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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Kindheit an in den Militärschulen, namentlich zu La Fleche, erzogen und dann,
nach beendigtem Offiziers-Examen in der Schule von Se. Cyr, als Unter¬
Lieutenants in die verschiedenen Regimenter eingetreten sind. Diese sind Sol¬
daten durch und durch, kennen häufig weder Familien- noch irgendwie andere
bürgerliche Interessen und wünschen nichts Anderes, als ihren Ehrgeiz zu be¬
friedigen und sich ein schnelles Avancement zu erwerben. Man kann immer¬
hin annehmen, daß drei Viertheile aller französischen Generale und Stabs-
officiere aus solchen Officierssöhnen bestehen, und es gibt viele Familien, in
denen der Officiersdienst schon mehrere Generationen hindurch förmlich erblich
geworden ist.

Wenn nun diese Männer an und für sich wohl das beste Element des
französischen Officiercorps sind, so tragen sie doch um so mehr bei zu der
Entfremdung des Heeres vom Volke, als sie sich fast niemals verheirathen, so
lange sie im Dienste sind. Dazu fehlen ihnen fast immer die Mittel.

Nur bei der Garde und einigen Cavallerie-Regimentern findet man ziem¬
lich häusig Officiere mit Vermögen; sonst gibt es viele Infanterie-, Dragoner-
und Lanziers-Regimenter, die auch keinen einzigen Officier mit Privatvermögen
besitzen. Alle diese vielen Tausende von mittellosen Officieren führen ein
armes Soldatenleben, verkehren fast nur unter sich, wechseln sehr häufig ihre
Garnisonen und stehen allen übrigen bürgerlichen Interessen der Bevölkerung
vollkommen gleichgültig, mitunter sogar entschieden feindselig gegenüber. Jeder
Kampf, der ihnen Auszeichnung und schnelle Beförderung bringt, ist ihnen er¬
wünscht, der Zweck desselben völlig gleichgültig.*)

Die Stellung des Officiers in der Gesellschaft entspricht
diesen Umständen; sie ist eine ganz andere, fast entgegengesetzte wie die seiner
Standesgenossen in Preußen. Ein französischer Officier^) kennzeichnet sie in
folgenden scharfen Zügen: "Der Officier nimmt im Publieum eine Stellung
ein wie etwa der Schweizer bei der Pfarrkirche oder der Feldwächter im Dorf.
Meist zieht er einher ,,ontourö ä'un Mrtum <Zs wdae, ä'i^uoiÄuoe av
Mi-osse", so daß man so viel als möglich die Thüren vor ihm verschließt.
Seine sauber gebürstete aber abgeschabte Tunica erregt das Lächeln des
reichen Krämers, sein so geduldig erobertes Epaulett öffnet ihm selbst einen
officiellen Salon nur mit der größten Mühe. Diese Ausschließung ist sprich¬
wörtlich, und nur selten bringen hervorragende geistige Begabung oder Fa-
milienverbindungen einzelne Ausnahmen hervor. -- Was den aus der Truppe
hervorgegangenen Officier betrifft, so gilt er nicht mehr und nicht weniger
als die elg-sse iuiÄ'iourcz selbst, aus der er emporgestiegen, und was wollen




') Leipziger Zeitung. Oct. 1803.
I^oltre" et'un xiisounior alö Knvrro n. a, O.
Grenzboten IV. 1872.13

Kindheit an in den Militärschulen, namentlich zu La Fleche, erzogen und dann,
nach beendigtem Offiziers-Examen in der Schule von Se. Cyr, als Unter¬
Lieutenants in die verschiedenen Regimenter eingetreten sind. Diese sind Sol¬
daten durch und durch, kennen häufig weder Familien- noch irgendwie andere
bürgerliche Interessen und wünschen nichts Anderes, als ihren Ehrgeiz zu be¬
friedigen und sich ein schnelles Avancement zu erwerben. Man kann immer¬
hin annehmen, daß drei Viertheile aller französischen Generale und Stabs-
officiere aus solchen Officierssöhnen bestehen, und es gibt viele Familien, in
denen der Officiersdienst schon mehrere Generationen hindurch förmlich erblich
geworden ist.

Wenn nun diese Männer an und für sich wohl das beste Element des
französischen Officiercorps sind, so tragen sie doch um so mehr bei zu der
Entfremdung des Heeres vom Volke, als sie sich fast niemals verheirathen, so
lange sie im Dienste sind. Dazu fehlen ihnen fast immer die Mittel.

