Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nähernd von jener Gefährlichkeit, wie sie unmittelbar nach dem vaticanischen
Concil und am Beginne des Krieges war. Im Gegentheile wird jeder auf¬
merksame Beobachter wahrnehmen, daß eine entschiedene Abnahme der kleri¬
kalen Gesinnungen eintritt; die Art, wie Bayern auf der Katholikenversamm¬
lung in Breslau vertreten war, das Verhalten der bayrischen Bischöfe und
der ewige Conflict der Parteipresse tragen viel dazu,bei. Nicht weniger aber
macht sich auch der Altkatholicismus verdient; indem er dem Staate den
legitimen Anlaß bietet, auf kirchlichem Gebiet Reformen zu urgiren. Er ist
für Bayern von der höchsten Wichtigkeit und deshalb ist es nöthig, daß wir
noch mit wenigen Worten den gegenwärtigen Erfolg desselben feststellen.

Allerdings ist das Häuflein seiner Anhänger nur klein und auch die
Mittel, über welche sie gebieten, bleiben weit hinter denen zurück, welche andere
Vereine besitzen, aber nichts destoweniger ist ihre Existenz noch immer ein
Gegenstand von öffentlichem Interesse. Es ist dies Interesse natürlich nicht
mehr dasselbe, das völlig neue Erscheinungen hervorrufen, man hat nicht mehr
mit jener Spannung auf ihre Beschlüsse geblickt, wie sie der erste Congreß
in Anspruch nahm, aber anderseits darf man es auch nicht unterschätzen,
welchen wichtigen Antheil sie an den Ereignissen hatten, die sich auf dem
Gebiet der inneren Politik seit Jahresfrist vollzogen. Darin liegt ihre Be¬
deutung und das Recht, das sie auch heute noch auf die Theilnahme des
Volkes haben.

Der Congreß der diesmal zusammentritt, hatte ein noch allgemeineres
Gepräge gewonnen, als im vorigen Jahr. Neben den bekannten Führern
fand sich Herr Michaud ein, der früher an der Madeleine-Kirche in Paris
fungirte und jetzt sich ganz mit dem Studium der deutschen Wissenschaft ver¬
traut macht, aus England der Bischof von Lincoln, aus Utrecht der dortige
Erzbischof; die Sympathien, welche Rußland der ganzen Bewegung entgegen¬
trägt, sind notorisch und erfuhren auch diesmal einen persönlichen Ausdruck.

Das nächste Ziel, welches der Congreß sich setzte, war selbstverständlich
religiöser Natur, es mußte sich darum handeln, die Seelsorge kräftiger zu or-
ganisiren und denjenigen Katholiken, die an der bisherigen Lehre hängen, die
Gelegenheit zu sichern, daß sie ihre religiösen Bedürfnisse bei Priestern desselben
Bekenntnisses befriedigen.

In dieser Richtung, nämlich was die Erweiterung der religiösen Gemein¬
schaft betrifft, sind freilich viele Hoffnungen der Altkatholiken unerfüllt ge¬
blieben. Es war vor allem unmöglich, die Massen zur Betheiligung an
dem neuen Organismus heranzuziehen, denn diese verharrten ungebeugt in
jener Position, die sie seit Jahrhunderten innehalten und bei ihnen fanden
auch die Verdächtigungen, die man über die Führer verbreitete, am meisten
Eingang. Es gelang, bei der großen Menge den Altkatholicismus mit der


nähernd von jener Gefährlichkeit, wie sie unmittelbar nach dem vaticanischen
Concil und am Beginne des Krieges war. Im Gegentheile wird jeder auf¬
merksame Beobachter wahrnehmen, daß eine entschiedene Abnahme der kleri¬
kalen Gesinnungen eintritt; die Art, wie Bayern auf der Katholikenversamm¬
lung in Breslau vertreten war, das Verhalten der bayrischen Bischöfe und
der ewige Conflict der Parteipresse tragen viel dazu,bei. Nicht weniger aber
macht sich auch der Altkatholicismus verdient; indem er dem Staate den
legitimen Anlaß bietet, auf kirchlichem Gebiet Reformen zu urgiren. Er ist
für Bayern von der höchsten Wichtigkeit und deshalb ist es nöthig, daß wir
noch mit wenigen Worten den gegenwärtigen Erfolg desselben feststellen.

