Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

faltige Ausbildung der Specialwaffen. -- Bemerkenswerth ist es, daß sich
unter all den bedeutenderen Stimmen keine einzige zu Gunsten der
allgemeinen Wehrpflicht ausspricht.

Einen besonders acuten Character und brennende Schärfe erhielt jede
Discusston über die Armee durch das drohende Kriegsgewitter, das sich mit
der Luxemburger Frage am politischen Himmel aufthürmte. Zum 30. April
wurden alle Offiziere und Unteroffiziere, welche sich in Urlaub befanden, zu
den Fahnen berufen und die Presse erging sich in Wuthausbrüchen gegen
Preußen, welche alle leidenschaftliche Jnstincte der gallischen Nation auf das
Gewaltsamste erregten. Unter solchen Eindrücken bildeten sich in den Ost-
nnd Nord-Departements von Frankreich Freischützen-Compagnien
(8vel6t6s ä<zö ^ranotiieuis), welche militärisch organisirt, mit Präcisionswaffen
ausgerüstet und uniformirt, regelmäßige Waffenübungen hielten. Allein das
Departement der Vosges zählte 10 solcher Compagnien, "simplos et ma-reales".
Auch in Aisne, Meurthe, Mosel, Ober- und Nieder-Rhein bestanden deren.
In dieser Erscheinung begrüßte die Regierung, freilich irrthümlich, eine Zu¬
stimmungserklärung zu dem Niet'schen Project der Mobilgarde und bemühte
sich in der Folge eifrig, durch die Saräe modils jene Franctireurs dem stehenden
Heere zuzuführen. Es geschah das ausgesprochenermaßen ganz besonders auch
zu dem Zweck, die Franctireurs im Fall einer Invasion als Soldaten ver¬
wenden und legitimiren zu können, während sie andernfalls als Rebellen
oder Insurgenten behandelt werden konnten. *) Diese Bemühungen der Re¬
gierung stießen jedoch auf sehr lebhaften Widerstand seitens der Franctireurs;
sie wünschten ihre volle Unabhängigkeit zu erhalten und durch kein Gesetz be¬
schränkt zu werden. Die Bewegung kam vor der unerwünschten Einmischung
des Gouvernements zu völligem Stillstande, und die Folge dieses Verhaltens
war die spätere, fast rechtlose Stellung der Franctireurs im Kriege 1870/71,
als sie ohne Verbindung, ohne Konsequenz, mit allen Mängeln unreifer
Schöpfungen behaftet, zu den Waffen griffen.

Das luxemburgische Gewitter ging zu Frankreichs großem Glück unschäd¬
lich vorüber. Wenn man bedenkt, wie sein Heer im Jahre 1870 mit dem
Chassepotgewehr die Kriegsprobe bestanden hat, so kann man sich ungefähr
denken, wie es ihm 1867 ohne Hinterladungsgewehr gegangen wäre! --
Ein kleines, wenn auch freilich sehr unzureichendes Ventil wurde der Kriegs¬
lust indessen durch die Expedition nach Rom geöffnet. Hier hatten die
Franzosen durch die Legion von Antibes, welche Niet ausdrücklich für einen
integrirenden Theil der französischen Armee erklärte, schon längere Zeit wieder
Fuß gefaßt; im Oetober 1867 setzten sie sich auch unter eigner Fahne aufs



") Vevgl. I^s Nivi'L Lorvez?: Des kartisaos et ach voiPs irröxulisrs.

faltige Ausbildung der Specialwaffen. — Bemerkenswerth ist es, daß sich
unter all den bedeutenderen Stimmen keine einzige zu Gunsten der
allgemeinen Wehrpflicht ausspricht.