Nur bei der Garde und einigen Cavallerie-Regimentern findet man ziem¬
lich häusig Officiere mit Vermögen; sonst gibt es viele Infanterie-, Dragoner-
und Lanziers-Regimenter, die auch keinen einzigen Officier mit Privatvermögen
besitzen. Alle diese vielen Tausende von mittellosen Officieren führen ein
armes Soldatenleben, verkehren fast nur unter sich, wechseln sehr häufig ihre
Garnisonen und stehen allen übrigen bürgerlichen Interessen der Bevölkerung
vollkommen gleichgültig, mitunter sogar entschieden feindselig gegenüber. Jeder
Kampf, der ihnen Auszeichnung und schnelle Beförderung bringt, ist ihnen er¬
wünscht, der Zweck desselben völlig gleichgültig.*)

Die Stellung des Officiers in der Gesellschaft entspricht
diesen Umständen; sie ist eine ganz andere, fast entgegengesetzte wie die seiner
Standesgenossen in Preußen. Ein französischer Officier^) kennzeichnet sie in
folgenden scharfen Zügen: „Der Officier nimmt im Publieum eine Stellung
ein wie etwa der Schweizer bei der Pfarrkirche oder der Feldwächter im Dorf.
Meist zieht er einher ,,ontourö ä'un Mrtum <Zs wdae, ä'i^uoiÄuoe av
Mi-osse", so daß man so viel als möglich die Thüren vor ihm verschließt.
Seine sauber gebürstete aber abgeschabte Tunica erregt das Lächeln des
reichen Krämers, sein so geduldig erobertes Epaulett öffnet ihm selbst einen
officiellen Salon nur mit der größten Mühe. Diese Ausschließung ist sprich¬
wörtlich, und nur selten bringen hervorragende geistige Begabung oder Fa-
milienverbindungen einzelne Ausnahmen hervor. — Was den aus der Truppe
hervorgegangenen Officier betrifft, so gilt er nicht mehr und nicht weniger
als die elg-sse iuiÄ'iourcz selbst, aus der er emporgestiegen, und was wollen




') Leipziger Zeitung. Oct. 1803.
I^oltre« et'un xiisounior alö Knvrro n. a, O.
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[0105] Kindheit an in den Militärschulen, namentlich zu La Fleche, erzogen und dann, nach beendigtem Offiziers-Examen in der Schule von Se. Cyr, als Unter¬ Lieutenants in die verschiedenen Regimenter eingetreten sind. Diese sind Sol¬ daten durch und durch, kennen häufig weder Familien- noch irgendwie andere bürgerliche Interessen und wünschen nichts Anderes, als ihren Ehrgeiz zu be¬ friedigen und sich ein schnelles Avancement zu erwerben. Man kann immer¬ hin annehmen, daß drei Viertheile aller französischen Generale und Stabs- officiere aus solchen Officierssöhnen bestehen, und es gibt viele Familien, in denen der Officiersdienst schon mehrere Generationen hindurch förmlich erblich geworden ist. Wenn nun diese Männer an und für sich wohl das beste Element des französischen Officiercorps sind, so tragen sie doch um so mehr bei zu der Entfremdung des Heeres vom Volke, als sie sich fast niemals verheirathen, so lange sie im Dienste sind. Dazu fehlen ihnen fast immer die Mittel. Nur bei der Garde und einigen Cavallerie-Regimentern findet man ziem¬ lich häusig Officiere mit Vermögen; sonst gibt es viele Infanterie-, Dragoner- und Lanziers-Regimenter, die auch keinen einzigen Officier mit Privatvermögen besitzen. Alle diese vielen Tausende von mittellosen Officieren führen ein armes Soldatenleben, verkehren fast nur unter sich, wechseln sehr häufig ihre Garnisonen und stehen allen übrigen bürgerlichen Interessen der Bevölkerung vollkommen gleichgültig, mitunter sogar entschieden feindselig gegenüber. Jeder Kampf, der ihnen Auszeichnung und schnelle Beförderung bringt, ist ihnen er¬ wünscht, der Zweck desselben völlig gleichgültig.*) Die Stellung des Officiers in der Gesellschaft entspricht diesen Umständen; sie ist eine ganz andere, fast entgegengesetzte wie die seiner Standesgenossen in Preußen. Ein französischer Officier^) kennzeichnet sie in folgenden scharfen Zügen: „Der Officier nimmt im Publieum eine Stellung ein wie etwa der Schweizer bei der Pfarrkirche oder der Feldwächter im Dorf. Meist zieht er einher ,,ontourö ä'un Mrtum <Zs wdae, ä'i^uoiÄuoe av Mi-osse", so daß man so viel als möglich die Thüren vor ihm verschließt. Seine sauber gebürstete aber abgeschabte Tunica erregt das Lächeln des reichen Krämers, sein so geduldig erobertes Epaulett öffnet ihm selbst einen officiellen Salon nur mit der größten Mühe. Diese Ausschließung ist sprich¬ wörtlich, und nur selten bringen hervorragende geistige Begabung oder Fa- milienverbindungen einzelne Ausnahmen hervor. — Was den aus der Truppe hervorgegangenen Officier betrifft, so gilt er nicht mehr und nicht weniger als die elg-sse iuiÄ'iourcz selbst, aus der er emporgestiegen, und was wollen ') Leipziger Zeitung. Oct. 1803. I^oltre« et'un xiisounior alö Knvrro n. a, O. Grenzboten IV. 1872.13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/105>, abgerufen am 22.07.2024.