisher. So wurde denn in der Sitzung vom 27. De¬
zember der Antrag auf achtjährige Dienstzeit mit 177 gegen 81 Stimmen
verworfen, und die neunjährige Dienstzeit, die Hauptbestimmung des
Entwurfs, angenommen. Dagegen wurde folgenden Tags die zweite Hälfte
des Amendements, welcher das Heirathen nach sechsjähriger Dienst¬
zeit betraf, mit 237 gegen 11 Stimmen votirt, obwohl Niet den Antrag
lebhaft bekämpfte. — Für die Mobilgarde wurde in der Sitzung vom
2. Januar 1868 die Stellvertretung verworfen, eine demokratische
Maßregel, mit welcher sich die Oppositionsblätter sehr einverstanden erklärten;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/147>, abgerufen am 22.07.2024.