Allerdings ist das Häuflein seiner Anhänger nur klein und auch die
Mittel, über welche sie gebieten, bleiben weit hinter denen zurück, welche andere
Vereine besitzen, aber nichts destoweniger ist ihre Existenz noch immer ein
Gegenstand von öffentlichem Interesse. Es ist dies Interesse natürlich nicht
mehr dasselbe, das völlig neue Erscheinungen hervorrufen, man hat nicht mehr
mit jener Spannung auf ihre Beschlüsse geblickt, wie sie der erste Congreß
in Anspruch nahm, aber anderseits darf man es auch nicht unterschätzen,
welchen wichtigen Antheil sie an den Ereignissen hatten, die sich auf dem
Gebiet der inneren Politik seit Jahresfrist vollzogen. Darin liegt ihre Be¬
deutung und das Recht, das sie auch heute noch auf die Theilnahme des
Volkes haben.

Der Congreß der diesmal zusammentritt, hatte ein noch allgemeineres
Gepräge gewonnen, als im vorigen Jahr. Neben den bekannten Führern
fand sich Herr Michaud ein, der früher an der Madeleine-Kirche in Paris
fungirte und jetzt sich ganz mit dem Studium der deutschen Wissenschaft ver¬
traut macht, aus England der Bischof von Lincoln, aus Utrecht der dortige
Erzbischof; die Sympathien, welche Rußland der ganzen Bewegung entgegen¬
trägt, sind notorisch und erfuhren auch diesmal einen persönlichen Ausdruck.

Das nächste Ziel, welches der Congreß sich setzte, war selbstverständlich
religiöser Natur, es mußte sich darum handeln, die Seelsorge kräftiger zu or-
ganisiren und denjenigen Katholiken, die an der bisherigen Lehre hängen, die
Gelegenheit zu sichern, daß sie ihre religiösen Bedürfnisse bei Priestern desselben
Bekenntnisses befriedigen.