Einen besonders acuten Character und brennende Schärfe erhielt jede
Discusston über die Armee durch das drohende Kriegsgewitter, das sich mit
der Luxemburger Frage am politischen Himmel aufthürmte. Zum 30. April
wurden alle Offiziere und Unteroffiziere, welche sich in Urlaub befanden, zu
den Fahnen berufen und die Presse erging sich in Wuthausbrüchen gegen
Preußen, welche alle leidenschaftliche Jnstincte der gallischen Nation auf das
Gewaltsamste erregten. Unter solchen Eindrücken bildeten sich in den Ost-
nnd Nord-Departements von Frankreich Freischützen-Compagnien
(8vel6t6s ä<zö ^ranotiieuis), welche militärisch organisirt, mit Präcisionswaffen
ausgerüstet und uniformirt, regelmäßige Waffenübungen hielten. Allein das
Departement der Vosges zählte 10 solcher Compagnien, „simplos et ma-reales".
Auch in Aisne, Meurthe, Mosel, Ober- und Nieder-Rhein bestanden deren.
In dieser Erscheinung begrüßte die Regierung, freilich irrthümlich, eine Zu¬
stimmungserklärung zu dem Niet'schen Project der Mobilgarde und bemühte
sich in der Folge eifrig, durch die Saräe modils jene Franctireurs dem stehenden
Heere zuzuführen. Es geschah das ausgesprochenermaßen ganz besonders auch
zu dem Zweck, die Franctireurs im Fall einer Invasion als Soldaten ver¬
wenden und legitimiren zu können, während sie andernfalls als Rebellen
oder Insurgenten behandelt werden konnten. *) Diese Bemühungen der Re¬
gierung stießen jedoch auf sehr lebhaften Widerstand seitens der Franctireurs;
sie wünschten ihre volle Unabhängigkeit zu erhalten und durch kein Gesetz be¬
schränkt zu werden. Die Bewegung kam vor der unerwünschten Einmischung
des Gouvernements zu völligem Stillstande, und die Folge dieses Verhaltens
war die spätere, fast rechtlose Stellung der Franctireurs im Kriege 1870/71,
als sie ohne Verbindung, ohne Konsequenz, mit allen Mängeln unreifer
Schöpfungen behaftet, zu den Waffen griffen.

Das luxemburgische Gewitter ging zu Frankreichs großem Glück unschäd¬
lich vorüber. Wenn man bedenkt, wie sein Heer im Jahre 1870 mit dem
Chassepotgewehr die Kriegsprobe bestanden hat, so kann man sich ungefähr
denken, wie es ihm 1867 ohne Hinterladungsgewehr gegangen wäre! —
Ein kleines, wenn auch freilich sehr unzureichendes Ventil wurde der Kriegs¬
lust indessen durch die Expedition nach Rom geöffnet. Hier hatten die
Franzosen durch die Legion von Antibes, welche Niet ausdrücklich für einen
integrirenden Theil der französischen Armee erklärte, schon längere Zeit wieder
Fuß gefaßt; im Oetober 1867 setzten sie sich auch unter eigner Fahne aufs



