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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Stärkung von 144 Krümpern von viermonatlicher Dienstzeit. Um hieraus ein
Feldbataillon (4. Bataillon der Infanterie-Regimenter) zu formiren, mußte
man noch 260 Krümper heranziehen, Leute, die dem vorletzten Jahrgange an¬
gehörten und nicht mehr als eine dreimonatliche Ausbildung genossen hatten.
Wenn diese Maßregel getroffen wurde, so brachte sie zu den 90,000 Krümpern
älterer Jahrgänge, welche kriegsetatgemäß sogleich in die Linienregimenter ein¬
gereiht wurden, einen abermaligen Zuwachs von 26,000 Mann Krümpern.
Der Nest des Vorraths der letzteren, nämlich 4000 Mann, blieb zur Ver¬
fügung.

Das regelmäßige Armee-Budget betrug im Jahre 1864: 366,620,367
Francs, das Supplementärbudget 7,8V0,000 Francs.

Versuchen wir nun, ein Bild der Geistesverfassung der franzö¬
sischen Armee zu entwerfen, wie sich dasselbe in deren einzelnen Bestand¬
theilen während der sechsziger Jahre darstellt, indem wir damit zugleich den
Hinweis auf die Verhältnisse der militärischen Erziehung, des Unterrichts und
des Avancements verbinden.

In Folge der Stellvertretung besteht die Masse der Soldaten des
eigentlichen Ersatzes fast nur aus Söhnen der ärmsten Volksclassen und
zwar besonders aus den ackerbauenden Districten, und da in Frankreich der
Volksunterricht sehr mangelhaft ist, so kann oft mehr als ein Viertheil der
neu eintretenden Recruten weder lesen noch schreiben. Die Erzählungen ihrer
älteren Cameraden in den Wachtstuben und Casernen bilden fast die einzigen
Quellen, aus denen solche Recruten irgendwie Geschichte lernen und diese
schildern stets in übertriebenen, aber glänzenden Farben den Ruhm und die
Macht der französischen Armee und bemühen sich Alles, was nicht dieser an¬
gehört, verächtlich herabzusetzen. Es wird systematisch dafür gesorgt, daß in
jeder Compagnie einige "Lustigs" und gewandte Erzähler seien, welche den
jungen Recruten von dem Ruhm der beiden Kaiser Napoleon und von der
Macht des Heeres fort und fort erzählen. Alle diese den ärmeren Classen an¬
gehörenden Soldaten hegen aber innerlich einen gewissen Haß gegen die durch
Reichthum, Bildung und sonstige sociale Annehmlichkeiten bevorzugten Classen
und sind erfreut, daß das Heer seit dem Staatsstreiche als die bestimmende
Macht im Lande erscheint.

Wenn schon in dieser Stimmung der Ausgehobenen eine den bürgerlichen
Kreisen abgeneigte Haltung der Armee zu erkennen ist, so spricht sich eine
solche auf das entschiedenste in den Reihen der Wiederangeworbenen aus.
Von diesen "Grognards" wird der rein militärisch-napoleonische Geist auf
jegliche Weise gehegt und gepflegt. Gelten sie doch sich selbst und dem Volk
für eine Art Erbstück Napoleon's I. und sind das auch in gewissem Sinne
wirklich. Sicherlich aber zum Schaden von Heer und Volk. Denn Napoleon,


Stärkung von 144 Krümpern von viermonatlicher Dienstzeit. Um hieraus ein
Feldbataillon (4. Bataillon der Infanterie-Regimenter) zu formiren, mußte
man noch 260 Krümper heranziehen, Leute, die dem vorletzten Jahrgange an¬
gehörten und nicht mehr als eine dreimonatliche Ausbildung genossen hatten.
Wenn diese Maßregel getroffen wurde, so brachte sie zu den 90,000 Krümpern
älterer Jahrgänge, welche kriegsetatgemäß sogleich in die Linienregimenter ein¬
gereiht wurden, einen abermaligen Zuwachs von 26,000 Mann Krümpern.
Der Nest des Vorraths der letzteren, nämlich 4000 Mann, blieb zur Ver¬
fügung.

Das regelmäßige Armee-Budget betrug im Jahre 1864: 366,620,367
Francs, das Supplementärbudget 7,8V0,000 Francs.

Versuchen wir nun, ein Bild der Geistesverfassung der franzö¬
sischen Armee zu entwerfen, wie sich dasselbe in deren einzelnen Bestand¬
theilen während der sechsziger Jahre darstellt, indem wir damit zugleich den
Hinweis auf die Verhältnisse der militärischen Erziehung, des Unterrichts und
des Avancements verbinden.

In Folge der Stellvertretung besteht die Masse der Soldaten des
eigentlichen Ersatzes fast nur aus Söhnen der ärmsten Volksclassen und
zwar besonders aus den ackerbauenden Districten, und da in Frankreich der
Volksunterricht sehr mangelhaft ist, so kann oft mehr als ein Viertheil der
neu eintretenden Recruten weder lesen noch schreiben. Die Erzählungen ihrer
älteren Cameraden in den Wachtstuben und Casernen bilden fast die einzigen
Quellen, aus denen solche Recruten irgendwie Geschichte lernen und diese
schildern stets in übertriebenen, aber glänzenden Farben den Ruhm und die
Macht der französischen Armee und bemühen sich Alles, was nicht dieser an¬
gehört, verächtlich herabzusetzen. Es wird systematisch dafür gesorgt, daß in
jeder Compagnie einige „Lustigs" und gewandte Erzähler seien, welche den
jungen Recruten von dem Ruhm der beiden Kaiser Napoleon und von der
Macht des Heeres fort und fort erzählen. Alle diese den ärmeren Classen an¬
gehörenden Soldaten hegen aber innerlich einen gewissen Haß gegen die durch
Reichthum, Bildung und sonstige sociale Annehmlichkeiten bevorzugten Classen
und sind erfreut, daß das Heer seit dem Staatsstreiche als die bestimmende
Macht im Lande erscheint.

Wenn schon in dieser Stimmung der Ausgehobenen eine den bürgerlichen
Kreisen abgeneigte Haltung der Armee zu erkennen ist, so spricht sich eine
solche auf das entschiedenste in den Reihen der Wiederangeworbenen aus.
Von diesen „Grognards" wird der rein militärisch-napoleonische Geist auf
jegliche Weise gehegt und gepflegt. Gelten sie doch sich selbst und dem Volk
für eine Art Erbstück Napoleon's I. und sind das auch in gewissem Sinne
wirklich. Sicherlich aber zum Schaden von Heer und Volk. Denn Napoleon,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/100>, abgerufen am 22.07.2024.