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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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pitaine oder Lieutenant mit der Oberleitung dieses Dienstes beauftragt, und
hat dieser, wenn auch nicht gleichzeitig alle Mannschaften, doch einen großen
Theil derselben in diesem Dienstzweige auszubilden, -- Weit entfernt hier¬
durch Leistungssteigerungen zu erzielen, gewährt diese auf die Spitze getriebene
Theilung der Arbeit fauler Routine Vorschub und macht allgemeine und
allseitige Ausbildung der Officiere unmöglich. -- Die Feldmanöver,
die bei uns fo wirksam, namentlich zur Ausbildung und Prüfung der
Stabsofficiere dienen, sind ebenfalls ganz mechanischer Natur; und außer
Dienst ist von anhaltender und ernster Beschäftigung vollends kaum die
Rede.

Ganz unglaublich viel "flaniren" die Officiere. I'Ikiuzi' e'est unz LcioucL;
Lo piomMvr e'(!8t vögvter, tlcmöi' e'est vivrcz! -- L(!on Gautier spricht in
einem Rückblick auf diese Zustände") geradezu aus: "Auf die Officiere, welche
arbeiteten, zeigte man mit Fingern und behandelte sie als Sonderlinge"; die
Negimentsschulen existirten nur auf dem Papiere; und die "De'half" be¬
merken über denselben Gegenstand: "Um von der Masse der Truppen ganz
zu schweigen, in welcher der Elementarunterricht gar nicht oder nur unvoll¬
kommen vorbereitet ist, wie viele Beispiele von höheren Officieren könnte man
leider anführen, von Männern, in deren Hände unmittelbar die Geschicke des
Krieges gelegt waren und denen die elementarsten und unentbehrlichsten Kennt¬
nisse ihres Faches fremd waren!"

Ein entschiedenes Hinderniß für jede consequente wissenschaftliche Thätig¬
keit der Officiere ist übrigens das Lagerleben. Als getreuer Nachahmer
seines Oheims rief Napoleon III. schon 1864 das Lager von Boulogne
wieder ins Leben, an welches sich so glorreiche Traditionen knüpften. Aber die
dortigen Gesundheitsverhältnisse waren so ungünstig, die Terrainschwierigkeiten so



") lisvus ÄW yuestiovs bistorliuss. Juni 1871. L, Gautier erzählt u. A>: "Als General Frossard in seiner Eigenschaft als Präsident des Gcncralrathes die Archive
der Häute-Marne besuchte, sprach er in meiner Gegenwart die denkwürdigen Worte- "Warum
verbrennt man nicht die Hälfte dieser alten Papiere?" Die Archive von Chaumont enthalten
aber gerade die reichsten Materialien für die alte Geschichte und Geographie von Frankreich.
Und General Frossard gehört zu den Genie-Officieren und wurde später Gouverneur des kaiser¬
lichen Prinzen! Jene Worte, die ich selbst gehört (ich war Archivar des Departements), erinnern
mich an die Aeußerung eines anderen Generals, welcher Inspector der Militärschulen war: "Es
ist sehr hübsch von euch, daß ihr arbeitet, meine Kinder; ich für meinen Theil bin ohne das
so weit gekommen." Am 4. August starb der unglückliche General Donay den Heldentod bei
Weißenburg; erst am Tage vorher hatte er sich dazu verstanden, eine Karte anzusehen. Kurze
Zeit vor Sedan spazierte einer unserer Generale mit einem meiner Freunde, der mir die Sache
erzählt hat, am Ufer eines großen Flusses und fragte! "Wie heißt dieses Wasser?" Es war die
Maas. Er wußte nichts davon. Ein Anderer fragte um dieselbe Zeit, wie weit Metz von der
Grenze entfernt sei; ein Anderer, ob Thionvillc am Rhein liege."

pitaine oder Lieutenant mit der Oberleitung dieses Dienstes beauftragt, und
hat dieser, wenn auch nicht gleichzeitig alle Mannschaften, doch einen großen
Theil derselben in diesem Dienstzweige auszubilden, — Weit entfernt hier¬
durch Leistungssteigerungen zu erzielen, gewährt diese auf die Spitze getriebene
Theilung der Arbeit fauler Routine Vorschub und macht allgemeine und
allseitige Ausbildung der Officiere unmöglich. — Die Feldmanöver,
die bei uns fo wirksam, namentlich zur Ausbildung und Prüfung der
Stabsofficiere dienen, sind ebenfalls ganz mechanischer Natur; und außer
Dienst ist von anhaltender und ernster Beschäftigung vollends kaum die
Rede.

Ganz unglaublich viel „flaniren" die Officiere. I'Ikiuzi' e'est unz LcioucL;
Lo piomMvr e'(!8t vögvter, tlcmöi' e'est vivrcz! — L(!on Gautier spricht in
einem Rückblick auf diese Zustände") geradezu aus: „Auf die Officiere, welche
arbeiteten, zeigte man mit Fingern und behandelte sie als Sonderlinge"; die
Negimentsschulen existirten nur auf dem Papiere; und die „De'half" be¬
merken über denselben Gegenstand: „Um von der Masse der Truppen ganz
zu schweigen, in welcher der Elementarunterricht gar nicht oder nur unvoll¬
kommen vorbereitet ist, wie viele Beispiele von höheren Officieren könnte man
leider anführen, von Männern, in deren Hände unmittelbar die Geschicke des
Krieges gelegt waren und denen die elementarsten und unentbehrlichsten Kennt¬
nisse ihres Faches fremd waren!"

Ein entschiedenes Hinderniß für jede consequente wissenschaftliche Thätig¬
keit der Officiere ist übrigens das Lagerleben. Als getreuer Nachahmer
seines Oheims rief Napoleon III. schon 1864 das Lager von Boulogne
wieder ins Leben, an welches sich so glorreiche Traditionen knüpften. Aber die
dortigen Gesundheitsverhältnisse waren so ungünstig, die Terrainschwierigkeiten so



") lisvus ÄW yuestiovs bistorliuss. Juni 1871. L, Gautier erzählt u. A>: „Als General Frossard in seiner Eigenschaft als Präsident des Gcncralrathes die Archive
der Häute-Marne besuchte, sprach er in meiner Gegenwart die denkwürdigen Worte- „Warum
verbrennt man nicht die Hälfte dieser alten Papiere?" Die Archive von Chaumont enthalten
aber gerade die reichsten Materialien für die alte Geschichte und Geographie von Frankreich.
Und General Frossard gehört zu den Genie-Officieren und wurde später Gouverneur des kaiser¬
lichen Prinzen! Jene Worte, die ich selbst gehört (ich war Archivar des Departements), erinnern
mich an die Aeußerung eines anderen Generals, welcher Inspector der Militärschulen war: „Es
ist sehr hübsch von euch, daß ihr arbeitet, meine Kinder; ich für meinen Theil bin ohne das
so weit gekommen." Am 4. August starb der unglückliche General Donay den Heldentod bei
Weißenburg; erst am Tage vorher hatte er sich dazu verstanden, eine Karte anzusehen. Kurze
Zeit vor Sedan spazierte einer unserer Generale mit einem meiner Freunde, der mir die Sache
erzählt hat, am Ufer eines großen Flusses und fragte! „Wie heißt dieses Wasser?" Es war die
Maas. Er wußte nichts davon. Ein Anderer fragte um dieselbe Zeit, wie weit Metz von der
Grenze entfernt sei; ein Anderer, ob Thionvillc am Rhein liege."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/109>, abgerufen am 22.07.2024.