") Vevgl. I^s Nivi'L Lorvez?: Des kartisaos et ach voiPs irröxulisrs.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128600"/>
            <p xml:id="ID_395" prev="#ID_394"> faltige Ausbildung der Specialwaffen. &#x2014; Bemerkenswerth ist es, daß sich<lb/>
unter all den bedeutenderen Stimmen keine einzige zu Gunsten der<lb/>
allgemeinen Wehrpflicht ausspricht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_396"> Einen besonders acuten Character und brennende Schärfe erhielt jede<lb/>
Discusston über die Armee durch das drohende Kriegsgewitter, das sich mit<lb/>
der Luxemburger Frage am politischen Himmel aufthürmte. Zum 30. April<lb/>
wurden alle Offiziere und Unteroffiziere, welche sich in Urlaub befanden, zu<lb/>
den Fahnen berufen und die Presse erging sich in Wuthausbrüchen gegen<lb/>
Preußen, welche alle leidenschaftliche Jnstincte der gallischen Nation auf das<lb/>
Gewaltsamste erregten. Unter solchen Eindrücken bildeten sich in den Ost-<lb/>
nnd Nord-Departements von Frankreich Freischützen-Compagnien<lb/>
(8vel6t6s ä&lt;zö ^ranotiieuis), welche militärisch organisirt, mit Präcisionswaffen<lb/>
ausgerüstet und uniformirt, regelmäßige Waffenübungen hielten. Allein das<lb/>
Departement der Vosges zählte 10 solcher Compagnien, &#x201E;simplos et ma-reales".<lb/>
Auch in Aisne, Meurthe, Mosel, Ober- und Nieder-Rhein bestanden deren.<lb/>
In dieser Erscheinung begrüßte die Regierung, freilich irrthümlich, eine Zu¬<lb/>
stimmungserklärung zu dem Niet'schen Project der Mobilgarde und bemühte<lb/>
sich in der Folge eifrig, durch die Saräe modils jene Franctireurs dem stehenden<lb/>
Heere zuzuführen. Es geschah das ausgesprochenermaßen ganz besonders auch<lb/>
zu dem Zweck, die Franctireurs im Fall einer Invasion als Soldaten ver¬<lb/>
wenden und legitimiren zu können, während sie andernfalls als Rebellen<lb/>
oder Insurgenten behandelt werden konnten. *) Diese Bemühungen der Re¬<lb/>
gierung stießen jedoch auf sehr lebhaften Widerstand seitens der Franctireurs;<lb/>
sie wünschten ihre volle Unabhängigkeit zu erhalten und durch kein Gesetz be¬<lb/>
schränkt zu werden. Die Bewegung kam vor der unerwünschten Einmischung<lb/>
des Gouvernements zu völligem Stillstande, und die Folge dieses Verhaltens<lb/>
war die spätere, fast rechtlose Stellung der Franctireurs im Kriege 1870/71,<lb/>
als sie ohne Verbindung, ohne Konsequenz, mit allen Mängeln unreifer<lb/>
Schöpfungen behaftet, zu den Waffen griffen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_397" next="#ID_398"> Das luxemburgische Gewitter ging zu Frankreichs großem Glück unschäd¬<lb/>
lich vorüber. Wenn man bedenkt, wie sein Heer im Jahre 1870 mit dem<lb/>
Chassepotgewehr die Kriegsprobe bestanden hat, so kann man sich ungefähr<lb/>
denken, wie es ihm 1867 ohne Hinterladungsgewehr gegangen wäre! &#x2014;<lb/>
Ein kleines, wenn auch freilich sehr unzureichendes Ventil wurde der Kriegs¬<lb/>
lust indessen durch die Expedition nach Rom geöffnet. Hier hatten die<lb/>
Franzosen durch die Legion von Antibes, welche Niet ausdrücklich für einen<lb/>
integrirenden Theil der französischen Armee erklärte, schon längere Zeit wieder<lb/>
Fuß gefaßt; im Oetober 1867 setzten sie sich auch unter eigner Fahne aufs</p><lb/>
            <note xml:id="FID_72" place="foot"> ") Vevgl. I^s Nivi'L   Lorvez?: Des kartisaos et ach voiPs irröxulisrs.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] faltige Ausbildung der Specialwaffen. — Bemerkenswerth ist es, daß sich unter all den bedeutenderen Stimmen keine einzige zu Gunsten der allgemeinen Wehrpflicht ausspricht. Einen besonders acuten Character und brennende Schärfe erhielt jede Discusston über die Armee durch das drohende Kriegsgewitter, das sich mit der Luxemburger Frage am politischen Himmel aufthürmte. Zum 30. April wurden alle Offiziere und Unteroffiziere, welche sich in Urlaub befanden, zu den Fahnen berufen und die Presse erging sich in Wuthausbrüchen gegen Preußen, welche alle leidenschaftliche Jnstincte der gallischen Nation auf das Gewaltsamste erregten. Unter solchen Eindrücken bildeten sich in den Ost- nnd Nord-Departements von Frankreich Freischützen-Compagnien (8vel6t6s ä<zö ^ranotiieuis), welche militärisch organisirt, mit Präcisionswaffen ausgerüstet und uniformirt, regelmäßige Waffenübungen hielten. Allein das Departement der Vosges zählte 10 solcher Compagnien, „simplos et ma-reales". Auch in Aisne, Meurthe, Mosel, Ober- und Nieder-Rhein bestanden deren. In dieser Erscheinung begrüßte die Regierung, freilich irrthümlich, eine Zu¬ stimmungserklärung zu dem Niet'schen Project der Mobilgarde und bemühte sich in der Folge eifrig, durch die Saräe modils jene Franctireurs dem stehenden Heere zuzuführen. Es geschah das ausgesprochenermaßen ganz besonders auch zu dem Zweck, die Franctireurs im Fall einer Invasion als Soldaten ver¬ wenden und legitimiren zu können, während sie andernfalls als Rebellen oder Insurgenten behandelt werden konnten. *) Diese Bemühungen der Re¬ gierung stießen jedoch auf sehr lebhaften Widerstand seitens der Franctireurs; sie wünschten ihre volle Unabhängigkeit zu erhalten und durch kein Gesetz be¬ schränkt zu werden. Die Bewegung kam vor der unerwünschten Einmischung des Gouvernements zu völligem Stillstande, und die Folge dieses Verhaltens war die spätere, fast rechtlose Stellung der Franctireurs im Kriege 1870/71, als sie ohne Verbindung, ohne Konsequenz, mit allen Mängeln unreifer Schöpfungen behaftet, zu den Waffen griffen. Das luxemburgische Gewitter ging zu Frankreichs großem Glück unschäd¬ lich vorüber. Wenn man bedenkt, wie sein Heer im Jahre 1870 mit dem Chassepotgewehr die Kriegsprobe bestanden hat, so kann man sich ungefähr denken, wie es ihm 1867 ohne Hinterladungsgewehr gegangen wäre! — Ein kleines, wenn auch freilich sehr unzureichendes Ventil wurde der Kriegs¬ lust indessen durch die Expedition nach Rom geöffnet. Hier hatten die Franzosen durch die Legion von Antibes, welche Niet ausdrücklich für einen integrirenden Theil der französischen Armee erklärte, schon längere Zeit wieder Fuß gefaßt; im Oetober 1867 setzten sie sich auch unter eigner Fahne aufs ") Vevgl. I^s Nivi'L Lorvez?: Des kartisaos et ach voiPs irröxulisrs.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/146>, abgerufen am 22.07.2024.