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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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weint, ein Mann wie er sei vielleicht zum Propheten, nicht aber zum thätig
eingreifenden Staatsmann geeignet; Präsident einer königlichen Commission
für Kirche und öffentlichen Unterricht möchte er werden, ohne selbst die Ad¬
ministration in die Hand zu nehmen. Wir nennen dies ein charakteristisches
Zeugniß seiner Selbsterkenntniß- über allgemeine Gesichtspunkte verfügte er
in reicher Fülle, theoretische Einsicht in die Verhältnisse von Kirche und
Schule und Staat besaß er, zur Anregung von Reformen und Reformplänen
war er bereit und eifrig. Das Detail der Praxis, die Abwickelung der Ge¬
schäfte war nicht seine Sache. An Ausdauer fehlte es ihm dafür, an Geschick
der Verwaltung. Wir müssen sagen, überall wo wir ihn als praktischen
Staatsmann einer praktischen Aufgabe gegenüber sehen, fühlen wir uns ge¬
neigt, diese Worte der Selbstcharacteristik zu wiederholen.

Im Frühling 1841 wurde Bunsen aus der Schweiz abberufen. In
Berlin wurde er bei der Entwirrung des kirchlichen Conflicts zu Rathe ge¬
zogen. Der König selbst wünschte ihm eine Gelegenheit zu Erfolg in der
Welt zu geben; er schickte ihn nach England, dort das Bisthum Jerusalem
durchzusetzen. Wir haben hier über dies seltsame Projekt und Unternehmen
des preußischen Königs nichts Neues zu sagen: daß dies Experiment mit den
allgemeinen Ideen der Beiden, .die es betrieben, über Kirchenverfassung in
innerem ideellen Zusammenhange gestanden, ist uns allerdings wahrschein¬
lich. Ueber Reform der Kirchenverfassung war schon seit mehreren Jahren
zwischen beiden verhandelt, ohne daß zur Ausführung der Reformgedanken
ein Schritt geschah. Doch wurde im Zusammenhang gerade mit diesen Ge¬
danken noch zu wiederholten Malen an Bunsen's Fixirung in Berlin gedacht.
Wohl äußerte Bunsen noch oft, seinem eigentlichen Wunsche entspreche es,
aus den Geschäften auszuscheiden und seinen wissenschaftlichen Arbeiten auf
irgend einem Landgute allein zu leben, jedoch erscheint dem aufmerksamen
Leser seiner damaligen Aufzeichnungen dies als eine vorübergehende Selbst¬
täuschung, der er sich allerdings noch zu verschiedenen Zeiten hingeben konnte.
Selbst die Wittwe urtheilt (II. 193), auf die Dauer würde Bunsen das
Landleben nicht ertragen haben; der Verkehr der Geister, der Streit der
Meinungen war das Lebenselement für ihn. Und damals war doch sein
Ehrgeiz darauf gerichtet, das, was er in London angebahnt, auch weiter zu
entwickeln -- ein näheres Verhältniß Preußens zu England, welches sofort
eine selbständigere Haltung gegenüber dem bisher dominirenden Einflüsse
von Oesterreich und Nußland zur Folge haben mußte -- ja eigentlich sollte
ihm der Londoner Posten auch nur "die Brücke ins Vaterland" sein. Das
Ministerium des öffentlichen Unterrichts, eine leitende Stellung bei der Person
des königlichen Freundes -- daß er darauf hinzielte, geht aus vielen gleichsam
gelegentlich hingeworfenen vertraulichen Aeußerungen hervor. Daß die


weint, ein Mann wie er sei vielleicht zum Propheten, nicht aber zum thätig
eingreifenden Staatsmann geeignet; Präsident einer königlichen Commission
für Kirche und öffentlichen Unterricht möchte er werden, ohne selbst die Ad¬
ministration in die Hand zu nehmen. Wir nennen dies ein charakteristisches
Zeugniß seiner Selbsterkenntniß- über allgemeine Gesichtspunkte verfügte er
in reicher Fülle, theoretische Einsicht in die Verhältnisse von Kirche und
Schule und Staat besaß er, zur Anregung von Reformen und Reformplänen
war er bereit und eifrig. Das Detail der Praxis, die Abwickelung der Ge¬
schäfte war nicht seine Sache. An Ausdauer fehlte es ihm dafür, an Geschick
der Verwaltung. Wir müssen sagen, überall wo wir ihn als praktischen
Staatsmann einer praktischen Aufgabe gegenüber sehen, fühlen wir uns ge¬
neigt, diese Worte der Selbstcharacteristik zu wiederholen.

Im Frühling 1841 wurde Bunsen aus der Schweiz abberufen. In
Berlin wurde er bei der Entwirrung des kirchlichen Conflicts zu Rathe ge¬
zogen. Der König selbst wünschte ihm eine Gelegenheit zu Erfolg in der
Welt zu geben; er schickte ihn nach England, dort das Bisthum Jerusalem
durchzusetzen. Wir haben hier über dies seltsame Projekt und Unternehmen
des preußischen Königs nichts Neues zu sagen: daß dies Experiment mit den
allgemeinen Ideen der Beiden, .die es betrieben, über Kirchenverfassung in
innerem ideellen Zusammenhange gestanden, ist uns allerdings wahrschein¬
lich. Ueber Reform der Kirchenverfassung war schon seit mehreren Jahren
zwischen beiden verhandelt, ohne daß zur Ausführung der Reformgedanken
ein Schritt geschah. Doch wurde im Zusammenhang gerade mit diesen Ge¬
danken noch zu wiederholten Malen an Bunsen's Fixirung in Berlin gedacht.
Wohl äußerte Bunsen noch oft, seinem eigentlichen Wunsche entspreche es,
aus den Geschäften auszuscheiden und seinen wissenschaftlichen Arbeiten auf
irgend einem Landgute allein zu leben, jedoch erscheint dem aufmerksamen
Leser seiner damaligen Aufzeichnungen dies als eine vorübergehende Selbst¬
täuschung, der er sich allerdings noch zu verschiedenen Zeiten hingeben konnte.
Selbst die Wittwe urtheilt (II. 193), auf die Dauer würde Bunsen das
Landleben nicht ertragen haben; der Verkehr der Geister, der Streit der
Meinungen war das Lebenselement für ihn. Und damals war doch sein
Ehrgeiz darauf gerichtet, das, was er in London angebahnt, auch weiter zu
entwickeln — ein näheres Verhältniß Preußens zu England, welches sofort
eine selbständigere Haltung gegenüber dem bisher dominirenden Einflüsse
von Oesterreich und Nußland zur Folge haben mußte — ja eigentlich sollte
ihm der Londoner Posten auch nur „die Brücke ins Vaterland" sein. Das
Ministerium des öffentlichen Unterrichts, eine leitende Stellung bei der Person
des königlichen Freundes — daß er darauf hinzielte, geht aus vielen gleichsam
gelegentlich hingeworfenen vertraulichen Aeußerungen hervor. Daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/130>, abgerufen am 30.06.2024.