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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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festgesetzten Liste die Reihe kam. Das Lager von Chalons war das Treib¬
haus für die Avancements geworden. -- Viele derjenigen, welche an unserer
Spitze marschirten, waren eben nur die großen Krieger des kleinen Mour-
mclon." --

Wenn dies ein allgemeines Bild geben mag der inländischen Verhält¬
nisse des französischen Heerwesens, so erübrigt endlich noch, in kurzen Zügen
den Einfluß der ausländischen Expeditionen auf die Armee zu
schildern.

In Algier ging der kleine Krieg, der Wechsel zwischen der Bekämpfung
aufständischer Stämme und der Beraubung unterworfener seinen hergebrachten
verderblichen Weg. Doch brachte Randon's bedeutende Expedition Groß-Ka-
bylien in Abhängigkeit von Frankreich (1856/7) und gab dadurch der kriege¬
rischen Bedeutung der algierischen Kämpfe einen neuen Impuls. Alle Ver¬
suche jedoch, die Eingeborenen der europäischen Cultur und dem französischen
Staatsleben zu gewinnen, scheiterten an dem nationalen Widerwillen derselben
und an dem starren und gewaltthätigen Militär-Regime. Zwar wurde 1858
der Versuch gemacht, die Verwaltung unter ein eigenes Ministerium für Al¬
gier und die Kolonien zu stellen, welches zuerst Prinz Napoleon und dann
Graf Chasseloup-Laubat übernahm; allein schon 1860 wurde dies Ministerium
wieder aufgehoben und dafür abermals ein alle Gewalt umfassendes General-
Gouvernement eingesetzt, welches der Warschall Pilissier erhielt. Die rohe
Menschenverachtung der französischen Militärbehörden rief indeß den Aufstand
von 1864 hervor, während dessen Pelissier starb. Marschall Mac Mahon
übernahm nach ihm das Commando, und nach Niederwerfung des Aufstan¬
des bereiste der Kaiser Napoleon das Land. In dem Schreiben, in welchem
er nach seiner Rückkehr dem Gouverneur Rathschläge für die zukünftige Ver¬
waltung gab, legte er besonderen Nachdruck darauf, daß es ihm sehr zweck¬
mäßig erscheine, die Eingeborenen für die französische Armee anzuwerben; das
werde bedeutend zu ihrer Civilisirung beitragen und Frankreich gute Truppen
verschaffen. Es ist die alte französische Neigung, fremde Truppen zu enga-
giren. -- Ende 1868 bestand die Armee von Algier, einschließlich der
Marine aus 71,700 Mann, von denen 57,200 Europäer (Franzosen und
Fremdenlegion) und 12,000 Eingeborene (Turcos und Spahis). 2500 Mann
befanden sich in den Strafcompagnien. -- Als Kriegsschule hatte Algier seinen
Werth völlig verloren; als eine Quelle moralischen Verderbens, namentlich
auch für das Officiercorps wirkte der Aufenthalt unter den ungesunden Ver¬
hältnissen des unterworfenen Barbarenlandes weiter/')



') I" dieser Beziehung ist dos folgende Schreiben höchst bezeichnend, welches sich ans den
erwähnten Erlaß Napoleon's III. bezieht und zu den von der republikanischen Regierung ver¬
öffentlichten Tuilcricnpapieren gehört.

festgesetzten Liste die Reihe kam. Das Lager von Chalons war das Treib¬
haus für die Avancements geworden. — Viele derjenigen, welche an unserer
Spitze marschirten, waren eben nur die großen Krieger des kleinen Mour-
mclon." —

Wenn dies ein allgemeines Bild geben mag der inländischen Verhält¬
nisse des französischen Heerwesens, so erübrigt endlich noch, in kurzen Zügen
den Einfluß der ausländischen Expeditionen auf die Armee zu
schildern.