In dieser Richtung, nämlich was die Erweiterung der religiösen Gemein¬
schaft betrifft, sind freilich viele Hoffnungen der Altkatholiken unerfüllt ge¬
blieben. Es war vor allem unmöglich, die Massen zur Betheiligung an
dem neuen Organismus heranzuziehen, denn diese verharrten ungebeugt in
jener Position, die sie seit Jahrhunderten innehalten und bei ihnen fanden
auch die Verdächtigungen, die man über die Führer verbreitete, am meisten
Eingang. Es gelang, bei der großen Menge den Altkatholicismus mit der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128579"/>
          <p xml:id="ID_335" prev="#ID_334"> nähernd von jener Gefährlichkeit, wie sie unmittelbar nach dem vaticanischen<lb/>
Concil und am Beginne des Krieges war. Im Gegentheile wird jeder auf¬<lb/>
merksame Beobachter wahrnehmen, daß eine entschiedene Abnahme der kleri¬<lb/>
kalen Gesinnungen eintritt; die Art, wie Bayern auf der Katholikenversamm¬<lb/>
lung in Breslau vertreten war, das Verhalten der bayrischen Bischöfe und<lb/>
der ewige Conflict der Parteipresse tragen viel dazu,bei. Nicht weniger aber<lb/>
macht sich auch der Altkatholicismus verdient; indem er dem Staate den<lb/>
legitimen Anlaß bietet, auf kirchlichem Gebiet Reformen zu urgiren. Er ist<lb/>
für Bayern von der höchsten Wichtigkeit und deshalb ist es nöthig, daß wir<lb/>
noch mit wenigen Worten den gegenwärtigen Erfolg desselben feststellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_336"> Allerdings ist das Häuflein seiner Anhänger nur klein und auch die<lb/>
Mittel, über welche sie gebieten, bleiben weit hinter denen zurück, welche andere<lb/>
Vereine besitzen, aber nichts destoweniger ist ihre Existenz noch immer ein<lb/>
Gegenstand von öffentlichem Interesse. Es ist dies Interesse natürlich nicht<lb/>
mehr dasselbe, das völlig neue Erscheinungen hervorrufen, man hat nicht mehr<lb/>
mit jener Spannung auf ihre Beschlüsse geblickt, wie sie der erste Congreß<lb/>
in Anspruch nahm, aber anderseits darf man es auch nicht unterschätzen,<lb/>
welchen wichtigen Antheil sie an den Ereignissen hatten, die sich auf dem<lb/>
Gebiet der inneren Politik seit Jahresfrist vollzogen. Darin liegt ihre Be¬<lb/>
deutung und das Recht, das sie auch heute noch auf die Theilnahme des<lb/>
Volkes haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_337"> Der Congreß der diesmal zusammentritt, hatte ein noch allgemeineres<lb/>
Gepräge gewonnen, als im vorigen Jahr. Neben den bekannten Führern<lb/>
fand sich Herr Michaud ein, der früher an der Madeleine-Kirche in Paris<lb/>
fungirte und jetzt sich ganz mit dem Studium der deutschen Wissenschaft ver¬<lb/>
traut macht, aus England der Bischof von Lincoln, aus Utrecht der dortige<lb/>
Erzbischof; die Sympathien, welche Rußland der ganzen Bewegung entgegen¬<lb/>
trägt, sind notorisch und erfuhren auch diesmal einen persönlichen Ausdruck.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_338"> Das nächste Ziel, welches der Congreß sich setzte, war selbstverständlich<lb/>
religiöser Natur, es mußte sich darum handeln, die Seelsorge kräftiger zu or-<lb/>
ganisiren und denjenigen Katholiken, die an der bisherigen Lehre hängen, die<lb/>
Gelegenheit zu sichern, daß sie ihre religiösen Bedürfnisse bei Priestern desselben<lb/>
Bekenntnisses befriedigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_339" next="#ID_340"> In dieser Richtung, nämlich was die Erweiterung der religiösen Gemein¬<lb/>
schaft betrifft, sind freilich viele Hoffnungen der Altkatholiken unerfüllt ge¬<lb/>
blieben. Es war vor allem unmöglich, die Massen zur Betheiligung an<lb/>
dem neuen Organismus heranzuziehen, denn diese verharrten ungebeugt in<lb/>
jener Position, die sie seit Jahrhunderten innehalten und bei ihnen fanden<lb/>
auch die Verdächtigungen, die man über die Führer verbreitete, am meisten<lb/>
Eingang.  Es gelang, bei der großen Menge den Altkatholicismus mit der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] nähernd von jener Gefährlichkeit, wie sie unmittelbar nach dem vaticanischen Concil und am Beginne des Krieges war. Im Gegentheile wird jeder auf¬ merksame Beobachter wahrnehmen, daß eine entschiedene Abnahme der kleri¬ kalen Gesinnungen eintritt; die Art, wie Bayern auf der Katholikenversamm¬ lung in Breslau vertreten war, das Verhalten der bayrischen Bischöfe und der ewige Conflict der Parteipresse tragen viel dazu,bei. Nicht weniger aber macht sich auch der Altkatholicismus verdient; indem er dem Staate den legitimen Anlaß bietet, auf kirchlichem Gebiet Reformen zu urgiren. Er ist für Bayern von der höchsten Wichtigkeit und deshalb ist es nöthig, daß wir noch mit wenigen Worten den gegenwärtigen Erfolg desselben feststellen. Allerdings ist das Häuflein seiner Anhänger nur klein und auch die Mittel, über welche sie gebieten, bleiben weit hinter denen zurück, welche andere Vereine besitzen, aber nichts destoweniger ist ihre Existenz noch immer ein Gegenstand von öffentlichem Interesse. Es ist dies Interesse natürlich nicht mehr dasselbe, das völlig neue Erscheinungen hervorrufen, man hat nicht mehr mit jener Spannung auf ihre Beschlüsse geblickt, wie sie der erste Congreß in Anspruch nahm, aber anderseits darf man es auch nicht unterschätzen, welchen wichtigen Antheil sie an den Ereignissen hatten, die sich auf dem Gebiet der inneren Politik seit Jahresfrist vollzogen. Darin liegt ihre Be¬ deutung und das Recht, das sie auch heute noch auf die Theilnahme des Volkes haben. Der Congreß der diesmal zusammentritt, hatte ein noch allgemeineres Gepräge gewonnen, als im vorigen Jahr. Neben den bekannten Führern fand sich Herr Michaud ein, der früher an der Madeleine-Kirche in Paris fungirte und jetzt sich ganz mit dem Studium der deutschen Wissenschaft ver¬ traut macht, aus England der Bischof von Lincoln, aus Utrecht der dortige Erzbischof; die Sympathien, welche Rußland der ganzen Bewegung entgegen¬ trägt, sind notorisch und erfuhren auch diesmal einen persönlichen Ausdruck. Das nächste Ziel, welches der Congreß sich setzte, war selbstverständlich religiöser Natur, es mußte sich darum handeln, die Seelsorge kräftiger zu or- ganisiren und denjenigen Katholiken, die an der bisherigen Lehre hängen, die Gelegenheit zu sichern, daß sie ihre religiösen Bedürfnisse bei Priestern desselben Bekenntnisses befriedigen. In dieser Richtung, nämlich was die Erweiterung der religiösen Gemein¬ schaft betrifft, sind freilich viele Hoffnungen der Altkatholiken unerfüllt ge¬ blieben. Es war vor allem unmöglich, die Massen zur Betheiligung an dem neuen Organismus heranzuziehen, denn diese verharrten ungebeugt in jener Position, die sie seit Jahrhunderten innehalten und bei ihnen fanden auch die Verdächtigungen, die man über die Führer verbreitete, am meisten Eingang. Es gelang, bei der großen Menge den Altkatholicismus mit der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/125
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/125>, abgerufen am 04.07.2024.