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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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nächst immer und überall den Gentleman in sich achten, so ist davon in
Frankreich nicht die Rede. In keiner europäischen Armee stehen die Officiere
nach den Gradabstufungen so geschieden da, als in der französischen, wo grund¬
sätzlich die Classen der Lieutenants, der Capitains, der Stabsofficiere und Ge¬
nerale, eine jede streng für sich geschieden, in besonderen pensions ihre Mahl¬
zeiten einnehmen, "um die Achtung und den Gehorsam nicht zu gefährden
und um zu verhindern, daß Vorgesetzte bei den Freuden der Tafel nichts aus¬
plaudern, was den Untergebenen vorenthalten bleiben soll." Hiermit ist aber
auch dem frischen Strom der Ideen, dem kräftigenden Wechselwirken im Ver¬
kehr älterer und jüngerer Männer ein Damm vorgeschüttet. Spricht es doch
ein französischer Stabsofficiere selbst aus: "Verderblich und hemmend für die
Entwickelung der Fähigkeiten des Officiers und denselben in seinen eigenen
Augen herabsetzend ist die Entfernung, in welcher ihn die meisten Stabs-
Officiere von sich halten, sowie die Rohheit, mit welcher sie ihn, wenn er
gefehlt hat, in Gegenwart seiner Untergebenen herunterreißen. Nicht die ge¬
ringste Bemerkung darf sich der Subalternofficier gegen seinen Vorgesetzten
erlauben, ohne daß dieselbe für Insubordination erklärt wird, und es scheint,
als ob die Stabsofficiere es für durchaus nothwendig hielten, ihre Superiorität
fühlen zu lassen, indem sie ihre Untergebenen anschnauzen."

Auch die Cameradsch äst im engeren Sinne, das treuherzige Verhält¬
niß der Alters- und Chargengenossen, leidet an jener Verschiedenheit der Avan¬
cementsaussichten, der Bildung und Herkunft und ebenso an der der politischen
Ansichten und an dem übertriebenen sentiment iuäiviäuel -- zu deutsch: Eigen¬
liebe. Ein scharfer Beobachter^), der in langem Verkehr mit französischen
Officieren ihre gegenseitigen Redensarten gesammelt und summarisch zusam¬
mengestellt hat, erzählt, man sei zu Paris gewohnt, die Officiere einzutheilen
in I. (Meiers avec eäneaticm und II, (Meiers Sims 6Äueation. Sie schimpfen
sich unter einander wie folgt:

I. sagt zu II.: ?arvenu, Lr6tin, ^tre eomwuv (Schusterseele), brüte iu-
eurable.

II. sagt zu I.: (Meier ä'uristoerg,es, ü'auticckamw'ö, vit üatteur (Speichel¬
lecker), dö,s acwlateur, poseur (Geck), ktüseur ac eourdettes (Tanzmeister).

Besonders wirft der Adelige dem Bürgerlichen vor, daß er moralisch ewig
ein Lump beide, daß er in Civil wie ein Polizei-Agent aussehe, daß er un-
cultivirte Hände und immer Blasen auf den Füßen habe, daß er wöchentlich
nur einmal das Hemd wechsele, Lotto spiele, Tapeten-Arbeit mache, grobe




") V. I^staivriZ, puent <Zs wttaillon ü'mkimtvriv: ä<z l'MÄidlissvmvnt no t'm-
ksutsrio. 1860.
") Hunde von Hassten a. a. O.

nächst immer und überall den Gentleman in sich achten, so ist davon in
Frankreich nicht die Rede. In keiner europäischen Armee stehen die Officiere
nach den Gradabstufungen so geschieden da, als in der französischen, wo grund¬
sätzlich die Classen der Lieutenants, der Capitains, der Stabsofficiere und Ge¬
nerale, eine jede streng für sich geschieden, in besonderen pensions ihre Mahl¬
zeiten einnehmen, „um die Achtung und den Gehorsam nicht zu gefährden
und um zu verhindern, daß Vorgesetzte bei den Freuden der Tafel nichts aus¬
plaudern, was den Untergebenen vorenthalten bleiben soll." Hiermit ist aber
auch dem frischen Strom der Ideen, dem kräftigenden Wechselwirken im Ver¬
kehr älterer und jüngerer Männer ein Damm vorgeschüttet. Spricht es doch
ein französischer Stabsofficiere selbst aus: „Verderblich und hemmend für die
Entwickelung der Fähigkeiten des Officiers und denselben in seinen eigenen
Augen herabsetzend ist die Entfernung, in welcher ihn die meisten Stabs-
Officiere von sich halten, sowie die Rohheit, mit welcher sie ihn, wenn er
gefehlt hat, in Gegenwart seiner Untergebenen herunterreißen. Nicht die ge¬
ringste Bemerkung darf sich der Subalternofficier gegen seinen Vorgesetzten
erlauben, ohne daß dieselbe für Insubordination erklärt wird, und es scheint,
als ob die Stabsofficiere es für durchaus nothwendig hielten, ihre Superiorität
fühlen zu lassen, indem sie ihre Untergebenen anschnauzen."

Auch die Cameradsch äst im engeren Sinne, das treuherzige Verhält¬
niß der Alters- und Chargengenossen, leidet an jener Verschiedenheit der Avan¬
cementsaussichten, der Bildung und Herkunft und ebenso an der der politischen
Ansichten und an dem übertriebenen sentiment iuäiviäuel — zu deutsch: Eigen¬
liebe. Ein scharfer Beobachter^), der in langem Verkehr mit französischen
Officieren ihre gegenseitigen Redensarten gesammelt und summarisch zusam¬
mengestellt hat, erzählt, man sei zu Paris gewohnt, die Officiere einzutheilen
in I. (Meiers avec eäneaticm und II, (Meiers Sims 6Äueation. Sie schimpfen
sich unter einander wie folgt:

I. sagt zu II.: ?arvenu, Lr6tin, ^tre eomwuv (Schusterseele), brüte iu-
eurable.

II. sagt zu I.: (Meier ä'uristoerg,es, ü'auticckamw'ö, vit üatteur (Speichel¬
lecker), dö,s acwlateur, poseur (Geck), ktüseur ac eourdettes (Tanzmeister).

Besonders wirft der Adelige dem Bürgerlichen vor, daß er moralisch ewig
ein Lump beide, daß er in Civil wie ein Polizei-Agent aussehe, daß er un-
cultivirte Hände und immer Blasen auf den Füßen habe, daß er wöchentlich
nur einmal das Hemd wechsele, Lotto spiele, Tapeten-Arbeit mache, grobe




") V. I^staivriZ, puent <Zs wttaillon ü'mkimtvriv: ä<z l'MÄidlissvmvnt no t'm-
ksutsrio. 1860.
") Hunde von Hassten a. a. O.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/107>, abgerufen am 22.07.2024.