In Algier ging der kleine Krieg, der Wechsel zwischen der Bekämpfung
aufständischer Stämme und der Beraubung unterworfener seinen hergebrachten
verderblichen Weg. Doch brachte Randon's bedeutende Expedition Groß-Ka-
bylien in Abhängigkeit von Frankreich (1856/7) und gab dadurch der kriege¬
rischen Bedeutung der algierischen Kämpfe einen neuen Impuls. Alle Ver¬
suche jedoch, die Eingeborenen der europäischen Cultur und dem französischen
Staatsleben zu gewinnen, scheiterten an dem nationalen Widerwillen derselben
und an dem starren und gewaltthätigen Militär-Regime. Zwar wurde 1858
der Versuch gemacht, die Verwaltung unter ein eigenes Ministerium für Al¬
gier und die Kolonien zu stellen, welches zuerst Prinz Napoleon und dann
Graf Chasseloup-Laubat übernahm; allein schon 1860 wurde dies Ministerium
wieder aufgehoben und dafür abermals ein alle Gewalt umfassendes General-
Gouvernement eingesetzt, welches der Warschall Pilissier erhielt. Die rohe
Menschenverachtung der französischen Militärbehörden rief indeß den Aufstand
von 1864 hervor, während dessen Pelissier starb. Marschall Mac Mahon
übernahm nach ihm das Commando, und nach Niederwerfung des Aufstan¬
des bereiste der Kaiser Napoleon das Land. In dem Schreiben, in welchem
er nach seiner Rückkehr dem Gouverneur Rathschläge für die zukünftige Ver¬
waltung gab, legte er besonderen Nachdruck darauf, daß es ihm sehr zweck¬
mäßig erscheine, die Eingeborenen für die französische Armee anzuwerben; das
werde bedeutend zu ihrer Civilisirung beitragen und Frankreich gute Truppen
verschaffen. Es ist die alte französische Neigung, fremde Truppen zu enga-
giren. — Ende 1868 bestand die Armee von Algier, einschließlich der
Marine aus 71,700 Mann, von denen 57,200 Europäer (Franzosen und
Fremdenlegion) und 12,000 Eingeborene (Turcos und Spahis). 2500 Mann
befanden sich in den Strafcompagnien. — Als Kriegsschule hatte Algier seinen
Werth völlig verloren; als eine Quelle moralischen Verderbens, namentlich
auch für das Officiercorps wirkte der Aufenthalt unter den ungesunden Ver¬
hältnissen des unterworfenen Barbarenlandes weiter/')



') I" dieser Beziehung ist dos folgende Schreiben höchst bezeichnend, welches sich ans den
erwähnten Erlaß Napoleon's III. bezieht und zu den von der republikanischen Regierung ver¬
öffentlichten Tuilcricnpapieren gehört.
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[0112] festgesetzten Liste die Reihe kam. Das Lager von Chalons war das Treib¬ haus für die Avancements geworden. — Viele derjenigen, welche an unserer Spitze marschirten, waren eben nur die großen Krieger des kleinen Mour- mclon." — Wenn dies ein allgemeines Bild geben mag der inländischen Verhält¬ nisse des französischen Heerwesens, so erübrigt endlich noch, in kurzen Zügen den Einfluß der ausländischen Expeditionen auf die Armee zu schildern. In Algier ging der kleine Krieg, der Wechsel zwischen der Bekämpfung aufständischer Stämme und der Beraubung unterworfener seinen hergebrachten verderblichen Weg. Doch brachte Randon's bedeutende Expedition Groß-Ka- bylien in Abhängigkeit von Frankreich (1856/7) und gab dadurch der kriege¬ rischen Bedeutung der algierischen Kämpfe einen neuen Impuls. Alle Ver¬ suche jedoch, die Eingeborenen der europäischen Cultur und dem französischen Staatsleben zu gewinnen, scheiterten an dem nationalen Widerwillen derselben und an dem starren und gewaltthätigen Militär-Regime. Zwar wurde 1858 der Versuch gemacht, die Verwaltung unter ein eigenes Ministerium für Al¬ gier und die Kolonien zu stellen, welches zuerst Prinz Napoleon und dann Graf Chasseloup-Laubat übernahm; allein schon 1860 wurde dies Ministerium wieder aufgehoben und dafür abermals ein alle Gewalt umfassendes General- Gouvernement eingesetzt, welches der Warschall Pilissier erhielt. Die rohe Menschenverachtung der französischen Militärbehörden rief indeß den Aufstand von 1864 hervor, während dessen Pelissier starb. Marschall Mac Mahon übernahm nach ihm das Commando, und nach Niederwerfung des Aufstan¬ des bereiste der Kaiser Napoleon das Land. In dem Schreiben, in welchem er nach seiner Rückkehr dem Gouverneur Rathschläge für die zukünftige Ver¬ waltung gab, legte er besonderen Nachdruck darauf, daß es ihm sehr zweck¬ mäßig erscheine, die Eingeborenen für die französische Armee anzuwerben; das werde bedeutend zu ihrer Civilisirung beitragen und Frankreich gute Truppen verschaffen. Es ist die alte französische Neigung, fremde Truppen zu enga- giren. — Ende 1868 bestand die Armee von Algier, einschließlich der Marine aus 71,700 Mann, von denen 57,200 Europäer (Franzosen und Fremdenlegion) und 12,000 Eingeborene (Turcos und Spahis). 2500 Mann befanden sich in den Strafcompagnien. — Als Kriegsschule hatte Algier seinen Werth völlig verloren; als eine Quelle moralischen Verderbens, namentlich auch für das Officiercorps wirkte der Aufenthalt unter den ungesunden Ver¬ hältnissen des unterworfenen Barbarenlandes weiter/') ') I" dieser Beziehung ist dos folgende Schreiben höchst bezeichnend, welches sich ans den erwähnten Erlaß Napoleon's III. bezieht und zu den von der republikanischen Regierung ver¬ öffentlichten Tuilcricnpapieren gehört.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/112>, abgerufen am 04.07.2024.